Freitag, 7. April 2006
Web-Wahrheiten
"Die Wahrheit", so lehrte es uns Special Agent Fox Mulder immer wieder, "ist irgendwo da draußen." Und draußen aus blogger.de ist jetzt der Zeitgenosse, der unter der Subdomain wahrheit.blogger.de dieser Tage ziemlich verquasten Wortmüll verklappt hat. Auch wenn der Holocaust da nicht explizit geleugnet wurde, war es angesichts der ganzen judenfeindlichen Stoßrichtung dieses Blogs definitiv die richtige Entscheidung von Dirk Olbertz, den Anfängen zu wehren. Wie das ist, wenn sich erst mal ein festverlinktes Netzwerk von Rechtsauslegern in einer Community breit macht, kann man ja bei Deutschlands mitgliederstärkstem Bloghoster schön beobachten.

Gleichwohl kann ich dessen Dilemma nachfühlen. Mir ist politisch korrekter Gesinnungsterror von links nämlich genauso verhasst wie die dumpfen Ressentiments, die auf der rechten Seite des politischen Spektrums kultiviert werden. Und ich halte die Meinungsfreiheit - auch die des Andersdenkenden - für ein hohes Gut. Auf der anderen Seite ist eine privat betriebene Blogger-Community kein Service Provider, der qua AGBs und metajuristischen Gleichbehandlungsgrundsätzen dazu verpflichtet wäre, jedem verpeilten Vollspacken ein Forum für volksverhetzende Verbalattacken zu bieten, die als "Wahrheit" verkauft werden.

Tja, die Wahrheit. Der regelmäßige Leser der dunklen Seite wird wissen, dass ich bei diesem Stichwort gern auf Pontius Pilatus verweise. Aber so abgeklärt war ich nicht immer. Auf der Suche nach "der Wahrheit" bin auch ich gewesen. Journalist bin ich geworden - nur um nach Jahren festzustellen, dass massenwirksam Publiziertes zum Teil ganz anderen Direktiven untergeordnet ist als der Wahrheitsfindung. Und als sich im Internet Informationskanäle auftaten, die nicht so stark von Anzeigenkundeninteressen und anderen blinden Flecken beeinflusst zu sein schienen, hab ich mich natürlich auf das Surfbrett geschwungen. Freilich war ich mit maximal 56 Knoten nicht sonderlich schnell unterwegs. Aber ich war sexuell unausgelastet Single und hatte Zeit, weit herumzukommen - auch durch trübe Gewässer:

- zu Ami-Patrioten, die überzeugt sind, dass die Federal Reserve und der IRS Marionettenveranstaltungen des jesuitengesteuerten Vatikans sind, um aufrechte weiße Protestanten monetär zu versklaven - und dass der UPC-EAN-13-Strichcode das Zeichen des Tieres 666 aus der Apokalypse enthält

- zu einem Engländer, der ziemlich überzeugende Belege dafür gesammelt hat, dass wir von einer außerirdischen Halbreptilienrasse regiert werden

- zu Zeitgenossen, die überzeugt sind, dass das Deutsche Reich in der Antarktis nach wie vor eine geheime Basis betreibt, auf der sogenannte Flugscheiben stationiert sind, die nach Plänen von Außerirdischen konstruiert wurden

- desweiteren zu Zusammenhängen zwischen Marspyramiden und Maya-Kalender, zu dem mit der Spitze nach unten zeigenden Pentagramm im Stadtplan von Washington D.C., zu Seiten, die beweisen, dass die Juden eigentlich gar keine Juden sind, sondern Nachfahren der Khazaren und dass die Germanen in direkter Linie von den alten Sumerern abstammen und dass weltpolitische Ereignisse gern nach okkulten Zeitrechnungen getimt werden (Beginn der Irak-Offensive an den Iden des März etc.).

Kurzum: Was auch immer an kruden und abgefahreren Theorien kursieren mag da draußen, die Chance ist recht hoch, dass ich davon gehört und gelesen habe. Ein Zwischenergebnis dieses groß angelegten Selbstversuchs kann ich hier gern kundtun: Die Sogwirkung solcher Seiten ist enorm. Wenn man nicht aufpasst und mental einigermaßen stabil ist, landet man unweigerlich in einer Matrix, die einem permanent suggeriert: Du bist dem großen Ding auf der Spur, alle anderen in Deinem Umfeld sind konsum-sedierte Penner, die nicht verstehen wollen, was wirklich abgeht. Aber Du, Du hast die Checkung: Alles Lüge, was uns Magazine, Zeitungen und Sender erzählen, wir werden rauf und runter verarscht, und wenn die Mondlandung gefaked ist, warum sollte dann nicht auch der Holocaust gefaked sein - oder zumindest stark übertrieben?

