Dienstag, 4. Mai 2010
Ohne Überschrift
Ich könnte nicht behaupten, dass ich wegen dieses Missbrauchsfalles in meiner Heimatgemeinde vom Glauben abgefallen wäre. Aber wahrhaben konnte oder wollte ich es im ersten Moment nicht, als ich auf einer Familienfeier am Wochenende erstmals davon hörte: Der frühere Gemeindepfarrer von Sankt Elisabeth in Mannheim-Gartenstadt soll in den frühen 70ern einen Jugendlichen bei einem Spaziergang unsittlich berührt haben. Eine entsprechende Erklärung des Pfarrers liegt vor, auch habe er sich selbst bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg angezeigt.

Ja, Sakrament nochmal, ich komme aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Ich bin bei dem Mann zur Erstkommunion und zur Firmung gegangen, meine älteren Brüder waren sogar Ministranten. Es hätte auch einen von uns treffen können. Wir müssen davon ausgehen, dass das Opfer jemand ist, den man mindestens vom Sehen kannte. Unglaublich. Vor allem, wenn man bedenkt, wie beliebt Pfarrer Ullmer in dieser Gemeinde war - und wie groß der Schmerz, als er 1980 nach Tauberbischofsheim abberufen wurde. Meine Mutter hatte die ganzen Jahre stets Kontakt gehalten, er war auch später als Stadtdekan in Weinheim immer gern gesehener Gast im Haus meiner Eltern.

Nun hatte ich irgendwann in den letzten Wochen ohne Kenntnis dieses Vorfalls ohnehin den Entschluss gefasst, meine jahrelange Entfremdung von diesem Verein jetzt endlich auch verwaltungs- und steuertechnisch umzusetzen. Nun ist mir meine Mutter, die früher erzkatholischer war als der Papst, mit dem Kirchenaustritt sogar noch zuvorgekommen. Das hätte ich mir in meiner Jugend, als das Thema Kirchgang für ernste Generationenkonflikte sorgte, auch nicht träumen lassen. Es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder.

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"Nicht vom Glauben abgefallen", noch nicht ausgetreten trotz Entfremdung - ich komme aus dem leichten, inneren "Kopfschütteln" über die Anhänger bestimmter Religionen auch nicht heraus. Glauben ist doch das Eine, das jeder immer und überall frei praktizieren soll, sich an diesen "Verein" zu binden, jahre-, jahrzehntelang, immer "nur wegen der Hölle im Nacken" (wie Hagen Rether es formuliert hatte), das ist mir nicht zu erklären; bitte fühlen Sie sich nicht auf die Füsse getreten.

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Nein, durchaus nicht.
Die Frage hat ja ihre Berechtigung, und so ganz schlüssig kann ich es Ihnen nicht begründen, warum ich diesen Verwaltungsakt immer vor mir hergeschoben habe. Da spielt sicher noch etwas anderes mit hinein außer der Bequemlichkeit, vielleicht die schöne Erinnerung an die heile Welt mit noch intaktem Kinderglauben und die Zeit, als das Brimborium für mich tatsächlich noch eine Bedeutung hatte. Ein bisschen was von dem Dilemma hatte ich übrigens hier schon mal thematisiert.

Im Übrigen war Pfarrer Ullmer ja auch keiner von denen, die ihre Schäflein mit der Höllenangst bei der Stange halten mussten. Das Thema hat daher für mich auch nie so arg im Vordergrund gestanden wie noch für meine Mutter.

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....ansonsten gilt: Tretense aus der Kirche aus und werdense wieder gläubig. (Wobei ich zugeben muss, dass mir zweiteres nicht so richtig gelungen ist, mir kam die Logik in die Quere)

