Mittwoch, 2. Dezember 2009
Dorfklatsch
Das wäre ja ein Ding, wenns stimmt: Vorige Woche hätten die beiden Ausbrecher aus dem Aachener Gefängnis auf dem Platz vor unserem Haus Station gemacht. Behauptete vorhin jedenfalls ein älterer Herr, den ich flüchtig (haha!) kenne. Donnerstag abend sei er mit seiner Frau in das italienische Restaurant hier am Eck gegangen, und auf dem Weg über den Platz seien sie von einem Typen auffällig interessiert beobachtet worden, während ein anderer etwas weiter weg stand. Sehr unangenehme Ausstrahlung hätten die beiden Männer an sich gehabt, und erst am nächsten Morgen bei der Lektüre der Morgenzeitung sei es ihm und seiner Frau wie Schuppen von den Augen gefallen, wer ihnen da im Dunkeln begegnet sei. Er habe dann auch gleich die Polizei verständigt.

Eigentlich bin ja fast geneigt, diese Räuberpistole zu glauben. Die lückenhaft rekonstruierte Fluchtroute schließt nicht aus, dass die beiden linksrheinisch unterwegs waren und hier einen Zwischenstopp auf dem Weg nach Essen eingelegt haben. Andererseits erzählt der gute Herr Kühn (Name leicht verfremdet) viel, wenn der Tag lang ist. Er prahlt immer gern damit, was er alles für tolle und hochkarätige Leute kennt und ist eigentlich nur ein leicht verkrachter Postkartenmaler aus Österreich esoterisch angehauchter Sonderling, der Buddha-Bildchen und kleinformatige New-Age-Bildchen mit Engeln malt und sich überdies als "Lichtarbeiter" bezeichnet. Also kurz gesagt jemand, bei dem es nur mäßig wundern würde, wenn er plötzlich auch von Außerirdischen oder schwarzen Hubschraubern über dem Dorf berichten würde. Naja, wie auch immer: Ich habe der Lokalredaktion des hiesigen Käseblatts den Tip gegeben, doch mal bei der Polizei nachzuhaken, ob zu dem Fall auch Hinweise aus der hiesigen Bevölkerung eingegangen sind. Damit (und mit diesem Blogeintrag) betrachte ich meine Bürger- und Chronistenpflicht soweit als erledigt.

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Naja, es kamen ja wohl Hinweise aus der ganzen Republik. Warum denn nicht auch aus, äh … wie hieß das noch mal, wo ich geboren bin … egal.

Schön hingegen finde ich, dass sich keine Privatfernsehenkompatible Geiselnahme entwickelt hat, mit Autogramstunde am Dom und Live-Interviews mit dem Opfer (Unsere Zuschauer würden gerne wissen, ob sich das Mündungsende der Pistole kalt am Hals anfühlt.). Da ekelt mich immer noch vor den Menschen, die *das* zu verantworten hatten. Und damit meine ich nicht die mit der Knarre in der Hand. Pfui …

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Ein zweites Gladbeck
(oder schlimmeres) ist gottlob ausgeblieben. Und man kann froh sein, wenn man in keinster Weise zum Mitwirkenden bei so einem Stück wird. Ich habe mich manchmal gefragt, was ich gemacht hätte, wenn ich damals in Köln in der Fußgängerzone gewesen wäre, ob ich nicht vielleicht auch auf die Idee gekommen wäre, mich zu den Typen ins Auto zu setzen, um die aus der belebten Einkaufsstraße rauszulotsen. Ausschließen kann ich es nicht. Interviewt hätte ich die Typen aber nicht, wenigstens das kann ich mit Gewissheit sagen.

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Kann man nicht zumindest sicher sagen, dass man einer derartigen Menschenmenge aus dem Weg gegangen wäre?

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Tatsächlich meide ich
größere Menschenansammlungen so gut es geht. Wenn irgendwo Leute rumstehen, stelle ich mich für gewöhnlich auch nicht dazu, sondern gehe meiner Wege. Aber durch die eine oder andere überlaufene Fußgängerzone habe ich mich auch schon durchgequetscht.

