Samstag, 20. Mai 2006
Linie 4
Es ist nicht mein Tag, dieser kalte Januarmorgen anno 1999. Zum Frühstück gabs nur Kaffee und Kippe. Und weil meine alte VW-Schleuder einige Monate vorher den Gang alles Irdischen gegangen war, habe ich mich dem öffentlichen Nahverkehr anvertraut, um in die Nachbarstadt zu kommen, in der ich mit ein paar Kollegen ein kleines Büro unterhielt.

Am Gleis 10 des Hauptbahnhofs soweit alles wie immer, die ewiggleichen grauen Gesichter, die genauso wenig Lust haben wie ich, hier und jetzt in der Kälte zu stehen und sich gleich in den Regionalzug nach Heidelberg zu quetschen. So scheint es. Bis ich aus den Augenwinkeln eine Frau wahrnehme, die ich hier an den Tagen vorher definitiv nicht gesehen hatte. Aber hallo, dann wird der Weg zur Arbeit vielleicht ja doch ausnahmsweise interessant. Denn die schlanke Einsachtzig-Dame, die sich betont unauffällig in ihrem dunkelblauen Mantel verschalt hat, passt schon ganz gut in mein Beuteschema. Nicht mal die unspektakuläre Brille der Marke verhuschte Anglistik-Studentin kann verbergen, dass hinter dem Glas ein sehr beeindruckendes Augenpaar lugt.

Aber sie meidet weiteren Blickkontakt. Und nachdem sie den Zug etliche Waggons weiter vorne entert, ringe ich den Impuls nieder, ihre Nähe im Regional-Express aktiv zu suchen. Mit etwas Glück würde sie ohnehin auch in Heidelberg aussteigen, Und dort würde man dann schon weitersehen. Tja, nach drei Stationen ist das auch der Fall. Sie steigt auch aus – wie bestellt. Und unbändig ist meine innere Freude, als sie vom Hauptbahnhof Heidelberg aus direkt vor mir zur Straßenbahnhaltestelle rübergeht. Mal sehen, ob „vier gewinnt“. Das wär jetzt echt ein Ding, wenn sie auch in die Linie 4 einsteigen würde. Mit der muss ich bis zur Endstelle im Gewebegebiet kurz vor Leimen fahren. Wenn sie vorher aussteigt, lässt das vielleicht Rückschlüsse zu, wo sie arbeiten könnte. Und wenn sie auch bis Endstation muss...

Nun, diesen reizvollen Gedankengang unterbricht die einfahrende Linie 4. Die schöne Unbekannte setzt sich in Bewegung zur Tür, steigt ein. Und einen Moment lang glaubt sie vielleicht, mich abgeschüttelt zu haben. Doch kurz bevor die Tür sich wieder zufaltet, nehme auch ich die zwei Stufen in die Straßenbahn. Und ich bin wieder im Spiel. Das scheint der Mitpassagierin mit zunehmender Fahrtdauer weniger Spaß zu machen. Je weiter die Fahrt Richtung Rohrbach-Süd geht, desto mehr leert sich die Bahn. Und desto deutlicher spüre ich mit meinem Jägerinstinkt das Unwohlsein, dass meine Präsenz bei ihr erzeugt. Ich kann ihre Angst förmlich riechen. Sie hat sich ganz vorne in unmittelbare Nähe des Fahrers gesetzt. Dabei mache ich gar nichts, ich sitze einfach nur weiter hinten in der Straßenbahn, starre auch gar nicht groß in ihre Richtung. Aber den Effekt, dass Leute vor mir Paranoia kriegen, den kenne ich ganz gut - ganz besonders wenn ich im Trenchcoat unterwegs bin. Da verschlucken manche Typen schon mal prophylaktisch ihre Drogenpäckchen. Aber das hier ist irgendwie was anderes.

