Dienstag, 10. Juni 2008
Strangers in the Night
Dass ich mit der Nachbarschaft hier etwas fremdle, hatte ich verschiedentlich erwähnt. Nun ist gestern am späten Abend eine unerwartete Wende eingetreten. Ich sagte noch zu meiner Frau, die bereits in den Federn lag: "Wärm das Bett schon mal vor" - und ging wie jeden Abend noch mal mit dem Hund raus. Die alte Mischlingsdame pullerte ziemlich lustlos unter der Kastanie auf dem Platz, und gerade als wir zum Zebrastreifen trotteten, schallte es plötzlich aus Pauls Pinte heraus: "Herr Mark, wollen Sie uns nicht auf ein Bierchen Gesellschaft leisten?" Drinnen am Stehtisch der Nachbar, sein Freund von um die Ecke und noch ein paar der üblichen Verdächtigen. Und obwohl ich mich eigentlich schon längst im Bett gesehen hatte, sagte ich mir, hey, was haste schon zu verlieren - die werden Dich schon nicht fressen. Und vielleicht schreibst Du danach auch mal so eine kaputte Kneipengeschichte wie der Bukowski von Solingen, das wäre für hier mal ein komplett neues Genre.

Und so ging ich rein in die Höhle des Löwen. Der Nachbar und sein Freund hatten orange T-Shirts an und den Sieg der Niederländer über die Italiener bereits ausgiebig gefeiert. Weiter hinten in der Kneipe, da wo die Spielautomaten blinkten, legte ein Jungspund vom FC mit der Bedienung zu Howard Carpendales "Hello Again" einen ansehnlichen Discofox aufs Parkett, während wir uns vorne am Stehtisch abtasteten im nachbarschaftlichen Smalltalk. Die Frage, die die Umstehenden anscheinend schon länger beschäftigt hatte, stand auch relativ klar im Raum: Was ist das für einer, der schon anderthalb Jahre hier wohnt, aber nie in die Kneipe geht - kann der nicht, will der nicht - oder darf der nicht so wie wir? Und so ließ der Nachbar nach der was-weiß-ich-wievielten Runde Alt irgendwann die Katze aus dem Sack: "Weißt Du, was über Dich getratscht wird hier im Viertel?" Auch wenn ich es mir natürlich denken konnte, heuchelte ich brennende Neugier. "Also, nimms mir nicht übel, Mark, wenn ich das ganz offen ausspreche", leitete der Nachbar seine Rede ein, "sie sagen, Du stehst bestimmt voll unter der Fuchtel Deiner Frau."

Ach, echt? Na, schau an. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob jetzt wohl nach traditionellen Männerkneipenstandards von mir erwartet wird, dass ich dem Nachbarn seine Designerbrille abziehe und ihm so eine verbrezle, dass seine Nasenspitze zum Hinterkopf rauslugt. Aber das ist halt nun mal nicht meine Art - und so sagte ich nur, "aus dem traditionell-patriarchalischen Blickwinkel heraus betrachtet, mag das durchaus den Anschein haben."

Gleichwohl war es mir wichtig, klarzustellen, dass es keiner Verordnungen meiner geliebten Frau bedarf, um mich davon abzuhalten, mir in einer verrauchten Kneipe mit schlechter Musik regelmäßig die Lichter auszuschießen. Auch auf die Gefahr hin, als verschrobener Sonderling zu gelten, müsse ich bekennen, dass dergleichen nun mal nicht zu meinen Grundbedürfnissen gehört. Tatsächlich hatte meine Frau mich ja auch schon explizit ermuntert, mich in der Pinte mal zu der Runde zu gesellen.

Ansatzweise konnte ich vermitteln, dass ich einen Teil dessen, was mir da vielleicht entgehen mag, im virtuellen Raum kompensiere. Aber ich fürchte, was den speziellen Reiz des Blogbetriebs ausmacht, konnte ich den Herren am Stehtisch auch nicht so recht verklaren, bis wir nachts um zwei von dannen wankten. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht, ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für die Menschheit Nachbarschaft.

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Hm. Ich glaub zwar kaum, dass du tatsächlich so Worte wie "traditionell-patriarchalischer Blickwinkel" am Tresen einer FC-Kneipe gebraucht hast, ist aber auch egal: Ich hab (auch) seit Jahren kein Bein mehr in eine Kneipe gesetzt.
Kneipen langweilen mich.

