Dienstag, 6. September 2005
SpOn-taner Zwiebelfisch
Gerade eben bei Spiegel Online gelesen:

(...) Kanzler Gerhard Schröder hat im TV-Duell mit Merkel die Einmischung in den Wahlkampf seiner Frau begrüßt und erklärt, er sei stolz auf ihr politisches Engagement. (...)

Ach, es ist der Wahlkampf von Doris - und Spiegel Online hat's exklusiv. Aber ich weiß nicht, warum sich die Opposition so darüber erregt, dass Schröder im TV-Duell seiner Frau eine Liebeserklärung gemacht hat. Vermutlich aus Ärger darüber, dass es den Merkel-Beratern nicht eingefallen ist, ihre Duellantin dahingehend zu briefen. Ich fands jedenfalls ne schöne Geste. Und deswegen sage ich das hier auch in aller Deutlichkeit: Meine Frau liest dieses Blog jeden Tag, hält auch mit Anregungen, Lob und Kritik nicht hinterm Berg - und dafür (aber bestimmt n i c h t n u r dafür) liebe ich sie.

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Die Liebeserklärung des Herrn Schröder war peinlich und gekünstelt. Ich hätte an seiner Stelle die Schlacht eröffnet mit: Frau Merkel, ich habe nichts dagegen, wenn sich Ihr Mann ebenfalls in den Wahlkampf einmischt.

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Nun ja,
gekünstelt war ja gewissermaßen die ganze Veranstaltung, insofern ist mir diese Nummer nicht als ganz besonders gekünstelt und peinlich aufgestoßen - wiewohl sie natürlich wohlkalkuliert und gezielt eingesetzt war. Dass die Frage kommen würde, davon konnte man ausgehen.

Davon abgesehen hätte ich es im Vorfeld definitiv besser gefunden, wenn sich seine Infotainment-Mieze die Kanzlergattin bedeckt gehalten hätte. Und nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie mangels politischem Mandat nix substanzielles zur Debatte beizusteuern hat, ebenso wie der Gatte von Frau Merkel auch. Ich hänge mich in der Firma meiner Frau auch nicht aus dem Fenster in unternehmenspolitischen Fragen, obwohl ich als Journalist natürlich auch zu allem und jedem eine Meinung habe;-)))

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..das hat der ja nur gesagt,
weil sie ihn sonst haut.

Wirst DU auch gehauen?
:))
*wechis*

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das nicht -
aber wenn ich nicht brav bin, klemmt sie mir das DSL ab...

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DAS ist wirklich fies.

sags nochmal.. vielleicht gibts dann ja mehr Saft?
*lach*

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Wir wollen das ja nicht
so kalkuliert einsetzen wie der Herr Schröder. Nee, ich will mich nicht beklagen, für zwischenzeitliche DFÜ-Engpässe kann meine Liebste nix, und ne Standleitung tut wirklich nicht not...

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Kanzlerduell in einer Kneipe verfolgt, weil kein Fernseher.
Gespräch zwischen zwei 17[?]jährigen Mädels am Nebentisch bei genau dieser Episode:
M1: Ey wasn das jezz?
M2: Nee oda?
M1: Wird das jetz die Nachmittagstalkshow auf RTL?
M2: Boah, so´n Schleimer!

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Tjaaaa,
in dem Alter isses ja Pflichtprogramm, auf cool zu machen. Hätt ich damals wahrscheinlich ähnlich gehalten. Heutzutage halte ich wohlkalkulierte televisionäre Liebesbezeigungen ebenso wie obercool-abgeklärtes Gehabe von halbwüchsigen Hühnern gleichmaßen für entschuldbar. Ja, richtig: altersmilde nennt man sowas;-)

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Altersmilde *lach*

...kannste da schon mitreden ? *hhust*
...*g*

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Einem gealterten, aber dennoch funktionsfähigen Großhirn fällt die Altersmildheit gegenüber naiven Jugendlichen leicht, weil auch die vorurteilsbeladenen Borniertheiten der Rentner zu ertragen sind. Doch das Kleinhirn verweigert falsches Verständnis. Der Walkman-Dröhner im Bus nervt auch dann, wenn man ihn erdulden möchte. Glücklicherweise, denn unsere Gesellschaft wird zunehmend durchsetzt von unangebrachter bis erpreßter Toleranz und Duldung.

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Da ist was dran.
Trotzdem verstehe ich das Wort "glücklicherweise" nicht so ganz in diesem Zusammenhang. Heißt das : Schön, dass wir genervt werden, weil wir ohnehin viel zu tolerant geworden sind?

Wir hatten dieses Dilemma ja auch schon in anderen Zusammenhängen: Muss ich Farbsprühdosen-Gekrakel, Walkman-Beschallung und das allgegenwärtige Dauerfeuer mit sexuellen Reizen gut finden - oder wo ziehe ich die Grenze? Wo genügt Flucht und Ausblenden und wogegen gehe ich in die Offensive (auch auf die Gefahr hin, als uncool oder spießig zu gelten)? Zu den manchmal schwer zu ertragenden Komplexitäten unseres postmodernen gesellschaftlichen Daseins gehört es nun mal, dass es auf diese Fragen keine allgemein verbindlichen Standard-Antworten mehr gibt.

