Freitag, 29. Mai 2009
Städtisches, allzu städtisches
Man will für sein Kind ja nur das beste. Und damit neben dem Kinderthriathlon und dem Business-Englisch-Bimsen auch die musische Komponente nicht zu kurz kommt, haben wir von der städtischen Musikschule die Anmeldeunterlagen für die Musikalische Früherziehung angefordert. Und wie ich dieses Schriftstück eingehender studiere, läuft mir schon mal die Lesebrille an. Unter dem Unterschriftsfeld steht da nicht etwa "Name der Erziehungsberechtigten", sondern; "Name des Gebührenschuldners - geschäftsfähig: ja/nein (Zutreffendes bitte ankreuzen).

Okaaaaaaay. Da muss man ja schon froh sein, das die nicht gleich auch noch eine Schufa-Selbstauskunft und die Steuerunterlagen der letzten fünf Jahre sehen wollen, bevor meine Tochter in kommunaler Obhut einmal pro Woche auf einem verbeulten Xylophon rumdengeln darf. Gebührenschuldner, tss. Das stößt mir nicht zuletzt deswegen übel auf, weil zeitgleich noch ein zweites kommunales Schreiben hier eingegangen ist. Es schreibt der Bürgermeister:

Liebe Eltern, leider erreichen die tariflichen Auseinandersetzungen im Sozial- und Erziehungsdienst und damit auch die Warnstreiks der Gewerkschaft "ver.di" nun auch unsere Verbundgemeinde. Die Gewerkschaft hat die Mitarbeiterinnen der städtischen Kindertagesstätten für den kommenden Dienstag, den 2. Juni 2009, zur Teilnahme an den Streikmaßnahmen aufgerufen. (...) Die Einrichtungen werden geschlossen bleiben. Deshalb möchte ich Sie bitten, für diesen Tag die Betreuung Ihres Kindes / Ihrer Kinder auf andere Art und Weise zu organisieren.

Na super. Aus dem Fach der Kleinen im Kindergarten purzelt mir dann noch ein Schreiben mit städtischem Briefkopf und folgenden Inhalts entgegen:

Liebe Eltern,

Am Brauchtumstag, 03. Juni 2009, ist unsere Einrichtung ab 12.30 geschlossen. Zugleich entschuldigen wir uns für die verspätete Mitteilung. Das Mittagessen fällt an diesem Tag aus.


Ich glaube, ich lasse mein Mittagessen heute auch ausfallen. Sonst kommt es mir vielleicht gleich wieder hoch, wenn ich über meine verkorkste Existenz als Gebührenschuldner einerseits nachdenke und wie es anderseits zugeht, dass die Stadt Leistungen schuldig bleiben kann wie sie lustig ist. Brauchtumstag, tsss, muss ich auch erst mal googeln, was das werden soll. Ich ahne schlimmeres.

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Schützenfest
Der Höhepunkt des Jahres. Ich nehme doch an, Ihre werte Gattin und Sie nehmen sich, wie alle, Urlaub, oder?

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Und dazu spielt die "Blue Velvet Band" - das ist wahrhaft Lynchesk.

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Ist den solch eine Veranstaltung in den Tagen der Vorkommnisse von Winnenden (u. Ä.) denn überhaupt noch statthaft? Sicher, die schießen auf „Vögel“, nicht auf Menschen. Aber sie schießen mit realen Waffen. Und das meist in dramatisch alkoholgeschwängerter Umgebung. Wenn man jetzt noch die latente Bereitschaft auf solcherlei Veranstaltungen zur ehelichen (und natürlich auch ausserehelichen) Untreue dazu nimmt, dann dünkt mir der Teufel führt dort sein Handwerk aus.

Ich rate, nehmt Reißaus vor solcherlei Treiben und investiert das gesparte Geld in Eis für die Lütte. Ist ja mit dem Roller nicht sehr weit :-)

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@rocky raccoon: Ich habe mir erlaubt,
den Link aus Ihrem Kommentar herauszunehmen. Dass die Hiesigen unter den regelmäßigen Lesern uns verorten können, stört mich nicht. Aber auf dem allgemeinen Präsentierteller möchte ich diese Information nicht unbedingt darbieten.

Ansonsten haben Sie es natürlich richtig erkannt, was hier droht. Eigentlich wäre mir eher danach, Urlaub zu nehmen und dem Tschingdarassabumm zu entfliehen. Aber die Kleine freut sich auf den Trubel, und das gar nicht mal nur wegen dem Kirmesbetrieb auf dem Dorfplatz.

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@der_papa:
Das Geballer an sich ist bei der hiesigen Schützenfolklore nicht mehr unbedingt das tragende Element, soweit ich das von meinem etwas distanzierten Standpunkt beurteilen kann. Und da es auch nicht integraler Bestandteil der Festivitäten ist, mit denen wir ggf. in Berührung kämen, beunruhigt mich das jetzt nicht über die Maßen. Die uniformierten Verbände tragen hier ja nur ihre Musikinstrumente durchs Dorf und nicht die Schießprügel. Das sollte also zu überleben sein.

