Dienstag, 24. Mai 2005
112
Gestern habe ich die numerologische Steilvorlage verpasst, aus Anlass von "Online seit 111 Tagen" einen schnapszahligen Beitrag zu schnitzen. Stattdessen ruft mir die 112 heute den Wohnungsbrand im Haus meiner Eltern zurück ins Gedächtnis. Der meinen Vater das Leben gekostet hat. Und bei dem ich nach zwei Versuchen, noch in die verqualmte Wohnung reinzugehen und ihn da rauszuholen einsehen musste, dass ich das besser der Feuerwehr überlasse.

Die war auch verdammt fix, ebenso der Notarztwagen. Und als mein Vater auf der Liege in NAW wieder zu sich kam und mit der Notärztin rumflachste, schien alles nicht so schlimm. Aber die Ansage der Ärztin, morgen wäre er wieder wohlbehalten zuhause, hat sich nicht bestätigt. In der Nacht starb er ohne klar erkennbare Ursache, und erst die Obduktion brachte es zutage, dass er wohl einen Herzanfall gehabt haben muss. Dieser Herzanfall hat ihn erwischt, als er einen Tiegel Fett für Pommes Frites auf dem Herd hatte. Ich war im Keller den Flur am Tapezieren, und da meine Mutter ein paar Tage weg war, hatte er versprochen, Pommes à la Papa zu machen für mich.

Das ist jetzt gut zehn Jahre her. Mein schwerer schwarzer Ledermantel, den ich an jenem Tag anhatte, riecht manchmal noch ganz leicht nach dem Brand. Und mit dem Geruch in der Nase kommen auch die Bilder wieder zurück. Und mit den Bildern die Erinnerung an das beschissene Gefühl, nichts tun zu können. Einen dritten Versuch, da selber nochmal reinzugehen, hätte ich vermutlich selber nicht überlebt.

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Das ist ja schrecklich. Ohnmacht ist überhaupt eines der stärksten, deprimierendsten Gefühle. Da haben Sie einen sehr belastenden, "proust'schen Keks" mit einem Geruch für eine sehr schwierige Erinnerungsreise. Ich hätte den aber auch aufbewahrt.

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Feuer
Tut mir leid mit Deinem Vater.
Deine Geschichte erinnert mich an einen Vorfall auch vor über 10 Jahren, der aber für uns noch glimpflich ausging.
Ein Adventskranz auf einem massiven Holztisch fing durch glimmende Tannenzweige Feuer, während wir schon im Bett lagen. Der Tisch fing Feuer und die ganze Wohnung war voller Qualm. Keine unserer Katzen weckte uns, die versteckten sich in den hintersten Ecken. Glücklicherweise wurde ich wach. Machte aber nach Fachmann-Aussage intuitiv das Falsche. Ging aber gut aus. Öffnete die Balkontür und erstickte das Feuer mit einer Polyesterdecke (war nichts anderes greifbar auf die Schnelle).
Der Gestank war noch lange danach in der ganzen Wohnung. Das Ganze hätte auch böse ausgehen können.

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@kid:
An der Frage hätte ich nicht vielleicht doch was tun können? hatte ich in der Tat ne ganze Weile zu knabbern. Wenn seine Überlebenschancen im Endeffekt wirklich an den 60-120 Sekunden gehangen hätten, bis Feuerwehr und Rettungskräfte da waren, hätte ich wohl bis heute keinen Frieden damit gefunden.

Dass mich dieser Keks, wenn ich ihn manchmal wieder rieche, nicht gerade zum prousten bringt, ist klar. Aber im Großen und Ganzen bin ich wenigstens froh, dass es nicht viel gab, was ungesagt und ungeklärt blieb zwischen meinem Vater und mir.

@synapse: Das richtige und das falsche und was Fachleute dafür halten, das ist ein Thema für sich. Wenn es in Ihrem Fall gut ausgegangen ist, dann wars das richtige. Punkt. Wobei Polyesterdecke son wirklich nicht das beste ist, um nen Brand zu ersticken.

