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Montag, 15. September 2008
Weißt Du noch...?
mark793, 13:12h
Am Wochenende war es mir vergönnt, eine kleine Zeitreise von etwa 30 Jahren in die Vergangenheit anzutreten: Die Schulklasse, der ich bis nach der Achten angehörte, lud zum Treffen im Schullandheim - mit Übernachtung, Nachtwanderung und allem Drum und Dran.
Um die 20 Mittvierziger sind der Einladung gefolgt, mit dem inwischen pensionierten Lieblingslehrer von damals, Herrn G., an die Stätte erster Händchenhalt- und Knutscherfahrungen zurückzukehren. Im Eingangsbereich riecht es noch so klamm und muffig nach feuchtem Schuhwerk wie damals. Ach Gott, der Speisesaal, da standen doch immer die verbeulten Blechkannen mit dem undefinierbaren Früchtetee drin. Und in welchem Zimmer sind die Jungs? Zimmer 2 und 3 und die Mädels einen Stock höher. Wie damals. In den Zimmern sind jetzt aber auch Duschkabinen und Waschbecken. Der alte Waschraum mit der Gemeinschaftsdusche, wo wir Jungs von draußen vom Berghang aus immer versuchten, durch die gekippten Milchglasfenster bisschen was interessantes zu sehen, wird jetzt anderweitig genutzt.
Wir Ankömmlinge sammeln uns im Speisesaal, wo Sekt bereitsteht. Und wer ist dieser kleine, alte Mann mit Brille? Nee, oder? Das ist der damalige Schulleiter, vor dem ich seinerzeit ganz schön Manschetten hatte, wenn ich wegen irgendeiner Aktion mal wieder bei ihm antanzen durfte. Einmal war er drauf und dran gewesen, mich von der Schule zu werfen, aber da sind die Mädels der Klasse zu ihm ins Büro marschiert und haben ihm gesagt, das ginge nicht an, schließlich sei ich beim Werfen von Wasserbomben auf die Bauarbeiter im Hof nicht alleine gewesen, aber wenigstens als einziger so ehrlich gewesen, die Beteiligung zuzugeben. Und damit war mein Allerwertester gerettet. Jetzt streckt der Ex-Direx mir die Hand entgegen mit fragendem Blick, ich nenne meinen Namen, und er fragt mich, "ach, waren Sie nicht der, der das Waschbecken gesprengt hat?" Ich verneine, "Nicht schlecht geraten,aber knapp daneben, ich war der Wasserbombenwerfer, der die Bauarbeiten im Hof sabotiert hat." Ah ja, jetzt erinnere er sich.
Überhaupt erstaunlich, an was man sich noch alles erinnert. Auch an Unordnung und frühes Leid. Da oben auf dem Bänkchen hinterm Haus heulte Christiane, als Thomas mit ihr Schluss gemacht hatte. Oder wie wir Sabine, die sich oben im Wald den Fuß verknackst hatte, auf einer Behelfsbahre aus zwei dünnen Baumstämmen und einem Anorak runter ins Tal trugen. Die Geländespiele, die Wanderungen, wie wir den Mühlbach neben dem Haus stauten, die Parties, meinen zwölften Geburtstag, den ich im Partyraum des Nebengebäudes feierte und bei dem der Lehrer mit seinem alten Plattenspieler und den Oldie-Singles für Stimmung und Bewegung (come on let's twist again - like we did last summer...) sorgte. Zwei Jahre später dann die Klammerblues-Orgien mit Pink Floyd, Novalis und Barclay James Harvest. Hach.
Aber dann steht erst mal die Nachtwanderung auf dem Programm. Der Weg durch den dank Fast-Vollmond nicht komplett dunklen Wald ist noch seltsam vertraut. Wir stapfen wacker bergauf, und ich bin froh, dass ich das Innenfutter für die Outdoor-Jacke doch nicht dabei habe, denn die Lauferei wärmt nicht unerheblich. Herr G., der ehemalige Englisch- und Lateinlehrer, kann es nicht ganz lassen, über Sprachverwandtschaft, Etymologie und dergleichen zu dozieren. Und jetzt weiß ich wieder, warum ich ihm so dankbar bin, dass er sowohl meine ersten Jahre Englisch als auch die ersten beiden Jahre Latein unterrichtete: Denn sämtliche Sturheil-Pauker und pädagogischen Vollversager, die zum Teil nach ihm kamen, haben es nie geschafft, mir den Spaß an Sprachen ganz auszutreiben. Aber ein schrilles "Autsch! Mist" von weiter vorne reißt mich aus diesen Gedankengängen: Es ist jemand umgeknickt - dreimal darf man raten, wer: Sabine M. Diesmal müssen wir sie aber gottlob nicht aus dem Wald heraustragen; nach einer Pause und ein bisschen humpeln geht es munter weiter beziehungsweise zurück ins Landheim.