Kurz vor der Endhaltestelle am Rand des Gewerbegebiets nahen die Minuten der Wahrheit. Sie muss raus aus der Bahn, und sie kann sich denken, dass auch ich da rausmuss. Ich lasse mir Zeit mit dem Aussteigen, nehme zur Kenntnis, dass sie nicht den Fahrer bittet, per Funk polizeilichen Personenschutz für sie anzufordern. Ich lasse ihr auch erst mal den Vorsprung, den sie herausholt, als sie bei Rot über die Bundesstraße Richtung Gewerbegebiet hastet. Sie legt ein ziemliches Tempo vor, und ich sorge dafür, dass sich der Abstand von 20, 30 Metern nicht vergrößert. Als sie links um die Ecke außer Sichtweite biegt, gebe ich so richtig Gas. Ich komme rechtzeitig durch die Glastür des Bürotraktes um zu sehen, dass der Aufzug gerade kommt. Sie steht davor mit dem Rücken zu mir, muss warten, bis die Leute ausgestiegen sind, die ins Erdgeschoss wollten. Aber jetzt ist sie drin, die Tür will zugehen - und in diesem Augenblick sieht sie mich, wie ich in allerletzter Sekunde meinen Aktenkoffer vor die Linse der Lichtschranke halte, damit die Tür wieder aufgeht und ich einsteigen kann.

Die Tür geht zu. So. Jetzt sind wir allein, sie und ich in diesem Aufzug. Sie kämpft ihre Angst nieder und drückt nicht auf den Notruf-Knopf – sondern auf die „5“. Ich drücke auf „6“, auch auf die Gefahr hin, dass dieses Signal falsch (also das heißt eigentlich richtig) verstanden werden könnte. Ich sage noch eine nette Belanglosigkeit über die Firma im Fünften, zu der sie offensichtlich will und lächle sanft, als sie aussteigt – weil ich weiß, wir werden uns bald wiedersehen. Aber wie lange, verworren und aufreibend der Weg vom sechsten Obergeschoss in den siebten Himmel und zum Standesamt dann doch noch geworden ist, das ist eine andere Geschichte...

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Viel Spaß da. Leider zu weit weg für heute.

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Vielen Dank!
Wien ist tatsächlich ne ganz schöne Strecke. Ich hatte bisher auch nicht genügend Bonusmeilen gesammelt, um zu den interessanten Lesungen in Berlin, Hamburg und München zu jetten.

Ich hoff ja nur, dass uns nicht der Babysitter anruft, wenn ich grad am Lesen bin... ;-)

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Ich könnte meinen Töchtern ja sagen, ich sei zum Ende des Grand Prix zurück, und die Linie U4 nehmen.

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Ich fragte mich dieser Tage schon,
ob Sie in Frankfurt Heimvorteil haben, weil Sie auf den Abriss des Rundschauhauses am Eschenheimer Tor anspielten.

Mal ganz losgelöst von meiner Mitwirkung heute abend - ich würde eine Lesung dem Grand-Prix allemal vorziehen. Aber vielleicht finden Sie ja Methoden, die Punkteverteilung aus mathematischer Sicht tiefsinniger zu analysieren... ;-)

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Und ich fragte mich dieser Tage schon, ob ich einmal über die Dächer Frankfurts blicken sollte, um hinter den Glasfassaden der Chefetagen Herrn Zitterwolf zu sehen, wie er gerade einen Kommentar diktiert, den seine Sekretärin in Lautschrift schreiben und versenden muß.

Beim Koch-Duell gibt es Punkte nach dem gleichen Prinzip. Es geht darin nicht um nationales Ansehen, sondern um 1500 Euro, es sind nur vier oder fünf Kandidaten beteiligt und die Punktzahlen werden erst nach der Siegerehrung bekannt. Warum vergibt man dann für andere überhaupt einen einzigen Punkt?

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Angeblich führt die Spur
des Witterzolfs eher ins Sauerland, gerüchteweise in ein Lehrer-/Klassenzimmer, aber das kann natürlich auch eine bewusst gezündete Nebelkerze sein.

Die Frage nach dem Motiv des Punktevergebens haben die alten Römer mit dem Spruch do, ut des beantwortet, oder?

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In der besagten Nacht schrieb er: "was treibst du trottel überhaupt so in frankfurt - kannste mich ma da im turm besuchen wo die weichen für die welt gestellt werden im finstersten liberalismus? - von meine sekretärin kriegste bestimmt auch ein eis und die is total hübsch echt."

