Dienstag, 20. Juli 2010
Reisenotizen aus Dünnpfiff-les-Bains *
Es ist ja nicht so, dass Buchtipps an meine Adresse völlig vergebliche Liebesmüh wären. Auf Empfehlung eines geschätzten Blogger-Kollegen habe ich mir nun endlich "Der infrarote Korsar" von Wiglaf Droste angeschafft. Wobei ich gestehen muss, dass ich anfangs ziemlich fremdelte. Auch fand ich die Klappentext-Eloge, die den Verfasser gar als den Tucholsky von heute pries, ein bisschen arg najaaaa. Jetzt mal ernsthaft, hätte Tucho es im Jahre 2003 oder 2004 noch nötig gehabt, der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, dass die Adiletten genannten Badeschlappen weder für den Männer- noch für den Frauenfuß eine ansehnliche Zierde sind? Wahrscheinlich nicht, aber wenn man ohne überzogene Erwartungen an die Texte von Wiglaf Droste herangeht, strahlt einen doch so manche Perle an: launige Einlassungen zur Sommerdepression etwa oder bitterböse Betrachtungen über "Schreibtischväter" - Journalisten, die ihren frischgebackenen Nachwuchs als wohlfeiles und recherchearmes Thema ausschlachten. Da habe ich mich als Blogger natürlich auch ein bisschen wiedererkannt. Droste hat das Stilmittel der Verbmetapher im Repertoire ("Schnatzig eierstöckelte sie durchs Lokal...") und widersteht der Versuchung, es damit zu übertreiben. Überhaupt wortspielt er zuweilen mit einer gewissen unangestrengten Lässigkeit, die man sich wahrscheinlich hart erarbeiten muss: "So sehr ich es liebe, Frauen zu füttern - Claudia Roth gäbe ich nichts, nicht mal ein Menopausenbrot."

Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen.

Als "Dünnpfiff-les-Bains" sollen laut Droste zwei Schweizer Weltenbummler die Südhessen-Metropole Darmstadt einst verunglimpft haben.

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Der Wiglaf. Ich habe schon viel Belangloses von ihm gelesen, lang ist's allerdings her, irgendwelche Sachen in der taz, und werde nicht recht warm mit ihm. Da ist wenig Treffsicherheit, kein Vergleich mit Max Goldt z.B.; ein Buch allerdings habe ich dann doch gerne gelesen: "In 80 Phrasen um die Welt", illustriert von Rattelschneck, kein originärer Content von Droste natürlich, aber sehr schön gesammelt in den frühen 90ern ("Umgekehrt wird ein Schuh draus" oder "Krankheit als Weg" z.B.)

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@kein Vergleich mit Max Goldt:
Ja, völlig richtig, und das stand mir ehrlich gesagt auch ein wenig im Weg beim Versuch, mich auf die Texte von Wiglaf Droste wirklich einzulassen. Solange man dabei noch Goldt mit seinen liebevoll geschnitzten und mäandernden Miniaturen im Hinterkopf hat (und sei es nur in homöopathischer Verdünnung), zünden die Geschichten von Droste irgendwie nicht so recht, auch wenn natürlich gute Ansätze erkennbar sind. Erst mit meinem festen Vorsatz nach ein paar Dutzend Seiten vom infraroten Korsar, Max Goldt bei der weiteren Lektüre komplett aus meinem Hinterkopf zu verbannen, konnte Droste dann doch noch punkten. Vielleicht war meine Erwartungshaltung zunächst doch zu sehr durch die Goldt-Rezeption vorgeprägt. Ich würde auch nicht darauf wetten, dass Droste je Anstalten machen könnte, Max Goldt in meiner Lesergunst zu überflügeln, aber ich denke, es war trotzdem nicht verkehrt, der Lese-Empfehlung zu folgen. Über Dünnpfiff-les-Bains und so ein paar Sachen habe ich tatsächlich geschmunzelt bei der Lektüre.

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Nennt man so etwas wie diese Droste-Würdigungen hier eigentlich ein vergiftetes Kompliment? :-)

Ich gestehe, seit damals das Goldt-Defizit noch immer nicht aufgeholt zu haben und mich ob der hier durchschimmernden Bewunderung dessen endlich und schnellstmöglich anzunehmen.

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Vergiftete Komplimente -
da trauen Sie mir zu viel an Subtilitäten zu. ;-)

Und wegen Goldt: nur keine operative Hektik, so eine dringliche Bildungslücke ist das (bei aller Begeisterung) nun auch wieder nicht.

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Launige Textchen über Alltagssujets sind schwieriger, als es den Anschein hat. In Wirklichkeit giert der Schenkelklopfer in uns allzuoft nach Schadenfreude und Bestätigung der eigenen Bessermenschlichkeit. Die Dauerironisierung des Alltags geht nach ein paar Jahrzehnten Abhängigkeit gehörig auf die Nerven, und ist der Herzenswärme nicht zuträglich. Das feine Gespür, diese Klippen zu umschiffen, ist selten. Goldt und Gernhardt haben etwas davon.

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Ja, Sie sagen es.
Und ein ähnliches Übel wie die Dauerironisierung des Alltags ist der vermeintliche Sachzwang, ständig alles mögliche anprangern zu müssen - und sei es nur die Adilette oder das Arschgeweih. Letztlich geht es dabei doch auch nur um das Einsacken von wohlfeilem Distinktionsgewinn (wovon ich mich selber auch gar nicht ausnehme). An Max Goldt - wie auch an Robert Gernhardt - schätze ich die Fähigkeit zu ganz anderen und vielfältigeren Zwischentönen.

Wobei ich zu diesem Text von Wiglaf Droste sagen muss: gut gegeben!

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ich stimme grundsaetzlich allen zu, auch mir fiel der schritt von goldt zu droste sehr schwer. dennoch moechte ich kurz den in meinen augen gelungensten ersten satz in der deutschen literatur (okay, vieles in der deutschen literatur habe ich nicht auf gelungene erste saetze hin untersucht) zitieren, und zwar aus dem drosteschen kleinen text "was in bad kleinen wirklich geschah":

Am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen, Mecklenburg, erschießt der GSG 9-Beamte Michael Newrzella zunächst sich selbst.

grossartig. haetten goldt und gernhardt aber auch gekonnt, schaetze ich.

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Auf Gernhardt wiederum lasse ich nun ganz und gar nichts kommen. Wunderbar, der Mann! "Lieber Gott, ..." -- die perfekte Verbindung aus Anmaßung und Demut.

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@herzbruch: Der Satz danach ist aber auch nicht ohne …

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