Donnerstag, 29. Juli 2010
"Nietzsche ist tot." (Gott)
"The Internet ist completely over." (Prince)

Oje, ich höre sie schon lästern und schmähen, die Vordenker, Gurus und Propheten der digitalen Zukunft, da habe ja wohl mal wieder einer das Internet nicht verstanden.

Und nach alledem, was man dazu sonst noch liest, kann man sich dieses Eindrucks in der Tat nicht ganz erwehren: Der Musiker kritisiert auch Computer und digitale Gadgets als "no good":
"They just fill your head with numbers and that can't be good for you.”

Dann sollte man konsequenterweise aber auch die Finger von Prince-CDs lassen. Die sind nämlich bei Licht besehen auch nichts anderes als eine nahezu endlose Abfolge von Nullen und Einsen.

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Na, Hauptsache ist doch, er erscheint mal wieder in der öffentlichen Wahrnehmung.

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Ich glaube ja auch kein hochfliegendes Motiv für eine Handlung, wenn ich auch ein niedrigeres finde. ;-)

Aber mit der Auswanderung nach Offleiningen scheint es dem Herrn einigermaßen ernst zu sein, seine offizielle Website ist abgeschaltet.

Und irgendwie, wie soll ich sagen, rührt mich dieser donquichottesque Kampf gegen die WWWindmühlen doch ein wenig an, wenn ich ehrlich sein soll. Zumindest kann ich die Unlust von Prince, sein Oeuvre bei iTunes, Youtube & Co. zu verramschen, einigermaßen nachvollziehen - auch wenn ich nicht überzeugt bin, dass sein Weg zielführend ist.

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Ich hab den Mann sowieso noch nie verstanden. Aber immerhin ist er konsequent, das ist besser, als wenn Leute hochtrabend übers Internet reden und doch keine Ahnung davon haben, wie eine Seite vom Ersteller zum Leser kommt.

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Verstanden zu werden
hatte in dieser Künstlerbiographie bisher nicht die alleroberste Priorität, wie es scheint. ;-) Aber da ich Prince eh nie im relevant set hatte, könnte er seine Tonträger wegen mir auch exklusiv im Quelle-Katalog oder handsigniert in einem eigenen Ladenlokal an der Kö verkaufen, das wäre mir ziemlich hurz. iTunes und die anderen digitalen Distributionskanäle werden es auch verkraften, wenn Prince da nicht stattfindet.

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"Playing electric guitar your whole life does something to you. I'm convinced all that electricity racing through my body made me keep my hair."
Das muss halt ein Computer erst mal schaffen.

Nach Lektüre des Mirror-Interviews komme ich zu dem Schluss, Isnogud ist endlich Kalif anstelle des Kalifen.

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Ich möchte an dieser Stelle
all meinen Auftraggebern danken, dass sie mich nie in so eine heikle Interview-Situation geschickt haben. Einer derart exzentrischen Person zitierfähige Äußerungen zu entlocken, stelle ich mir doch ziemlich anstrengend vor, um es mal zurückhaltend zu formulieren.

Übe den möglichen Zusammenhang von Stromgitarre und Haarpracht im fortgeschrittenen Alter muss ich mal noch gesondert nachdenken. Zumindest hat mein jüngerer Bruder, der im Gegensatz zu uns älteren nie E-Gitarre spielte, den breitesten Mittelscheitel. Hm.

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Auch das Kieser-Plakat lässt einen Zusammenhang vermuten.
Wenn man es allerdings nur in seinem Jugendzimmer an der Wand hängen hatte, hilft das nicht. Weiss ich heute.

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Da ich, wie Sie ja wissen, zumindest in meinen sittlich desorientierten Jugendjahren diesem Vorbild aktiv nacheiferte, hält sich mein Haarverlust bislang in Grenzen. Ich vermute mal, dass high voltage rock'n'roll die elektrisch-heilsamen Effekte von Stromgitarrenmusik gewissermaßen potenziert hat.

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Hair Metal, klar. Die akustische Ukulele sieht man da nur selten.
Der Mann hat recht.