Und so kommt eins zum anderen: Dann sucht man sich einen passenden Nick - wie zum Beispiel Ragnarök, Thors Hammer oder Odin. Man postet in Foren rum oder bloggt und kommt auf den Geschmack, dass die Umwelt hysterisch, panisch oder aggressiv reagiert. Liefert es doch die beste Bestätigung, dass man recht hat. Und allerspätestens an diesem Punkt ist aus einem Wahrheitssuchenden ein Irregeleiteter mehr geworden.

Ich für mein Teil kann aus alledem nur die Schlussfolgerung ziehen: Die Suche nach der Wahrheit geht weiter. Aber jeder, der mir erzählen will, er wäre im Besitz d e r W a h r h e i t, der macht sich in meinem Augen ziemlich verdächtig.

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"Auch wenn der Holocaust da nicht explizit geleugnet wurde, war es angesichts der ganzen judenfeindlichen Stoßrichtung dieses Blogs definitiv die richtige Entscheidung von Dirk Olbertz, den Anfängen zu wehren."

D´accord. Ich bin der Auffassung, dass Herr Olbertz nicht dazu verpflichtet ist, vermeintlichen "Wahrheitsvermittlern" ein Forum zur Verbreitung ihres obskuren Gedankenguts zu bieten.


"Mir ist politisch korrekter Gesinnungsterror von links nämlich genauso verhasst wie die dumpfen Ressentiments, die auf der rechten Seite des politischen Spektrums kultiviert werden."

Auch hier: Volle Zustimmung. Jetzt mach ich mich mal schnell unbeliebt: Nicht selten liest man auch bei so manchen vermeintlichen Linken (und damit meine ich ausdrücklich nicht explizit Blogs!) mindest ebenso antisemitisch angehauchten und kruden Mist wie auf der "anderen" Seite. Ich würde so weit gehen wollen, dass sich die Extremen schon wieder annähern. So sehr unterscheiden sich einige der Fanatiker auf beiden Seiten da nicht.


Zum Rest: Keine Theorie ist so absurd, als dass nicht ein Professor daran glauben würde.....

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Das Problem ist: Spätestens bei myblog poppen solcherlei Gestalten wieder auf. Da sieht man sowas ja nicht so eng ...

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Natürlich finden diese "Gestalten" genug Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Eben das sind dann die "grenzenlosen Möglichkeiten" des Internet. Und da schwirrt weiß Gott genug Mist umher (vg. Marcs Aufzählung). Von harmlosem Käse bis hin zu einschlägigen wirklich üblen Seiten. Da ist die Blogwelt lediglich ein winzig kleines Spektrum...
Dennoch: Es muss ja nicht überall sein.

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Auch ich stimme ihnen zu. Sowas muss/sollte man nicht unterstützen. Ich selbst habe da sogar einen unterbewussten Riegel. Sollte ich einmal extrem anders geartete Meinungen im Internet finden, schalte ich spätestens nach dem 5. Statz innerlich ab. Ich kann mir nicht helfen, solche Meinungen interessieren mich nicht einmal.

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Mich schon -
mich reizt es sogar immer wieder, zu versuchen, die Schranke der kognitiven Dissonanz zu durchbrechen, zu verstehen: Wie kann man zu so einer Auffassung kommen? Aber nur, wenn ich es mit einem halbwegs intelligenten Gegenüber zu tun habe. Bei offensichtlicher Beschränktheit verliere ich auch sehr schnell das Interesse an einer Auseinandersetzung.

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Ich muß sagen, daß mir die Archivtexte auch sehr schnell aufgestoßen sind - und das, obwohl ich auch schon über ähnliche Theorien gestolpert bin - aber das kam mir einfach nur so vor, als versucht jemand mit eigenen Worten wiederzugeben was er selbst nicht verstanden hat.
Gut so, daß ich nicht früher drüber gestolpert bin, sonst hätte ich mich vielleicht veranlaßt gesehen, meine Zeit daran zu verschwenden.

@zitta: Warum hab ich nur manchmal daß Gefühl, daß ihr Rechten mit zweierlei Maß an manche Sachen rangeht? Auf der einen Seite heulst Du hier rum, daß die Meinungsfreiheit mißachtet wird, auf der anderen Seite pflegst Du eine gewisse Nostalgie und wünschst Dich in die 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück - so als wüßtest Du nicht, wie man damals mit anderen Pennern so umgegangen ist...