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Och, das war früher anders. Ersten war die fetteste Äktschn am Schießstand selber (und eher weniger auf der Kirmes nahe bei, da waren nur die kleinere Pänz) und zum zweiten wurden die Schießprügel, Armbrüste und was die alles so hatten, zusammen mit überwiegend grünen Fahnen und güldenen Gebömmels dran durchs Dorf getragen. Zum ersten mal um sechs in der früh, weil wegen Wecken und so, man will ja möglichst bis Mittach hackedicht sein, damit die Prügelei am Schießstand (die gab es immer, keine Ausnahme) möglichst hemmungslos ablief.

Auf den durchs Dorf mit viel Tschingerassabum getragenen Fahnen, das bleibt noch zu erwähnen, war üblicherweise ein an einem Baum gefesselter fast nackter Mensch zu sehen, der von mindestens drei, meist aber fünf und mehr Pfeilen oder Armbrustbolzen (je nach Präferenz des Schützenvereins) durchbohrt war und der aus allen Wunden blutete wie ein Hausschwein auf der Schlachtbank. Womit wir dann wieder den Kreis zum „geschäftsfähigen Gebührenschuldner“ geschlossen hätten.

Das war früher so, etwa in den 70ern, als auch dieses Lied hier entstand:

„Schötzefess“

De Stroß is jefäch un et Wedder nit schläch,
Jirlande un Fähncher schmöcken d'r Wäch.
Om Schötzeplatz steit och et Zelt schon parat
et jrößte un schönste, et wod nit jespart.
D'r Schötzezoch stellt sich am Spretzehuus op,
d'r Hoot fass om Kopp un de Botz schön salopp.

Hundertfuffzich Mann un en Fahn vürrendran
un de Musik fängk mem Schneewalzer ahn.
En ener Kutsch mit zwei Päd
sitz d'r Künning drin un sät:
“Zwo, drei, schießen macht uns frei!“
Jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön.

Am Kriejerjedenkmal wed Halt jemaat
un der Adjutant hät en Jedenkreed parat.
Hä nemmp singen Hoot av un sät wat hä denk:
“Et Leben is schwer un m'r kritt nix jeschenk.“
D'r Zapfenstreich lös jetz dat Trauerspill op
un jeschlossen marschiert mer zom Schötzeplatz rop.

Hundertfuffzich Mann un en Fahn vürrendran
un de Musik fängk mem Schneewalzer ahn.
En ener Kutsch mit zwei Päd
sitz d'r Künning drin un sät:
“Piff, paff, d'r Vujel muß eraf!“
Jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön.

Im Festzelt do hält dann der Künning en Red.
Sing Frau sät noch flöck: „Heinz, nu mach bloß nix verkeet!“
Am Schluß vun dä Red do steht et janze Zelt op,
et Bier kütt eran un de Sektbar määt op.

(Jott sei dank)

Hundertfuffzich Mann un en Fahn vürrendran
un de Musik fängk mem Schneewalzer an.
En ener Kutsch mit zwei Päd
sitz d'r Künning drin un sät:
“Drei, vier, jetz jeiht et an et Bier!“
Jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön.

Hundertfuffzich Mann un en Fahn vürrendran
un de Musik fängk mem Schneewalzer ahn.
En ener Kutsch mit zwei Päd
sitz d'r Künning drin un sät:
“Radetzki wor ne gute Mann … driss ejal!“
Jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steit deSchötzejunge schön.

(un für alle meine Damen und Herren: Freibier)

Hundertfuffzich Mann un en Fahn vürrendran
un de Musik fängk mem Schneewalzer an.
En ener Kutsch mit zwei Päd
sitz d'r Künning drin un sät:
(unverständliches Alkoholgebrabbel)
Jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steit de Schötzejunge schön.

Viel Spass dann noch.

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kenn ich in niedersächsisch (ohne märtyrer).
zum glück war man zugezogener und hatte somit dort auch nichts verloren; der anthropologisch interessierte blick wurde immer gleich bemerkt.
blasmusi, alk und testosteron. angsteinflößend.

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Dass unsereins das Treiben
durch die Ethnologen- oder Anthropologen-Brille (und mit einer Mischung aus wissenschaftlicher Neugier und leichtem Befremden) betrachtet, bleibt den instiktsicheren Eingeborenen ja auch nicht völlig verborgen. Ansonsten sage ich mir auch: Wir haben ein paar Japaner in der Nachbarschaft, und wie schräg mag dieses ganze Brauchtum denen erst erscheinen? Die gehen mit ihren Kids auch auf den St.-Martins-Umzug oder auf das Feuerwehrfest, und das kommt als Höflichkeitsgeste auch durchaus rüber. Insofern schadet es wohl nichts, punktuell Präsenz zu zeigen; man muss ja nicht gleich so tun, als hätte man das ganze Gedöns mit der Muttermilch aufgesogen. Und dann gilt es, rechtzeitig wieder die Kurve nach Hause zu kriegen, bevor die Fröhlichkeit dann ihre Promille-Fratze zeigt.

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@der_papa:
Von wem stammt denn dieses garstig-realistische Lied - Bläck Föös?

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Wo sind Sie da bloß hingeraten ...!?

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Das frage ich mich auch
schon seit zweieinhalb Jahren. Das Web-Dokument, das Herr Rocky Raccoon heute morgen verlinkt hatte, zeigt in erschütternder Deutlichkeit, wie simpel gestrickt die Eingeborenen hier sind, wenn es ums Feste feiern geht:

Erleben Sie im Festzelt auf dem Dr.-*****-******-Platz nochmals die festliche Stimmung des Festes.

Tja. Immer feste druff...

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