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Ich finde an dieser Haltung den Gedanken eines "Fluchtraumes" interessant. Wenn man überlegt, daß "Internet" vor über einer Dekade als real gewordener Cyberpunk-Traum von Rückzugsort und "New Frontier" für Avantgarde und Subkultur gedacht werden konnte - ein Frei-Raum mit eigenen, quasi anarchischen Regeln, ein Ort für Experimente - dann war es naheliegend, daß Künstler wie Prince den bewohnten. Jetzt, 2010, wo Gott und alle Welt im Internet unterwegs ist, kann man den Gedanken gut auf den Kopf stellen. Der neue rebellische Freiraum liegt nämlich möglicherweise app-free jenseits von Apple, Google, Faithbook und Co.

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Über kurz oder lang
läuft es halt doch hinaus auf irgendeine Art von "hinten ist das neue vorne". Wenn der Welt ein kühner Avantgardist gefehlt hat, der sich öffentlich hinstellt und verkündet, man müsse gar nicht ins Internet, dann ist es doch höchste Zeit, dass endlich jemand gucken geht, wohin wir denn da kämen.

Wobei ich auch denke, Freiraum ist nicht gleich Freiraum. Natürlich kann man die Verramsche der neuen Prince-CD als Giveway zum Daily Mirror (oder welches Käseblatt auch immer das war) auch als Experiment sehen, aber letztlich ist die Attitüde dahinter ziemlich rückwärtsgewandt. Der will einfach wie früher auch seine Majordeals mit ordentlicher Vorkasse - und nicht etwa zurück zur Natur.

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Das weiß ich nicht. Die Musikindustrie hält er doch auch für am Ende. Sicherlich ist sein Handlung eher eine Reaktion (auf das Scheitern althergebrachter Vertriebswege z.B.). Trotzdem: In einem Umfeld, wo auch in Deutschland neuerdings laut über Zwei-Klassen-Internet nachgedacht wird, wo neue "Majors" sich das Feld aufteilen (von Apple bis ZDF), liegt es sich vielleicht wirklich besser auf einer Wlan-freien Wiese. Prince ist immerhin Gott, der kann überall erscheinen.

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Ich krieg ihn trotzdem nicht in Thoreaus Hütte rein. Aber das mag an mir liegen.

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Wenn Sie eine lila-gestrichene im Wald entdecken, wissen Sie, da kommt gleich ein haariger Zwerg raus.

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Dafür, dass die Musikindustrie
schon seit mindestens 10 Jahren totgesagt wird, steht sie eigentlich gar nicht sooo schlecht da. Zumindest habe ich weder von Massenentlassungen noch von Insolvenzanträgen (oder gar bail-outs) gelesen und gehört.

Aber natürlich ist der Paradigmenwechsel nicht zu übersehen. Die CD wird mehr zur Promo-Maßnahme für Konzerttourneen, weil da das Geld verdient wird und nicht mehr mit den Tonträgerverkäufen.

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Das Gejammere jedenfalls ist unüberhörbar …

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Ein phönizisches Sprichwort sagt:
Jammern ist des Kaufmanns Gruß.

Daran hat sich seit dem Fall Karthagos nicht viel geändert. Dann kommt noch verschärfend hinzu, dass das Gejammer wie bei den Verlagen auch darauf abzielt, die Politik zu Anderungen der Spielregeln zu nötigen.

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Soweit ich das Gespräch (bzw. was über das Gespräch bekannt ist) verfolgen konnte will Prince seine Musik nicht über das Internet verkauft wissen. Seine Alternative: Er legt die CD 20Ten (oder so) einer britischen Tageszeitung als Beileger bei. Dann bezahlt halt die Zeitung dafür und nicht der Hörer.

"They just fill your head with numbers and that cant be good for you.”

Was dieses Zitat angeht, so müsste man mal einen native speaker fragen, welche Bedeutung der Satz noch haben kann. Wörtlich übersetzt bestätigt er einen bedenklichen Geisteszustand bei Herrn Nelson.

"The internet’s like MTV. At one time MTV was hip and suddenly it became outdated.”

Hier verwechselt er das Medium mit der Botschaft. MTV ist ein Sender, das Fernsehen ein Medium. Das Internet ist ein Medium, www.prince.com ist (bzw. enthält) die Botschaft. Selbst wenn MTV abgeschaltet wird, bleibt das Fernsehen doch erhalten. Ebenso wie das Internet erhalten blieb, obwohl www.prince.com abgeschaltet wurde.

Aber sonst stimme ich ihm vollumfänglich zu.