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Kirchenaustritt ist hier durchaus angemessen. Und zwar nicht nur wegen der abscheulichen Mißbrauchsfälle (hier könnte man noch einwenden: warum sollte es im kirchlichen Bereich anders sein, als beim Rest der Gesellschaft?), sondern auch wegen des Umgangs der Kirche hiermit. In der Vergangenheit gab´s immer nur Täterschutz und Verdrängen, Vertuschen zum Wohl der heiligen katholische Kirche. Kein Mitleid und keine Hilfe für die Opfer. Im Gegenteil: der erneute Mißbrauch wurde z.B. durch einfaches Zuweisen pädophiler Priester einer neuen Gemeinde billigend in Kauf genommen. Und nun bedauert der Papst -nicht etwa zuerst die Opfer, nein, nein- die Angriffe der Welt auf die Kirche. Und weil´s die Welt so sehr erwartet, auch ein wenig die Opfer. Also: Kirchenaustritt ist nachvollziehbar. (Auch aus anderen Gründen denkbar: siehe Rolle der Kirche im "dritten Reich" oder -profaner- das Thema "Kirchensteuer"). Das hat mit dem Glauben an Gott etc. aber nichts zu tun. Zumindest bei mir nicht.

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Ja,
sehe ich ziemlich genau so. Mir erwüchse bei einem Kirchenaustritt doch keine Verpflichtung, zu einem bekennenden Atheisten zu werden. Ich denke schon, dass da was waltet wie eine höhere Macht irgendwo da draußen. Aber das läßt durchaus Raum für etwas andere Vorstellungen als von einem alten Mann mit Rauschebart und seinem Hippie-Sohnemann.

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An dem Thema Austritt bin ich auch immer noch dran. Ich kann mich einfach zu keiner Entscheidung durchringen.

Zugegebenermaßen sehe ich das Ganze eher unter dem Blickwinkel "Wann könnte die Mitgliedschaft evtl. noch nützlich sein?" Man weiß es ja nicht. Ähnliche Geschichte wie mit den Berufsverbänden.

Deshalb beeinflusst die aktuelle Missbrauchs-Debatte meine Entscheidungsfindung nur unwesentlich. Was bei persönlicher Betroffenheit wie bei Ihenn (ob direkt oder indirekt) sicher noch mal anders wäre.

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Tatsächlich keimte mein Entschluss
schon vor dem Wissen um diesen konkreten Fall. Wie Herr Rocky Raccoon schon richtig darlegte, der eigentliche Skandal ist ja nicht das Unding an sich, sondern der offizielle Umgang damit. So gesehen ist das jetzt grad noch das Sahnehäubchen, dass dieser Vorfall auch noch meine rührseligen Erinnerungen an den intakten Kinderglauben und all das Lügen straft.

Die Nützlichkeitsabwägung ist - wenn sie sich denn stellt - sicher nicht das dümmste Kriterium. Für mich ist der Aspekt auf alle Fälle nachvollziehbarer als sagenwirmal der Traum von weißem Brautkleid in einer dunklen Kirche (um nur mal ein Beispiel zu nennen, welche Kriterien es da noch so alles geben mag)...

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Austreten ist übrigens sehr viel einfacher als wieder eintreten, wie ich aus gut informierter Quelle weiß.

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Mag sein,
aber den Aufwand, mich zwecks Austritt aufs Amtsgericht zu verfügen, wo mir auch noch 30 Euro abgeknöpft werden, finde ich auch nicht ganz unerheblich.

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Bei uns ist Austreten sehr schnell und sang-&klanglos. Kostet nicht mal was, außer Sie haben noch eine offene Kirchensteuer.

(Wieder)Eintreten, wie schon erwähnt, ist da schon mit mehr Aufwand verbunden.

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tu felix austria...
Dass es hier so kompliziert ist, geht womöglich auf irgendwelche Konkordate im Dritten Reich zurück. Die Gebühr (und das Procedere an sich) variiert hier lokal/regional, mancherorts kostet der Austritt gar 50 Euro.

Die Hürden für den Wiedereintritt kann der Verein ja so hoch legen wie er will, meinetwegen sollen die Kirchen nur jene temporär Abtrünnigen wieder an Bord nehmen, die sich verpflichten, ins Kloster zu gehen oder in Afghanistan zu missionieren. Um mir ein Szenario für einen Wiedereintritt vorzustellen, wenn ich mal draußen bin, reicht meine Phantasie nicht aus.