Oder haben Sie eine allgemeingültige und verbindliche Definition von "falschem Verständnis" parat?

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Möglicherweise sind Verständnis und Toleranz nicht die richtigen Wörter, eher Duldung, besser Erduldung. Dabei geht es nicht um Spießertum, das gewisse Handlungen ganz verbieten oder unter Strafe stellen möchte, sondern um die berechtigten Empfindungen derer, die dies in Bussen oder auf Frankfurter Brücken nicht hören oder sehen möchten.

Und "glücklicherweise" meint bezogen auf das Keinhirn, daß es in der Lage ist, ein funktionierendes Großhirn daran zu hindern, jede Dreistigkeit anderer als eigene Intoleranz erscheinen zu lassen.

Bald kann Ihr Kind sprechen. Seien sie nicht zu tolerant, daß es dann sagt: Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch ein Spießer werden.

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Sie sagen es:
Seien wir ja nicht zu locker, denn wenn die Kleine nix zum dagegen auflehnen hat, wird sie am Ende noch Verwaltungsfachangestellte im Katasteramt. Das kann ja keiner wollen (und was wenn doch???)

OK, Ihren Punkt mit der Erduldung und den berechtigten Empfindungen verstehe ich jetzt besser. Wir sind da auch gar nicht so weit auseinander. Denn in der Tat frage ich bei Bedarf auch schon mal den einen oder anderen Mitpassagier, ob er seinen Schallwellenspender etwas runterregeln könne. Nur muss ichs dann halt auch abkönnen, wenn die Antwort "nein" lautet. Denn in unserer durchindividualisierten Gesellschaft kann man sich dabei eben nicht mehr auf allgemeingültige Normen des Schönen, Wahren und Guten berufen und den Schaffner oder den BGS holen. Es ist vielmehr individuelle Verhandlungssache, bei der mir keinerlei Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es ist mein Bier - und nur meins - denn die Vorstellungen von einem "gesunden Volksempfinden" sind ja auch historisch bedingt immer noch sehr vorbelastet.

Die Lücke, die der Wegfall einer öffentlichen und verbindlichen Moral (oder wenn am so will gesunden Volksempfindens) gerissen hat, muss dann oft genug das Rechtssystem stopfen. Und das ist ansatzweise auch meine Erklärung für die inflationäre Häufung von zivilrechtlichen Prozessen um Hartbrandwichtel und Heckenüberhänge an den Grundstücksgrenzen...

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Der Bereich meines Interesses ist klein. Es geht mir nicht um private Streitigkeiten, schon gar nicht im ländlichen Bereich. Mich ärgert nur, mit welcher Nachlässigkeit die überwiegenden Mehrheit den öffentlichen Raum den Nervsäcken und dem Pöbel überläßt. Ich kann mich dem entziehen und selbst Kopfhörer als Schallschutz reinstecken, bewege mich nur selten in Gegenden, da vor die Tür gekotzt wird, und kann dank meines Kampfgewichtes auch eine Bemerkung riskieren. Das nützt nur wenig, denn die Supercoolen sagen nicht nein, sie regeln die Lautstärke herunter und bieten mir Bonbons an, deren Verpackungspapier sie verstohlen in die Ritzen stopfen. Sie sind nachsichtig mit den verkalkten Alten und machen später einfach weiter.

Mein Punkt ist deshalb: Es geht nicht darum, daß einer seinen Rucksack vom Sitz nimmt, wenn man ihn höflich darum bittet. Es hat sich auf dem Sitz keiner zu befinden, wenn der Bus nicht gerade unterbesetzt ist. Es darf dem normalen Menschen nicht zugemutet werden, ständig auf seine Ansprüche zu verzichten oder um sie zu bitten.

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Ah, verstehe.
Ich weiß aber nicht, ob wir den Tag noch erleben. Was ich mit meiner längeren Einlassung weiter oben sagen wollte, war nämlich, dass sich die Skala verschoben hat, was noch als normal betrachtet wird und was als nicht mehr tolerierbar gilt. Und ich sehe keinen Weg, den Zeiger insgesamt wieder in die andere Richtung zu bewegen.

Sprich: Das Problem ist doch, dass sich auch der Stiesel, der seinen speckigen Rucksack auf den Sitz hievt und die Umwelt mit dem Dauergezischel aus seinen Kopfhörern beschallt, für genauso normal und adäquat handelnd hält wie Sie sich und ich mich.

Solange ich keine soziokybernetische Schraube sehe, mit Hilfe derer ich an der gesellschaftlichen Gesamtrichtung was drehen kann, beschränke ich mich notgedrungen auf den höflichen, aber bestimmten Zwei- oder Mehrkampf im öffentlichen Raum.

Was können Sie anderes tun, um Ihre Ansprüche im öffentlichen Raum anzumelden? Haben Sie nen besseren Vorschlag als es im Kleinen und Konkreten anzugehen? Sie sagen: "Es hat sich kein Rucksack auf dem Sitz zu befinden". Aber wer bestimmt diese Normen und wer soll die notfalls mit welchen Sanktionsmitteln durchsetzen?