Und was den Bukowski von Solingen betrifft: Die Geschichte läuft andersrum. Bukowski war der Glumm von Los Angeles. Aber das kann nicht jeder wissen. Ist schon okay.

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Naja,
FC-Kneipe triffts nicht so ganz, das Publikum ist durchaus gemischt und wechselt zum Teil je nach Wochentag und Wetterlage. Der Nachbar und sein Kumpel jedenfalls machten durchaus den Eindruck, die allgemeine Hochschulreife in der Tasche zu haben, von daher verkniff ich mir nicht krampfhaft alle Fremdwörter.

Und was Zuordnungen Glumm/Bukowski angeht, muss ich darauf verweisen, dass vor über 20 Jahren, als ich Germanistik- und Anglistik-Seminare besuchte, die Fünfzig O-Beine nicht zum kanonischen Lesestoff gehörten, wohl aber der Mann mit der Ledertasche. Was jetzt weder ein Qualitätsurteil sein soll noch der Auftakt zu einer Huhn-oder-Ei-Debatte.

Das Urteil, dass Kneipen langweilen, würde ich aber tendenziell auch weiterhin unterschreiben.

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*g* Ich muss zugeben, dass es schwer fällt, sich das Schreiben in einer virtuellen Nachbarschaft als Ersatz für das Ausgehen in der realen Nachbarschaft vorzustellen, wenn man es selber noch nie gemacht hat.

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Nächstes Jahr marschieren Sie dann im Schützenzug mit.

Und Sie haben doch hoffentlich zu Hause angerufen und gesagt, dass es später wird? ;-)

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Daran habe ich sofort gedacht. "Moment Jungs, ich muß mich eben abmelden!"

(Gehört sich ja auch so.)

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Gedacht habe ich auch daran,
aber irgendwie ahnte ich nach paar Minuten, dass meine Frau wohl schon schlummert. Hatten wir schon öfters, der Hund kommt mit seinem Geschäft nicht zu Potte, schnüffelt hier und da und steht unschlüssig in der Botanik rum, und bis ich wieder oben angelangt bin, weilt meine Frau schon im Land der Träume.

@cut: Eher würde ich noch zu einer Reservistenübung einrücken als in so einer Operettenuniform zu paradieren. ;-)

@jammernich: Ja, das zu vermitteln ist mindestens ebenso schwierig wie jemandem, der nicht in meiner Branche arbeitet, nachvollziehbar zu erklären, welche Themen ich beruflich beackere. Es hilft der Sache auch nicht, wenn man dabei gegen Kneipenhits wie "das rote Pferd" anbrüllen muss, zu denen die Gäste im hinteren Teil der Gaststätte steil gehen akustisch und motorisch.

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Haha! Was bin ich froh, dass es hier keine Kneipe gibt, in der man über uns tratschen könnte. Wobei sie das bestimmt trotzdem tun.
Ich finde es trotzdem gut, dass Sie Tuchfühlung aufgenommen haben. So ein paar Kontakte in der Nachbarschaft kann man immer mal brauchen.

Und was sagte Ihre Holde zu der Geschichte? Stand sie mit dem Nudelholz hinter der Tür?

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Nein, natürlich nicht. ;-)
Sie ist wenige Minuten nachdem ich aus der Tür bin, gleich eingeschlafen, ohne noch die Nachttischlampe auszuknipsen. Sie ist dann auch nicht aufgewacht, als ich Stunden später zurückkam und das Licht löschte. Erst als ich noch eine Weile rumlag ohne einschlafen zu können, ist sie auch aufgewacht und fand das dann total spannend, was ich von meiner Expedition berichtete. Irgendwann kurz bevor es dann anfing hell zu werden, sind wir dann endlich eingeratzt.

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Die wollten doch nur spielen, die Nachbar.

Der Nachbar an sich ist ein Netter. Ich spreche da aus Erfahrung.