Dort geht es dann nahtlos über in den gemütlichen Teil. Fotos gucken, klönen, und je später der Abend wird, desto mehr geht das anfängliche "mein Haus, meine Frau, mein Auto" dann auch über in "meine Scheidung, mein Karriereknick, meine Midlife-Crisis". Wobei es nicht wirklich tröstet, festzustellen, dass andere auch ihr Päckchen zu tragen haben. Dass Josie zweimal durch Jura-Examen gerasselt war, hatte sie schon zum zehnjährigen Abitreffen erzählt. Dass sie jetzt versucht, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, zu allem Überfluss auch noch an multipler Sklerose erkrankt ist, das hat sie am Wochenende nicht oder nur in Andeutungen erzählt. Die restlichen Puzzlestücke werden in kleineren Gesprächsrunden stückeweise und geflüstert herumgereicht.
Ich spreche lange mit Heike, die erst nach meinem Weggang von der Schule in diese Klasse gekommen war. Die Schwierigkkeiten, die sie hier mit dem Akklimatisieren und akzeptiert werden hatte, kannte ich ja auch von meiner neuen Klasse an der anderen Schule. So stellen wir übereinstimmend fest, dass wir bestimmt viel Spaß miteinander gehabt hätten, hätte das Schicksal uns in der gleichen Klasse zusammengeführt.
Martina, mit der ich im zarten Alter von 12 Jahren im Landheim Händchen gehalten hatte, bekommt weit nach Mitternacht mit zunehmender Schlagseite den leichten Silberblick, der sie (immer noch) so besonders süß machte. Sie guckt mir tief in die Augen und sagt: "Hach Mark, weißt Du, ich habe Deine dunkle Seite immer gespürt, und irgendwie hast Du mich fasziniert, mir gleichzeitig aber auch ziemliche Angst gemacht. Deswegen ist das mit uns nichts Dauerhaftes geworden."
Tja, was soll man nach einer solchen Ansage nach vier Uhr morgens noch anderes machen als sich ins Etagenbett zu wuchten? Ich hatte ja darauf spekuliert, dass meine Jugendliebe Angela, die mir den zweiten Landheimaufenthalt versüßt hatte, mich vielleicht im Schlafsack ein bisschen wärmen könnte. Aber wegen familiärer Verpflichtungen am Sonntag hat sie es vorgezogen, noch am Samstag abend nach Hause zu fahren. Hmpf, da liege ich also hineingefaltet in ein zu kurzes Einsneunzig-Bett und komme wenns hoch kommt zu zweieinhalb Stunden Schlaf. Nach dem Frühstück stehen wir noch lange vorm Haus in der Morgensonne und kriegen nicht so recht die Kurve zum zügigen Abschiednehmen. Dazu bedarf es dann nur eines Kurzbesuchs von Frau L., unserer damaligen Mathelehrerin. Als die auftaucht, weiß ich, dass es Zeit ist, die Heimfahrt in die Gegenwart anzutreten.
Um die 20 Mittvierziger sind der Einladung gefolgt, mit dem inwischen pensionierten Lieblingslehrer von damals, Herrn G., an die Stätte erster Händchenhalt- und Knutscherfahrungen zurückzukehren. Im Eingangsbereich riecht es noch so klamm und muffig nach feuchtem Schuhwerk wie damals. Ach Gott, der Speisesaal, da standen doch immer die verbeulten Blechkannen mit dem undefinierbaren Früchtetee drin. Und in welchem Zimmer sind die Jungs? Zimmer 2 und 3 und die Mädels einen Stock höher. Wie damals. In den Zimmern sind jetzt aber auch Duschkabinen und Waschbecken. Der alte Waschraum mit der Gemeinschaftsdusche, wo wir Jungs von draußen vom Berghang aus immer versuchten, durch die gekippten Milchglasfenster bisschen was interessantes zu sehen, wird jetzt anderweitig genutzt.
Wir Ankömmlinge sammeln uns im Speisesaal, wo Sekt bereitsteht. Und wer ist dieser kleine, alte Mann mit Brille? Nee, oder? Das ist der damalige Schulleiter, vor dem ich seinerzeit ganz schön Manschetten hatte, wenn ich wegen irgendeiner Aktion mal wieder bei ihm antanzen durfte. Einmal war er drauf und dran gewesen, mich von der Schule zu werfen, aber da sind die Mädels der Klasse zu ihm ins Büro marschiert und haben ihm gesagt, das ginge nicht an, schließlich sei ich beim Werfen von Wasserbomben auf die Bauarbeiter im Hof nicht alleine gewesen, aber wenigstens als einziger so ehrlich gewesen, die Beteiligung zuzugeben. Und damit war mein Allerwertester gerettet. Jetzt streckt der Ex-Direx mir die Hand entgegen mit fragendem Blick, ich nenne meinen Namen, und er fragt mich, "ach, waren Sie nicht der, der das Waschbecken gesprengt hat?" Ich verneine, "Nicht schlecht geraten,aber knapp daneben, ich war der Wasserbombenwerfer, der die Bauarbeiten im Hof sabotiert hat." Ah ja, jetzt erinnere er sich.