Während wir damals draußen auf die Feuerwehr warteten, schlug die Nachbarin vor, das Küchenfenster von außen einzuwerfen. Ich lehnte das ab, weil ich den Brand nicht weiter anfachen wollte. Ne eindeutige Aussage, ob das richtig oder falsch war, hab ich bis heute nicht gekriegt...

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Ich kenne das auch nur so, daß man nicht Türen oder Fenster öffnen soll, um keinen weiteren Sauerstoff zuzuführen. Aber wenn eine ganze Wohnung/Haus betroffen ist, wird das womöglich kaum noch eine Rolle spielen.

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oh mann,
da fehlen mir die worte.
jedenfalls gut, dass sie hier sind.

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Das stand
mehr als einmal ziemlich in Frage.

Der Name "Die dunkle Seite" reflektiert das auch ein bisschen...

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*schluck*
und zwar leer...

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Furchtbar. Mit Ohnmacht und dem nagenden Gefühl, ob es nicht doch irgendetwas gibt, dass ich noch tun könnte, bin ich zwar auch jeden Tag konfrontiert, aber auf eine sehr schleichende, nicht ultimative Art.
Was soll ich sagen? Es tut mir leid für dich.

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Ich glaube,
mit der schleichenden alltäglicheren Variante dieses Gefühls käme ich schlechter klar. So heftig das damals im Nachhinein war: In den dramatisch-entscheidenden Minuten hatte ich nen ziemlich kühlen Kopf. Beim zweiten Versuch, in die Wohnung zu gelangen, hab ich meinen Vater noch husten hören. Ich wußte also, dass er noch lebte, und dass er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der Küche in unmittelbarer Nähe des Brandherds war. Mit diesm Wissen fiel das Warten auf die Feuerwehr schon leichter. Und da die Feuerwache auch gerade mal drei Kilometer entfernt ist vom Haus meiner Eltern, waren die auch ziemlich fix vor Ort.

Viel heftiger war es für meine Mutter, sich hinter zu fragen, ob das alles vielleicht nicht passiert wäre, wenn sie nicht weggefahren wäre und so. Aber irgendwann erschöpft sich der Reiz der Konjunktive, und man versucht, seinen Frieden mit dem Indikativ zu machen...

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Es tut mir sehr leid, daß Sie Ihren Vater auf so furchtbare Weise verloren haben. Als wäre der Verlust allein nicht schon schwer genug zu ertragen.
Wie hat sich das Verhältnis zu Ihrer Mutter nach dem Tod Ihres Vaters verändert.
Gab es gegenseitige Vorwürfe, ausgesprochen oder nicht, oder sind sie enger zusammengerückt? Konnten sie einander trösten?

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Im ersten Moment
hat der Schock erst mal Gräben aufgerissen. Mein ältester Bruder, der als einziger noch bei meinem Vater im Klinikum war, hat meiner Mutter einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie ihn nicht dort noch besucht hat. Sie war ja am frühen Abend erst zurückgekommen und musste sich (auch unter Schock stehend) erst mal ein provisorisches Quartier im Speicher herrichten.

Viel gegenseitige Tröstung war da zunächst nicht, jeder hatte halt seine spezifische Art, damit umzugehen. Schadensabwicklung und das Wiederherrichten der Wohnung für meine Mutter hat uns auch viel Energie gekostet, bevor die eigentliche Trauerarbeit begann. Die brachte es dann mit sich, dass wir uns intensiver mit der Aufarbeitung unserer jeweiligen Familiengeschichte(n) befassten. Und über diesen Umweg ist dann mit der Zeit schon ein tieferes Verständnis füreinander und eine andere Qualität des Umgangs miteinander entstanden.