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Man liest und hört
ja oft von Erfahrungen anderer Menschen, die völlig konträr zu den Ihren sind: Die Gerichte ächzen vor Überlastung durch Bagatellklagen wegen Knallerbsensträuchern vor Maschendrahtzäunen oder Tellern, die schalldruckbedingt von der Wand fliegen. Und dennoch bin ich geneigt; Ihnen Recht zu geben. Von meinen ganzen bisherigen Nachbarn kann ich wenig bis gar nichts schlechtes sagen.

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Also ich hatte am Wochenende endlich mal den Plan umgesetzt, die Sommerräder gegen die Winterschlappen zu tauschen. Leider wollte das letzte Rad einfach nicht abgehen. Nach gut 1 1/2 Stunden sinnloser Versuche und einer halben Dose Entroster auf der Felge kam mir mein Nachbar mit einem Brecheisen zuhilfe. Ohne ihn säße ich wahrscheinlich entweder immer noch vor dem Rad oder hätte die restlichen Winterräder wieder draufgeschraubt. Ich mag unsere Nachbarn! }:-)

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Wie -
Sie machen jetzt schon Winterreifen drauf? Und ich dachte schon, ich wäre Wetter-Pessimist;-))

Aber ich kenn das, habe bei einer Reifenpanne aus diesem Grund auch mal den ADAC hinzuziehen müssen, weil die verf*ckte Felge ums Verrecken nicht von der Achse runterwollte. Der freundliche Herr im gelben Auto, der zunächst mild-spöttisch lächelte bei meiner Problemschilderung, schwitzte und stöhnte auch - trotz seines langen Arbeitsgeräts. Worauf ich mir den Hinweis nicht verkneifen konnte, "wenns so pipieinfach wäre, hätt ich Sie ja nicht gerufen und anderthalb Stunden in der Kälte rumgestanden." Letztlich mussten wir das Auto vom Wagenheber wieder runterleiern und mit kombinierten Kräfteeinsatz (der Pannenhelfer mit der Stange am Stemmen - ich am Lenkrad in Gegenrichtung kurbelnd) zu Werke gehen. Nach ein paar Versuchen hatten wirs dann. So ein hartnäckiges Biest habe er auch nicht erlebt, sagte der ADAC-Mann noch. Worauf ich mir den Scherz erlaubte: "Jetzt kann ichs Ihnen ja sagen: Ich hatte es bisschen festgeschweißt, damits besser hält, auch wenn die Radmuttern mal verlorengehen." Fand er irgendwie nicht so lustig. OK, nem netten Nachbarn hätt ich so nen Spruch auch nicht gedrückt. ;-)

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für die zukunft ein paar heiße tipps für kühle winter - schon beim aufstecken der winderräder...

1. profiversion:
...nabe mit kupferspray einsprühen (mittig an den auflageflächen - nicht in die gewinde!)

2. amateurversion:
....stattdessen (batterie-)polfett auftragen

3. basisversion:
...radkappen benutzen

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Ich könnte mir vorstellen...
...daß nach diesem schönen Satz

"aus dem traditionell-patriarchalischen Blickwinkel heraus betrachtet, mag das durchaus den Anschein haben."

von Ihnen erst einmal ein Bier fällig war, oder?

So etwas hört man wahrscheinlich selten in der Eckkneipe...

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Na, die Jungs in der Schwemme hatten ja ganz schnell die Richtige Peilung. Also Fuchteltechnisch gesehen jetzt. Die sind nämlich üblicherweise Leidensgenossen, weil sonst würden die ja zuhause bei Mutti sein, und nicht in einer von diesen, also wie sagt man das jetzt, ausgeräucherten Bierfallen.

Und was Nachbarn angeht, die können auch ganz anders. Meine z. B.

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Hihi. Geben Sie es endlich zu, Ihre Frau zwingt Sie, abends daheim zu bleiben und zu bloggen.