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Es breitet sich eine Roland-Koch-Mentalität aus: Alles ist erlaubt, wofür ich nicht rechtskräftig verurteilt wurde, ich kann alles nehmen, solange kein anderer seinen Anspruch nachdrücklich anmeldet. Eine solche Gesellschaft ist unzivilisiert, sie erzeugt Unzufriedenheit, Streit und Gerichtsprozesse. Und um Zivilisation geht es mir, nicht um Freundlichkeit oder Andersartigkeit.

Eine Norm für Rucksäcke gibt es nicht. Sie ist in einer zivilisierten Gesellschaft auch nicht erforderlich. In ihr dürften Rucksäcke durchaus auf freien Plätzen liegen. Nur wäre es jedem peinlich, wenn einer seiner Mitmenschen auch nur den Hauch eines Anscheines erweckte, er könne sich auf diesen Platz setzen wollen.

Die Lösung wird nicht in der Umerziehung liegen, sondern in der Trennung der Lebenswelten. Wer in Zukunft die Inseln der Zivilsation bewohnt, wird den öffentlichen Raum wie einen Dschungel durchqueren, mit dem Schallschutz im Bus oder mit dem Taxi durch Harlem.

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Tja, Zivilisation...
...das ist ein sehr dünner Lack, wie man gerade in New Orleans und Umgebung sehen kann. Ich will nicht wissen, wie wenig es auch hier bei uns bräuchte, um auf so ein Level zu kommen.

Zivilisation, so wie ich den Begriff verstehe, trägt im Kern noch in sich das Bestreben, bestimmten als wahr erkannten Werten allgemeine Gültigkeit zu verschaffen. Wenn sich eine Zivilisation anschickt, zum abgeschotteten Park für die happy few zu schrumpfen, dann ist das in meinen Augen nichts anderes als unerklärter Bürgerkrieg, in dem allenfalls Waffenstillstand herrscht, wenn es nicht gerade irgendwo zu Aufruhr und Kampfhandlungen kommt.

Das ist im Grunde auch ok, wenn man Politik als die Kunst des Machbaren versteht und alle gangbaren Alternativen fehlgeschlagen sind. Aber die Waffenstillstandsgebiete in diesem permanenten Bürgerkrieg mit dem hochtrabenden Begriff Zivilisation zu belegen, das scheint mir doch etwas irreführend und euphemistisch.

Wie ich Ihnen neulich schon sagte im Rahmen der Diskussion über die von Ihnen vorgeschlagene Insel, auf der alles erlaubt ist, Drogen, Gewalt, was auch immer: Glauben Sie nicht, dass das nicht auch aufs Festland übergreift. Genausowenig kann man sich in den zivilisatorischen Inseln im Bürgerkriegsgebiet wirklich dauerhaft sicher fühlen...

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Ihrer Auffassung, daß Zivilisation "als wahr erkannten Werten allgemeine Gültigkeit zu verschaffen" will, möchte ich für mich in zwei Kleinigkeiten präzisieren:

Zum einen muß den als vernünftig erkannten Werten und anderen Übereinkünften weitgehend keine Gültigkeit verschafft werden, weil sie von der Mehrheit getragen sind und der Rest der Menschen sie aus übergeordneter Einsicht einhält. Eine davon lautet, sich nicht ohne Not und über die Maßen von den Auffassungen der Mehrheit zu entfernen. Das bedeutet nicht Verbot von Andersartigkeit oder Widerstand, wovon gerade meine Generation stark geprägt ist.

Zum anderen hat das Wort "Werte" immer einen moralischen Beigeschmack. Es geht allgemeiner um Übereinkünfte, zu denen auch Werte gehören. Die Zeit ist vorbei, da man sich verpflichtet fühlen muß, alles durch Werte zu untermauern, um sich dann in Diskussionen zu verfangen. Es geht vornehmlich um den praktischen Aspekt der Übereinkünfte. Andere Zivilisationen mögen andere haben.

Zivilisation macht das Leben einfach. Man muß sich nicht von den Mitmenschen absetzen, sich vor ihnen schützen, sie über den Tisch ziehen oder gewisse Gebiete meiden. Das Leben regelt sich zumeist ohne gerichtliche Entscheidungen, in Übereinkunft, weitgehend in Übereinstimmung. Das bedeutet nicht, daß alle in einer Zivilisation lebenden Menschen gut oder zivilisiert sind. In ihr werden Kriminelle, Reiche und auch Arme leben.

Zivilisation bedeutet auch nicht, daß man von einem ständigen Wandlungsprozeß verschont bleibt, sich nicht beständig der unzivilisierten Umwelt erwehren muß oder sogar gegen eine andere Zivilisation Krieg führt. Zivilisation ist kein Paradies, sie kann keinen allgemeinen und dauernder Wohlstand versprechen. Sie vereinfacht aber das Leben in Zeiten des Friedens und des Wohlstandes, in denen wir uns gerade befinden.

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