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Sooo kompliziert ist der erneute Eintritt nun auch wieder nicht. Im Falle der katholischen Kirche: Kontakt zu einer Pfarrei oder speziellen Stelle für den Wiedereintritt. Dann Gespräch mit einem der dortigen Geistlichen. Der verfasst ein Schreiben an den Bischof (in dem es wohl einen positiven Befund geben sollte). Der Bischof entscheidet (positiv ...). Danach Gottesdienst, in dessen Rahmen man wieder aufgenommen wird. Alles sehr moderat. Keine kniffligen Fragen usw. Kritisch ist es wohl nur bei besonderen Problemfällen. Wiederverheiratete Geschiedene z.B. (glaube ich zumindest).

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Aber doch mehr Aufwand als ein Brieferl, daß man nu austritt und einem Auftritt am Magistrat (bei uns) *gg*

Ja, also eine gaaanz große Hexerei ist der Wiedereintritt nicht, schließlich wollen die auch die Herde vergrößern und können nicht nur auf Nachwuchs hoffen : ))

Trotzdem ist dieser Aufwand (das ist schlecht ausgedrückt, aber das Pfarr-Gespräch) für mich ein Grund gründlich drüber nachzudenken, was ich tu oder nicht : )
Ist ja peinlich einzutreten nach einem pers. Gespräch und sich dann nie wieder sehen zu lassen. : ))

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@cut:
OK, soweit das Procedere auf Vereinsseite. Aber da dies ja auch wieder einen weltlichen Verwaltungsakt mit Änderung von fiskalischen Variablen darstellt, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein Wiedereintritt nicht auch wieder mit einem Gebührenbescheid einhergeht.

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Höchstwahrscheinlich. Allerdings sind sie beim Kircheneintritt viel schneller, was die Wirksamkeit der Steuerzahlpflicht (sofortig) anbetrifft als sie es beim Austritt sind (erst im übernächsten Monat). So zumindest hier in der Gegend.

Da ich das Thema letztens selbst erst durch hatte, war mir danach, mich hier kurz ungefragt zu Wort zu melden und darüber erneut den Kopf zu schütteln.

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"Ungefragt"
ist ja nicht gleichbedeutend mit "unwillkommen". Wer etwas zum Thema beizusteuern hat, ist hier immer gern gelitten. Das mit der unterschiedlich gehandhabten steuerlichen Wirksamkeit bei Ein- und Austritt war mir zum Beispiel neu (wenngleich es mich auch nicht wirklich überrascht). Und diesen Kommentar von Ihnen zum Thema könnte ich auch fast 1:1 unterschreiben.

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Gebührenbescheid ...
In dem Fall (und in NRW) wohl nicht. Will es aber nicht beschwören. Gibt vom Pfarrer so einen Wisch für das Finanzamt. Den gibt man da ab und fertig.

@Sid: nie wieder sehen zu lassen ... Da gibt es Profis. Hier in Düsseldorf z. B. die Franziskaner. Wenn man nicht beim Gemeindepfarrer als reuiger Sünder auf der Matte stehen möchte ...

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Eigentlich lustig, dass hier so viel über einen möglichen beitragspflichtigen Wiedereintritt in die Kirche nachgedacht wird...Als ich mit der Institution Kirche fertig war, setzte ich mit dem Austritt einen Schlusspunkt. Und hatte bisher nie das Bedürfnis, eine neue Beziehung zu Mutter Kirche zu beginnen - zu sehr klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander: Rigide Sexualmoral - aber Vertuschung von Missbrauch. Christliche Nächstenliebe - aber miserable Bezahlung von Altenpflegerinnen in kirchlichen Heimen. Friede auf Erden - aber Schweigen bei unfriedlichen politischen Entscheidungen... und mehr dergleichen. Ein Verbleib in der Kirche, sozusagen als Rückversicherung für mein Seelenheil? Nein danke.