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Haha,
genau. Es musste erst eine Frau kommen, um das klar zu sehen. Ich habe ja oft versucht, Hilferufe zu posten, nach dem Motto, ich bin kein Blogger, holt mich hier raus, ich werde hier nur gegen meinen Willen festgehalten. Aber ich musste das immer wieder löschen, wenn sie per Blackberry kontrollierte, was ich schreibe. Wahrscheinlich werde ich auch diesen Kommentar wieder löschen müssen. ;-)

Tatsächlich ist der Topos "zu den Freunden in die Kneipe gehen" ein running gag bei uns seit die Kleine unterwegs war. In jedem Ratgeber für werdende Väter wurde lang und breit und immer wieder darauf abgehoben, dass die zukünftigen Väter dieses Opfer bringen müssten, nicht mehr jeden Abend mit ihren Freunden in die Kneipe zu gehen. Aber nachdem ich auch schon in meinen langen Singlejahren kein großer Kneipengänger vor dem Herrn war, gab es da schlechterdings kaum was zu opfern. Wobei ich es künftig auch bestimmt nicht als große Zumutung empfinden werde, mich da ab und zu mal in die Runde zu gesellen. Aber es fiele mir wesentlich leichter, wenn da nicht so viel gequalmt werden würde.

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das dürfte ja auch bald vorbei sein. wobei ich mir noch nicht vorstellen kann, wie das in rheinruhr funktioneren soll.

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In jedem Ratgeber für werdende Väter wurde lang und breit und immer wieder darauf abgehoben, dass die zukünftigen Väter dieses Opfer bringen müssten, nicht mehr jeden Abend mit ihren Freunden in die Kneipe zu gehen.

Echt, sowas steht da drin? Ich hatte so ein Buch noch nie in der Hand, frage mich aber gerade, wie sowas bei den Lesern ankommt. Ich glaube, ich bekäme das Gefühl, der Autor oder die Autorin halte mich für reichlich blöde.

Und was das Nachtleben angeht, so wird das vielleicht in zwölf, dreizehn Jahren wieder aufregender, wenn Sie nachts zu irgendwelchen Kneipen oder Clubs gurken, um Ihre Tochter einzusammeln, damit sie auch sicher nach Hause kommt, wenn sie den letzten Bus verpasst hat.

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@sowas steht da drin:
Ja, sicher - wobei ich zur besseren Einordnung vielleicht dazusagen sollte, dass das so pseudo-ironisch und quasi-lockerflockig geschriebene Ratgeber waren, deren Humorlevel nicht mal entfernt an Kishons Familiengeschichten heranreichte. Da wo es unironisch zur Sache ging, wurden zum Teil noch ganz andere Selbstverständlichkeiten breitgetreten, dass man zum Teil wirklich den Eindruck gewinnen konnte, diese Werke richteten sich an Neandertaler...

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Ach, Du liebe Zeit. Als würden Männer, die mit einer Frau zusammenleben, jeden Abend mit ihren Freunden in die Kneipe gehen. Vor allem die, die auch noch Ratgeber für werdende Väter lesen.

Ich wette, da könnten Sie einen besseren schreiben. Wo dann auch drinsteht, was Männer in der Zeit wirklich bewegt (und mitunter vielleicht auch Sorgen bereitet).

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Ach,
ich würde nicht drauf wetten, dass ich das besser könnte. Manches war wirklich ansprechend und unterhaltsam geschrieben, anderes rückte eher das Sorgenpotenzial und den Nutzwert in den Vordergrund. War halt nur nicht die richtige Mischung aus alledem dabei, deswegen hatte ich bisschen das Gefühl, eigentlich meine Zeit zu verschwenden.

Ich würde auch nicht davon ausgehen, dass meine Sorgen unbedingt repräsentativ gewesen sind für das, was meine Geschlechtsgenossen in der Zeit umtreibt. Wie anderes, was in den Büchern ausführlicher problematisiert thematisiert war, mich völlig kalt ließ. Weder machte ich mir Sorgen um die künftige Attraktivität meiner Frau noch um unser Sexualleben nach der Entbindung. Mehr Gedanken machte ich mir darüber, wie ich mit unserem abweichenden Rollenmodell klarkommen würde, ob ich nach wenigen Monaten den totalen Koller kriege, gerade weil ich eben nicht wie andere Männer in verschärfte Bürotätigkeit flüchten konnte.

Ansonsten ist es halt so (wie bei Frauenbüchern) auch: Die wirkliche Hauptsorge, ist das Kind gesund, wird die Mutter keine Komplikationen durchleiden müssen, kann einem kein noch so gut geschriebenes Buch nehmen.

Ich sage es sehr ungern, aber das Mami-Buch von Katja Kessler soll sehr gut sein...

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