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Wenn ich es recht verstanden habe, ist Ihr Vater an den Folgen eines Herzanfalles gestorben, durch den auch der Brand verursacht wurde. Es kam also gar nicht darauf an, ob Sie noch einen weiteren Rettungsversuch auf eigene Faust unternommen haben oder nicht. Natürlich ist das nur eine rationale Antwort. Und selbstverständlich stellen Sie sich die Frage nach der richtigen Verhaltensweise in der damaligen Situation. Aber hoffentlich nicht ständig und nur anläßlich gewisser Auslöser wie der Zahl 112, die mir natürlich sofort ins Auge sprang. Auch ich habe eine Zahl, die sich mit Glück verband, das aber nicht von Dauer war. Noch habe ich zu dieser Zahl nichts geschrieben. Und wenn ich sie dereinst behandle, werde ich diese Bedeutung wohl verschweigen.

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Sie sagen es
Tatsächlich hat sich die Frage für mich in den Wochen und Monaten danach beantwortet. Die Zahl 112 hat mir halt den Brandgeruch nochmal in Erinnerung gerufen, aber ich musste mir mit diesem Beitrag kein Trauma von der Seele schreiben.

Zu Ihrer Andeutung von Glück, das nicht Dauer war, verkneife ich mir die wohlfeile Bemerkung, dass Glück für gewöhnlich nicht von Dauer zu sein pflegt. Ach ja, und eben erfahre ich, dass der Tippschein meiner Frau nur eine richtige Zahl enthält. Naja, für den ersten Versuch hatte ich auch nicht mehr erwartet und es eher als symbolische Opfergabe an Fortuna gesehen...

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Es ist nie einfach einen lieben Menschen zu verlieren.
Schlimm wirds erst richtig,
wenn die Zweifel kommen,
Ob man doch..
und wenn..

Es ist so wie es ist.
Man muß lernen ,
damit umzugehen.

Meine Mutter ist vor fast 18 Jahren auch an einem Herzinfarkt gestorben.
Die Leere ist immer noch da.
Und die Zweifel-
ob man etwas besser hätte machen können.
- ob man genug Zeit miteinander verbracht hat.

Es wird nie Antworten geben.
Vielleicht siehst Du nur den Tiegel Fett.
Vielleicht wäre der Infarkt aber auch einfach so im Schlaf gekommen.

*einfach mal ein Lächeln da lass*trotzdem*

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Danke für das Lächeln
Tatsächlich bin ich mit der Geschichte weitgehend im Reinen. Ich kann ansatzweise auch so etwas wie Sinn dahinter erkennen, warum es so kommen musste wie es gekommen ist.

Einiges an dieser Konstellation hat sich sogar noch mal wiederholt als am gleichen Tag ein paar Jahre später ein Freund von mir starb, der auch noch den gleichen Vornamen trug wie mein Vater. Wie das meinen weiteren Lebensverlauf beeinflusst hat, das gäbe sicher ein paar Kapitel in meinen Memoiren her, bin nicht sicher, ob ich diese größeren Zusammenhänge je bloggen werde.

Auf alle Fälle hab ich als halbwegs typischer Skorpion dem Thema Tod gegenüber keinerlei Berührungsängste. Und dass mich Dein Nick neugierig gemacht auf Dein Blog, liegt ja auf der Hand;-)))

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Zum vorvorletzen Kommentar (Glück für gewöhnlich nicht von Dauer): Natürlich ist das Glück wie das Leben und alle Dinge dieser Welt nicht von Dauer, doch hoffen wir beständig, daß sie für eine Weile, die möglicherweise unsere eigene Lebensspanne überdauert, eine gute, zumindest aber normale Entwicklung nehmen. Daß sie es oftmals nicht tun, ist normales Lebensrisiko.

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Hm, genau:
Von Dauer ist nur das Provisorium. So lehrt uns eine französische Redewendung.

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Glück.
Wenn man mal verstanden hat, dass Glück nicht von Dauer ist und dass es nur die Gegenwart gibt, dann kann sich das gegenwärtige Glück zum Dauerglück steigern.

War das jetzt verständlich?

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