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Schön, daß Sie sich mit 'Penner' angesprochen fühlen Frau Zitta. Dabei wünsch weder Ihnen noch dem Wahrheitspropheten dem Sie so vergeblich nachheulen die Unerziehung im 'Arbeitslager' an den Hals die man laut Ihrer Theorie immer noch vollzieht.

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Ach, der Zittawolf...

Was an Sintis und Juden ist denn so unsinnich? Auf der einen Seite geben Sie diese ominösen Rassentheorien (die ich, ehrlich gesagt, nie verstanden habe und für blanken Unsinn halte) unkommentiert wieder, wollen Sich aber dann im nächsten Satz davon distanzieren.

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@eric: Wieso erwarteste denn da Logik? ;-)

@Zitterwolf: Ich konstatiere, dass sich der Zitterwolf wohl nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung befindet. An und für sich nichts bemerkenswertes. Aber ich erkenne deutlich das therapeutische Element. Vielleicht doch mal in ner Sitzung ansprechen, hm?

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Ich hoffte, ein paar Meinungsäußerungen zu lesen die mich das Zitta besser einsortieren läßt - wozu habe ich denn sonst die Gabe, meine Meinung über andere auch mal ändern zu können.
Aber entweder hat es keine Meinung, oder es steht nicht dazu.

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Schwierig zu diagnostizieren.
Ich denke, unser Wölfchen wehrt sich vehement gegen jegliche Einsortierung. Gerne auch mit provokanten Nebelkerzen. Aber für nen Rechten oder gar Fascho halte ich ihn eher nicht.

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Stimmt,
Jemand der gerne provoziert, das ist er, dabei auch leicht affin für Themen von und über Rechte - das ihn das noch nicht zu einem solchen macht ist mir schon bewußt, läßt ihn aber sehr schnell in einem solchen Licht erscheinen.
Aber das könnte wirklich auch nur eine Nebelkerze sein und in Wirklichkeit ist er ein braver Buchhalter, der kurz vorm Rentenalter noch ein wenig uns Jungfüchse durch Klein- Boggersdorf treiben will...

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Mag ja sein....und wegen mir müssen auch nicht zig Schubladen aufgemacht werden.

Nur: Weder Fich noch Fleich? Muss es immer das Drumrumlavieren sein? Irgendwann geraten dann derartige Provokationen schnell in den Verdacht der bloßen Provokation um der Provokation willen.

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es is ma widda überdeutlich
sie sind zu unfähig die rassentheorie zu erfassen aber darüber urteilen können sie: genial. so können sie natürlich auch nie die ironie erfassen aber ich denke nich im mindesten daran hier pädagogisch zu wirken. pisa schlägt halt durch. das is unendlich traurich und je pseudolinker sie sich geben umso weniger haben sie kenntnis von dem worüber sie reden.
erbärmlich.
und erippus wie schnitzel können noch nicht ma lesen. selbst das is nich drinne.

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Die Wahrheit ist eine Hure, eine H u r e, jawohl!

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Das geht auch kürzer ;o)
Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.
André Gide (1869-1951)

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Und wieder
eine Bildungslücke gestopft. Ich kannte den Spruch, wußte aber nicht, von wem er ist. Der Herr Küchenruf wird sich den sicher auch gleich notieren...

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ein admin-job ist undankbar. das kenne ich aus den foren, in denen ich mich aufhalte. es gibt immer welche, die sich oder andere zu unrecht zensiert fühlen sowie auch solche, denen es gar nicht streng genug zugehen kann. wo bewusst aggressiv und persönlich beleidigend gepostet wird, gibt es für mich eigentlich keinen zweifel, das zu zensieren. mit dem politischen dagegen ist es so eine sache... wo hört meinungsfreiheit auf und wo fängt verleumdung an? ich will gar nicht position beziehen zum konkreten fall, den ich zudem nicht wirklich mitverfolgt habe...
die entscheidungen werden immer wieder situativ neu gefunden werden müssen, irgendwo entlang der existierenden normen, zum wohl möglichst vieler. (<-womit wir schon in einer ethischen grundsatzdebatte wären ;))

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Zu dieser, na sagen wir mal - ominösen „Wahrheitsseite“: Die menschliche Historie ist voll von Wahrheiten bzw. Hirngespinsten die zur Wahrheit postuliert wurden. Jede dieser Wahrheiten hat, um Bedeutung zu erlangen, zu den primitivsten und dadurch menschlichen Mitteln gegriffen, nämlich Denunziation und Diskriminierung. Ideen und Ideale haben nur dann eine wirksame Basis wenn sie einen wirksamen Gegenpol, eine Schattenseite zur "erhellenden" Wahrheit, benennen können. Die Juden waren der brauchbare Gegenpol zu den Nazis und deren rassistischer Lehre, Millionen von Ermordeten und nicht nur Juden, waren der Preis für diese Wahrheit. Das Problem an einer solchen „Wahrheit“ ist immer, das sie sich nach kurzer Zeit verselbständigt und von einer, wie dumm auch immer gearteter Idee zur Massenhysterie wird. Leider, und das sehr bedrückend gemeint, lernt der Mensch nichts aus dem Vergangenen, nichts aus der Geschichte die voll von Irrtümern ist, die als die einzige Wahrheit verkauft wurden und werden.