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Wikipedia: „In Köln, wo Rösner, wie er später angab, den Dom sehen wollte, kam es dann abermals zu fragwürdigem Verhalten seitens der Journalisten, als diese gegen 11 Uhr inmitten von Passanten in der Fußgängerzone Breite Straße in der Kölner Innenstadt das Fluchtauto mit den Straftätern sowie den Geiseln umlagerten und Liveinterviews führten. Darunter war auch der spätere Fernseh-Moderator Frank Plasberg, der ein Interview für den Sender SWF aufzeichnete.
Der ehemalige SEK-Beamte Rainer Kersting hatte sich, zum damaligen Zeitpunkt, mit einem in Zivil gekleideten Notzugriff-Team an das Fahrzeug herangearbeitet. Er verwickelte Rösner in ein Gespräch und legte ihm dabei den Arm um den Nacken. Kersting plante, den am Steuer sitzenden Rösner mit einem Handgriff zu überwältigen, während die am hinteren Teil des Pkw postierten SEK-Beamten den finalen Rettungsschuss auf Degowski abfeuern sollten. Dieser saß auf der Rückbank zwischen den Geiseln und hielt Silke Bischoff nahezu ununterbrochen seinen Revolver an den Kopf. Kersting entschied sich gegen den Zugriff, da er ein Disziplinarverfahren fürchtete. Die Kölner Einsatzführung hatte ihm mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht, da vorher vereinbart wurde, dass sich das Notzugriff-Team dem Fahrzeug nur unbewaffnet nähern dürfe. Weder die um das Fahrzeug versammelten Journalisten, noch Rösner und Degowski bemerkten die Anwesenheit der Polizei. Einige Journalisten boten sich als Lotsen an und zeigten den Geiselnehmern Fotos von Polizisten, damit sie den Verbrechern bei einem möglichen Austausch der Geiseln nicht untergeschmuggelt werden konnten. Besonders negativ fiel der Express-Reporter Udo Röbel auf. Er bot sich an, die Geiselnehmer im Fluchtwagen bis zur nächsten Autobahnauffahrt zu lotsen und fuhr zwischen Köln und der Raststätte Siegburg im Fluchtfahrzeug mit. Dabei wetteiferten zahlreiche Journalisten um die besten Bilder und folgten dem Fahrzeug der Geiselnehmer im Autopulk.“

Danach war mein Weltekel unumkehrbar.

(Hervorhebung vom Verfasser)

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Danke,
ich habe das Ganze noch halbwegs präsent - wenngleich ich der verlinkten Darstellung/Bewertung nicht in allen Punkten folge. Udo Röbels Aktion war ganz klar ein eklatanter Fehler, den ich (aufgrund der glaubhaften Motivation dahinter, ein Eskalieren der Situation in der Fußgängerzone mit potenziell weit mehr Todesopfern zu verhindern) aber nicht schwerer verurteilen würde als das ekelhafte Ranschmeißen der Kollegen, die sozusagen nur ihren Job machten oder das, was sie dafür hielten. Da hat Röbel nach meinem Dafürhalten hinterher überproportional viel auf den Deckel gekriegt im Vergleich zu denen, die Rösner und Degowski ständig die Mikrofone vors Gesicht gehalten haben. Aber wie gesagt, das ist als subjektive Randnotiz zu verstehen und nicht von einer deutungshoheitlichen Warte herunter postuliert...

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Da sind mir ja
leicht verkrachte Postkartenmaler aus Österreich wirklich noch lieber! ;-)

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Eine angenehmere Gesellschaft
als der typische Witwenschüttler vom Boulevard ist der etwas spinnerte Herr Kühn sicherlich. Wobei ich auf Herrn Röbel auch mal neugierig wäre. Ich kenne ihn nicht, aber paar Leute, die mit ihm zu tun hatten, sagen übereinstimmend, das wäre ein interessanter Typ. Auf alle Fälle war die "Bild"-Zeitung in der Zeit, als er dort Chefredakteur war, nicht ganz so übel und niederträchtig wie davor und danach.

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Das ist ja voll aufregend. Komm ich jetzt in Fernsehen?

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Isch grüße alle,
wo misch kennen!

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Per Mail
erreicht mich folgender Kommentar aus dem Kollegenkreis:

Ich hatte im Rahmen meiner Tätigkeit für ********** die Gelegenheit, mit Udo Röbel zu sprechen, und natürlich kamen wir auch auf das Geiseldrama und seinen Part. Ihm ist bewusst, dass es Selbstüberschätzung war, in das Auto zu steigen. Und seine Versuche, die Autofahrt später journalistisch auszuschlachten, hat er als "journalistische Vollkatastrophen" bezeichnet. Er habe lange gebraucht, um die Sache zu verarbeiten. Sehr gequält habe ihn die Frage, ob er das Mädchen hätte retten können - etwa, wenn er sich als Austauschgeisel für die beiden Mädchen angeboten hätte oder oder oder. Klar ist er zunächst auf der Suche nach der guten Story in das Drama reingeraten, aber dann war es eher der Impuls, mit seinen Mitteln zu helfen oder es zumindest zu versuchen, schlimmeres zu verhindern. Dass er längst keinen Boulevardjournalismus mehr macht, sondern u.a. Romane (Krimis / Thriller) schreibt, zeigt ja auch noch mal seine persönliche Entwicklung. Ich habe ihn jedenfalls als sehr feinsinnigen und sympathischen Menschen kennengelernt.

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