Mittwoch, 22. Mai 2013
Auf diese Steine...


Mit blauem Himmel kriegt man mich ja immer, und bei entsprechend schöner Wetterlage könnte ich wahrscheinlich sogar der Fußgängerzone von Hannover oder dem Ludwigshafener Hauptbahnhof etwas abgewinnen. Aber Schwäbisch Hall hat mir mit seinem schmucken historischen Stadtkern schon sehr gefallen, und das lag auch (aber eben nicht nur) an dem strahlenden Maiwetter, das uns am Pfingstsamstag dort empfing. In der herausgeputzten Stadt und auf den Wiesen am Ufer der Kocher herrschte gemäßigter Festtagstrubel (den eigentlichen Höhepunkt des traditionellen Kuchen- und Brunnenfestes der Salzsieder am Pfingstsonntag haben wir gemieden). Das war so ein bisschen wie in dem berühmten Osterspaziergang im "Faust", wo es heißt, "zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein."



Nun ist das Städtchen ja auch Sitz der gleichnamigen Bausparkasse, dem unternehmerischen Inbegriff des häuslebauenden Spießertums, und angesichts all der graffitilosen Fachwerkmauern und der traditionellen Festtagstrachten bimmelt die innere Spießer-Alarmglocke natürlich ohne Unterlass. Die Frage, ob man als rollstuhlfahrende Transe afrikanischer Herkunft und jüdischen Glaubens dort ebensoviel Spaß gehabt hätte wie als Angehöriger der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft, ist sicher nicht ganz unberechtigt. Die Mehrheit allerdings ist in jeder Gesellschaft die allergrößte Plage, weil sie kaum jemals gewillt ist, ihre normativen Kräfte durch Selbstzweifel im Zaum zu halten, schreibt Max Goldt in seinem richtungsweisenden Aufsatz "Tätowiert, motorisiert, desinteressiert - der Kleinbürger zwischen Statistik und Traum". Was freilich nicht heißt, dass man als Angehöriger der Mehrheitsgesellschaft damit automatisch gegen jegliche Selbstzweifel gefeit wäre. Ich für mein Teil gehe jetzt mal meine Privilegien checken, wenn Sie verstehen, was ich meine.

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