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Für Unlust dieses Herrn,
seine Musik über iTunes & Co. zu verramschen, habe ich wie gesagt jede Menge Verständnis.

Ansonsten hast Du völlig recht, die Gleichsetzung des Senders MTV mit dem Medium TV als solches ist natürlich ziemlicher Humbug. Aber freilich haben auch Mediengattungen ihre jeweiligen Coolness-Zyklen, und da ist TV in der Wahrnehmung eben nicht mehr so weit vorne wie noch vor 20-25 Jahren. Im Moment ist Internet und all das, was da dran hängt, noch zu sehr talk of the town als dass wir uns ernsthaft vorstellen könnten, wie es den Status als der heiße Scheiß (im Sinne von da shit in Rappersprache) auch wieder verlieren könnte, aber unmöglich oder völlig abwegig ist das nicht.

Der Satz mit den numbers in your head mag mehrdeutiges Potenzial haben, aber im Kern geht es nach meiner Auffassung schon um die Zahlen im Sinne von binären Werten 0 und 1. Vinyl-Puristen sagen ja auch, sie wollen sich ihre Musik nicht vorrechnen lassen.

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So wagemutig ist er aber anscheinend nicht, dass er jetzt einige Vinyl-only-Singles rausbringen würde. Vorausgesetzt, er hat treue Fans, würden die nämlich ernsthaft über die Anschaffung eines Plattenspielers nachdenken. Meine Lieblingsbands – die allerdings sowieso überhaupt nichts zu verlieren haben – haben damit die Quote der Plattenspielerbesitzer unter ihren Fans nach oben getrieben. Aber wie gesagt, der Erfolg hängt davon ab, dass der Künstler konsequent ist und die Fans treu und ergeben.

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Aus Sicht eines Musikers oder eines Popkonsumenten gab es sehr wohl eine Zeit, in der man MTV mit TV gleichsetzen konnte. Etwas anderes zählte einfach nicht, vielleicht der WDR mit seinem Rockpalast. (MTV hatte damals ja sogar "News" und Literatur-Ecken im Programm.) Es gab eine Zeit, in der jemand hip war, weil er MTV empfangen konnte (während die Masse nur ARD, ZDF, Dritte, evtl. RTL über terrestrische Antenne hatte). So wie es eine Zeit gab, in der jemand hip war, der einen iPod besaß. Dinge, mit denen heute kein Distinktionsgewinn mehr möglich ist. The internet is next.

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Nicht zu vergessen VIVA II, ein Sender der pünktlich zum Beginn des Niedergangs des Musikfernsehens abgesägt wurde.

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@muerps:
Das mit den Vinyl-only-Veröffentlichungen finde ich irgendwie charmant. Allerdings wüßte ich keine Band zu benennen, deren Output mir so wichtig wäre, dass ich wieder einen Plattenspieler anschaffen würde. Ich hatte auch nie einen sonderlich tollen, denn ich war mehr so der Mix-Tape-Typ. Aber selbst mein Tapedeck aus den 90ern staubt mit Antriebsriemen-Defekt vor sich hin. Ich traue mich kaum, es zu sagen, aber mit zunehmendem Alter wird Musik mir immer gleichgültiger...

@kid37: Stichhaltiger Einwand mit der Perspektive des Musikers/Popkonsumenten. Lag mir vorhin auch so ähnlich auf der Zunge, aber ich habe das nicht ausgeführt, weil das letztlich nicht meine Perspektive war und ist. Wenn damals irgendwo MTV (oder nicht zu vergessen: musixbox) flimmerte, war das "nice to have", aber ein richtiger Sog hat mich da nie gepackt.

Vielleicht sind ja wenn dereinst auch der mobile always-on-hype durch ist, Kleinstgerät-Implantate das next big thing für den digitalen Distinktionsgewinn, was weiß ich. Ich kenne tatsächlich ein paar Leute, die "hier" schreien würden.

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Ooooch. Die neueste CD von ihm wird immerhin verschenkt. Liegt als Beigabe in einer Zeitschrift. Und das wird sie wohl auch maximal wert sein...(wobei da mehr Nullen bei sind als Einsen)

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Ich mag diese attitude von Prince. Ich mag seine Musik sehr. Ich kaufe ihn auf Vinyl. Und das mit den Zahlen im Kopf finde ich ziemlich clever formuliert - ganz im Sinne von Jaron Lanier.

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