Mittwoch, 19. August 2009
Notizen aus der Provinz
Von Herbert Rosendorfer gibt es einen überaus witzigen Roman über die Abenteuer eines chinesischer Mandarins aus dem Mittelalter, den es per Zeitreise ins heutige München verschlägt. Dieser hohe Herr namens Kao-Tai hatte eigentlich beabsichtigt, dem Peking des 20. Jahrhunderts einen Besuch abzustatten. Aber da er die Erddrehung nicht berücksichtigt hatte, findet er sich im plötzlich im fernen Land der Langnasen, in der Stadt Min-chen in der Provinz Ba-Yan. Wie der geneigte Leser sich sicher vorstellen kann,fremdelt der zeitgereiste Mann aus dem Reich der Mitte nicht zu knapp mit dem modernen Leben im Westen, mit den rauchspeienden Blechdrachen, in denen die Langnasen mit mörderischer Geschwindigkeit umherrasen, den ungewohnten Sitten und Gebräuchen im Freistaat. Auf dem Oktoberfest etwa schütten die Langnasen Unmengen von "Ma-ßa" und "Hal-bal" in ihre Schlünder, dazwischen wird immer wieder "Wan-tswa-xu-fa" gesungen. Und diese ganzen skurrilen Beobachtungen aus Ba-Yan hält Kao-Tai in Briefen an seinen Bruder fest.

Schön und gut, aber warum erzähle ich das alles hier lang und breit? Nun, wir waren ja auch in der Provinz Ba-Yan unterwegs. Und wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich manchmal auch ein bisschen gefühlt wie in einem anderen Erdteil. Oder in einem Paralleluniversum. Ich habe mich bisweilen insgeheim gefragt, ob diese ganzen Kirchlein mit ihren Zwiebeltürmen und die schön bemalten Häuser drumrum mit ihren unter lauter Geranienkästen fast berstenden Balkonbrüstungen und die unglaublichen Dirndlgeschäfte sowie all die sattgrünen Wiesen auf Hügeln und Bergen mit ihren grasenden Kühen tatsächlich real sind - oder ob wir uns durch eine superfortschrittliche Simulation bewegt haben.

Ich muss dazusagen: So eine Tour hätte ich mir vor 20 Jahren nicht vorstellen können (allein schon die Vorstellung, mit Frau und Kind unterwegs zu sein, war total jottwehdeh, wie der Westpreuße sagt). Ausgerechnet Bayern und Voralpenland, das war doch allenfalls etwas für Eltern, Tanten und Onkels und alle anderen, die mit dem Leben irgendwie schon abgeschlossen hatten. Im elterlichen Wohnzimmer hing lange ein goldgerahmter Ölschinken, auf dem das bekannte Königssee-Kirchlein St. Bartholomä (oder wars doch die Klosterkirche auf der Fraueninsel im Chiemsee?) gepinselt war. Die eingebildeten und tatsächlichen Zipperlein meiner hypochondrischen Tante Gertrud sind wie weggeblasen, wenn sie nur ein paar Kuhglocken von der Alm bimmeln hört. Selbst meine norddeutschen Schwiegereltern fahren regelmäßig ins Allgäu zum Bergwandern. Aber wie gesagt, meins wars nie, das oberbayerische, ich hatte die Gegend eigentlich immer nur als Spritkostenfaktor und Durchgangsstation Richtung Brenner (Italien) oder Tauerntunnel (Ungarn, Kroatien) betrachtet.

Und nun stelle ich mit Schrecken fest: Es hat mir in der Provinz Ba-Yan ausnehmend gut gefallen (wenn man mal von den fiesen Stechmücken am Ammersee und den Touri-Ramschbuden am Königssee absieht). Dass es so entspannt und stressarm ablief, ist nicht zuletzt unseren Gastgebern (Einheimische wie Zugroaste) zu danken, die einen geradezu orientalischen Aufwand getrieben haben, um es uns an nichts fehlen zu lassen zu lassen. Dafür sage ich an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön Vergelt's Gott!

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