Einige Worte zu den Zitaten aus dem babylonischen Talmud, der KEIN heiliges Buch ist. Die angeführten Sätze sind, wie Zitate immer, aus dem Zusammenhang gerissen. Im Talmud diskutieren einige Rabbiner über die Auslegung der Thora, in einer Zeit in der es Isra-el nicht mehr gab und die Juden in die Diaspora gingen. Bildlich gesehen wurden die Zitate um ein, in der Mitte des Blatts aufgeschriebenen Satz oder Absatz aus der Thora, eingefügt. Die babylonische Gemeinde erkannte den Untergang ihrer Kultur-, Religions- und Rechtsgeschichte. Um Dieser entgegen zu wirken, wurde versucht, die noch bekannten Traditionen mit den Worten der heiligen Schrift zu vereinbaren. Ähnlich wie die jüdischen Auswanderer aus dem kommunistischen Russland die auch keinen Bezug mehr zu ihren religiösen und kulturellen Wurzeln haben. Die genannten Zitate werden im Talmud durch andere Rabbiner wiederum entkräftet oder als Unsinn beschrieben. Um ein Beispiel zu nennen, wird von einem der Lehrer die Schlange als ein Geschöpf des Bösen bezeichnet. Worauf der andere Antwortet: „…wenn Gott der Schöpfer ist, so hat er auch die Schlange geschaffen und daher hat sie eine Daseinsberechtigung“ (nur dem Sinn nach übersetzt).

…den nicht alle der Neuntausend Gerechten kommen aus dem Volke Israel, viele werden auch unter den Gojim gefunden werden…

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Ich bin froh, Herr Nicodemus,
dass Sie diesen Punkt mit den Talmud-Zitaten ansprechen. Das nimmt meine diesbezügliche Frage vorweg, die ich schon auf dem Zettel hatte. Die einschlägigen Passagen, die beweisen sollen, wie gering die Gojim geachtet werden vom Judentum, werden einem auf den einschlägigen Seiten ja immer wieder gern um die Ohren gehauen. Und natürlich erinnert sich der durchschnittlich Bibelkundige dann auch an Textstellen aus dem alten Testament, wonach Gott die Juden als sein auserwähltes Volk betrachtet und an die ständigen Gemetzel mit den Nachbarvölkern. Da muss man gar nicht bis zu den angeblichen Protokollen der Weisen von Zion vordringen oder den aktuellen Nahostkonflikt bemühen, um sich zu fragen, hey, wie sie die denn drauf, die Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs? Und um das herauszufinden, ist Dialog mit dem Bemühen um Verständnis m.E. der einzige vernünftige Weg.

Das Beispiel mit der Schlange ist übrigens sehr schön und anschaulich gewählt. Für mich, der ich laut indianischem Horoskop im Mond der Schlange geboren bin, ist die schillernde Rolle dieses Reptils in der Religionsgeschichte selbstredend ein besonderes Faszinosum. Damit meine ich nicht nur die Schlange im Paradies, sondern auch die ehernen Abbilder, denen die Israeliten in der Wüste Verehrung bekunden mussten, wenn sie nicht gebissen werden wollten. Oder auch Schlange, die sich als Symbol der Heilkraft um den Aeskulap-Stab wickelt und last not least die rote Kundalini-Schlange. Ich denke, das wird demnächst mal einen eigenen Thread bei religionsfreiheit.blogger.de hergeben...

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Danke, Herr Mark!
Der Talmud zeigt nichts anderes als ein Bild über den Zustand einer Gemeinschaft nach jahrelanger Besatzung, Fremdherrschaft und Krieg. Es ist eine Auseinandersetzung über Kultur und Religion die keine klaren Richtlinien mehr hat und aus dem wenigen noch Vorhandenen, sich neu bildet. Die Gojim, die in diesen Passagen angesprochen wurden, waren die Besetzter und Feinde aus der Vergangenheit und nicht der babylonischen Gegenwart. Der Talmud sagt nicht was Richtig oder Falsch ist, vielmehr werden emotionale und rationale Sichtweisen dargelegt und ergebnislos diskutiert.

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