Überhaupt erstaunlich, an was man sich noch alles erinnert. Auch an Unordnung und frühes Leid. Da oben auf dem Bänkchen hinterm Haus heulte Christiane, als Thomas mit ihr Schluss gemacht hatte. Oder wie wir Sabine, die sich oben im Wald den Fuß verknackst hatte, auf einer Behelfsbahre aus zwei dünnen Baumstämmen und einem Anorak runter ins Tal trugen. Die Geländespiele, die Wanderungen, wie wir den Mühlbach neben dem Haus stauten, die Parties, meinen zwölften Geburtstag, den ich im Partyraum des Nebengebäudes feierte und bei dem der Lehrer mit seinem alten Plattenspieler und den Oldie-Singles für Stimmung und Bewegung (come on let's twist again - like we did last summer...) sorgte. Zwei Jahre später dann die Klammerblues-Orgien mit Pink Floyd, Novalis und Barclay James Harvest. Hach.
Aber dann steht erst mal die Nachtwanderung auf dem Programm. Der Weg durch den dank Fast-Vollmond nicht komplett dunklen Wald ist noch seltsam vertraut. Wir stapfen wacker bergauf, und ich bin froh, dass ich das Innenfutter für die Outdoor-Jacke doch nicht dabei habe, denn die Lauferei wärmt nicht unerheblich. Herr G., der ehemalige Englisch- und Lateinlehrer, kann es nicht ganz lassen, über Sprachverwandtschaft, Etymologie und dergleichen zu dozieren. Und jetzt weiß ich wieder, warum ich ihm so dankbar bin, dass er sowohl meine ersten Jahre Englisch als auch die ersten beiden Jahre Latein unterrichtete: Denn sämtliche Sturheil-Pauker und pädagogischen Vollversager, die zum Teil nach ihm kamen, haben es nie geschafft, mir den Spaß an Sprachen ganz auszutreiben. Aber ein schrilles "Autsch! Mist" von weiter vorne reißt mich aus diesen Gedankengängen: Es ist jemand umgeknickt - dreimal darf man raten, wer: Sabine M. Diesmal müssen wir sie aber gottlob nicht aus dem Wald heraustragen; nach einer Pause und ein bisschen humpeln geht es munter weiter beziehungsweise zurück ins Landheim.
Dort geht es dann nahtlos über in den gemütlichen Teil. Fotos gucken, klönen, und je später der Abend wird, desto mehr geht das anfängliche "mein Haus, meine Frau, mein Auto" dann auch über in "meine Scheidung, mein Karriereknick, meine Midlife-Crisis". Wobei es nicht wirklich tröstet, festzustellen, dass andere auch ihr Päckchen zu tragen haben. Dass Josie zweimal durch Jura-Examen gerasselt war, hatte sie schon zum zehnjährigen Abitreffen erzählt. Dass sie jetzt versucht, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, zu allem Überfluss auch noch an multipler Sklerose erkrankt ist, das hat sie am Wochenende nicht oder nur in Andeutungen erzählt. Die restlichen Puzzlestücke werden in kleineren Gesprächsrunden stückeweise und geflüstert herumgereicht.
Ich spreche lange mit Heike, die erst nach meinem Weggang von der Schule in diese Klasse gekommen war. Die Schwierigkkeiten, die sie hier mit dem Akklimatisieren und akzeptiert werden hatte, kannte ich ja auch von meiner neuen Klasse an der anderen Schule. So stellen wir übereinstimmend fest, dass wir bestimmt viel Spaß miteinander gehabt hätten, hätte das Schicksal uns in der gleichen Klasse zusammengeführt.
Martina, mit der ich im zarten Alter von 12 Jahren im Landheim Händchen gehalten hatte, bekommt weit nach Mitternacht mit zunehmender Schlagseite den leichten Silberblick, der sie (immer noch) so besonders süß machte. Sie guckt mir tief in die Augen und sagt: "Hach Mark, weißt Du, ich habe Deine dunkle Seite immer gespürt, und irgendwie hast Du mich fasziniert, mir gleichzeitig aber auch ziemliche Angst gemacht. Deswegen ist das mit uns nichts Dauerhaftes geworden."
Tja, was soll man nach einer solchen Ansage nach vier Uhr morgens noch anderes machen als sich ins Etagenbett zu wuchten? Ich hatte ja darauf spekuliert, dass meine Jugendliebe Angela, die mir den zweiten Landheimaufenthalt versüßt hatte, mich vielleicht im Schlafsack ein bisschen wärmen könnte. Aber wegen familiärer Verpflichtungen am Sonntag hat sie es vorgezogen, noch am Samstag abend nach Hause zu fahren. Hmpf, da liege ich also hineingefaltet in ein zu kurzes Einsneunzig-Bett und komme wenns hoch kommt zu zweieinhalb Stunden Schlaf. Nach dem Frühstück stehen wir noch lange vorm Haus in der Morgensonne und kriegen nicht so recht die Kurve zum zügigen Abschiednehmen. Dazu bedarf es dann nur eines Kurzbesuchs von Frau L., unserer damaligen Mathelehrerin. Als die auftaucht, weiß ich, dass es Zeit ist, die Heimfahrt in die Gegenwart anzutreten.
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