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Wie es Rocky Racoon weiter oben bereits schrieb: Der eigentliche Skandal ist ja nicht, dass sowas in der katholischen Kirche (und im Sportverein und im Turnverein und bei der Polizei und der Bundeswehr und der Heimerziehung und sonst jeglicher Institution) vorkommt, der Skandal ist, wie die katholische Kirche damit umgeht und das ist echt einmalig. Mir ist keine Institution bekannt, die Vergewaltiger (ich nutze diesen Terminus bewusst, weil Mißbrauch suggeriert, dass es Gebrauch gibt und bei erwachsenen Frauen/Männern würden wir es Vergewaltigung nennen, bei Kindern heißt es aber Mißbrauch, wie schizophren) weiterbeschäftigt und alles unter den Tisch kehrt, als sei nichts geschehen.
Übrigens steigen die Kirchenaustritte rasant an. Verdreifachung im Vergleich zu vergleichbaren Zeiträumen. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart schossen die Zahlen zwischen Februar und März von 700/800 auf über 2000.
Aber! Das ist kein Problem der (katholischen) Kirche oder der Odenwaldschule allein. Berlusconi als Mittsiebziger lebt offen (und beinahe problemlos) mit Teenagern seine Träume (und in den möchten wir uns nicht reindenken). Daniel Cohn-Bendit faselte mal von reiner Liebe mit den Kindern und die BW-Grünen wurden mal wirklich beinahe von Pädophilen geentert, weil die mal das strafbewehrte Alter von 14 auf 12 senken wollten. Michael Jackson hatte mal zwei Anklagen am Hals, die mindestens sehr ernste Zweifel hinterließen und der Tauss hat noch eine Anklage am Hals wegen Kinderpornos. Dazu kommt Mao mit seiner sehr jugendlichen Entourage weiblicher Begleiterinnen. (Soll ich weitermachen?). Kurz: Das Thema zieht sich in die ganz höheren Kreise und die Pädophilen hocken selbst da.
Von daher dürfte es eher nicht überraschen, wenn da ein "Dorfpfaffe" mit drinne hängt, wenngleich persönliches Kennen und damit persönliche Betroffenheit nochmal ganz anders wirken, keine Frage.

Dennoch: Garantien gibt es nie und nirgends.

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Danke für diesen erweiterten Blickwinkel,
Herr Gorillaschnitzel. Ich mache mich auch nicht mit den Anliegen von PI und Konsorten gemein, wenn ich der Vollständigkeit halber auch an den Propheten mit seiner 9-Jährigen Angetrauten erinnere. Das Thema zieht sich in der Tat so quer und umfassend durch diverse Machtstrukturen (wie man vor ein paar Jahren in Belgien auch schaudernd zur Kenntnis nehmen musste), dass man es keinem verdenken kann, der weitergehende konspirologische Schlussfolgerungen zieht. Und die einzige Sicherheit, die wir haben, ist die, dass es keine Sicherheiten gibt, da kann ich Ihnen nur beipflichten.

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Obs nun konspirologisch sein mag, will ich nicht behaupten. Ich glaube nur, dass man Pädophile bisher nicht ausreichend gestoppt hat/ unterschätzt hat/ verharmlost hat (etc.), gewisse Positionen zu besetzen. Das muss nicht zwangsläufig verabredet sein. Sie sind aber eben vereinzelt oben gelandet (warum auch immer) oder haben daraus eine "Kultur" gemacht (und damit seien nun islamische Länder miteingeschlossen, die eine 9jährige zur erwachsenen Frau erklären und kein Problem damit haben, selbige mit 60jährigen Tattergreisen zu vermählen)

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die Vergewaltiger (ich nutze diesen Terminus bewusst, weil Mißbrauch suggeriert, dass es Gebrauch gibt und bei erwachsenen Frauen/Männern würden wir es Vergewaltigung nennen, bei Kindern heißt es aber Mißbrauch, wie schizophren)

An dem Begriff Missbrauch störe ich mich auch schon lange, aber "Vergewaltigung" trifft es eben auch nicht immer. Eine "unsittliche Berührung" ist keine Vergewaltigung, aber zweifellos ein Übergriff. Die Bezeichnungen sexuelle Gewalt oder sexualisierte Gewalt finde ich am passendsten.

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Da gebe ich Ihnen Recht. Vergewaltigung heißt (für mich) Penetration (so meine Definition) egalwie, egalwo. Den Rest würde ich als sexuelle Gewalt subsummieren, auch wenn es da eventuell Abstufungen geben mag (mich störte nur der Terminus, dass man sexuelle Gewalt gegenüber Kindern/ JUgendlichen anders bewertet als gegenüber Erwachsenen (und das hat eine gesellschaftliche Komponente)

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