Wurde er abberufen und muß Erwachsenen nun schlechte Aktien verkaufen statt den Kindern ebensolches Deutsch beizubringen? Oder hat er das für Ihren Armuts-Adorno nur erfunden?

Den Do-Ut-Des-Einwand habe ich natürlich erwartet, wenn auch nicht in lateinischer Sprache. Er macht aber die Spieltheorie nicht falsch, nach der es optimal wäre, keine Punkte an andere zu vergeben, wenn es verboten ist Koalitionen zu schließen, man also gar nicht dafür bestraft werden kann, wenn man alles nimmt und nichts gibt.

Die Lösung besteht natürlich darin, daß diese Spiele in Wirklichkeit nur Teile eines größeren sind oder die Ausszahlungsfunktion nicht nur Platz, Sieg und Geld beinhaltet. Wäre allen Menschen 1 Million Euro nur 1.000.000 mal soviel wert wie einer, würde keiner Lotto spielen.

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schau ihr in die augen kleiner ;)

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Here's looking at you,
Mrs. Eyes. ;-)

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Ich begann zu lesen... las und wollte schon mal mein Headsetergreifen... dann lass ich den letzten Satz des Eintrags.

Böh! Ich les doch cniht, was sie heute Abend lesen... und dazu noch unvollständig ist.

... Ich suche weiter....

Viel Spaß heute Abend... und dem Babysitter einen ereignislosen Abend mit dem Kinde!

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Ist gar nicht so einfach,
hier Lesegeschichten zu finden. So viele sind es nämlich gar nicht, die sich zum Vortrag eignen.

Im übrigen müssen Sie sich nicht von meiner Setlist für heute abend abhalten lassen. Meines Wissens wird nicht mitgeschitten und gepotcastet. Ich kann Ihnen ja mal meine Vorauswahl an Texten mailen, die ich in der engeren Wahl für die Lesung habe...

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Darf ich die Mail nochmal haben?

Mit Anhängen?

Ja?

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Bin Überrascht! Guter erzählender Stil - hätt´ ich nicht gedacht. Gschamstadiener Herr Mark :--))

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Freilich,
kann ja nicht nur mit meinen Tagebucheinträgen über Brotbackautomaten und Babygläschen kommen... ;-)

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Bis heute abend...
...schaffe ich es wohl nicht mehr nach Frankfurt. Wird es die Fortsetzung hier im Blog geben?

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Ja, klar.
Wenn nicht schon die Vögel brüllen, wenn ich nach dem Gig nach Hause komme, stelle ich den Resttext noch rein heute nacht. Ansonsten halt morgen mittag.

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Das ist nett. Ich werde diesmal leider auch nicht dabei sein, wüsste aber natürlich trotzdem gerne wie es weiterging.

Viel Erfolg und doppelt soviel Spaß heute abend!

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Gut geteased, Löwe :)

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Auch ich wünsche Ihnen viel Spaß + Erfolg und hoffe, dass Sie uns "Daheimgebliebenen" von der Bloglesung berichten.

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Ich hoffe, es läuft gerade ganz gut...

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"Fortsetzung heute abend live in Frankfurt"
....und was für eine. Nachdem ich ihre sehr nette Frau kennen lernen durfte, gefiel mir die Geschichte noch besser.
Danke für einen schönen Abend.

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Gestern wollte ich schon schreiben: Es endet bestimmt mit der Hochzeit. Was sonst kann ein Millionenpublikum zu Tränen rühren? Und welche andere Liebesgeschichte darf ein verheirateter Mann schon erzählen?

Es macht aber nichts: Ein großer Prophet wäre ich mit dieser Vorhersage nicht geworden.

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Die Lesung war toll, ich muss sie loben.

Tja, dafür war die große Liebes-Geschichte sogar für mich neu, obwohl sie fast unter meinen Augen stattfand. Auf welche Weise mein erster Volontär und meine jüngste Volontärin sich anno 1999 erstmals begegneten, war bisher das süße Geheimnis der beiden.

Falls die Sache mit der Taufe des Kindes der Liebe positiv entschieden wird, mache ich schon heute mein Right of first Denial auf den Patentonkel geltend. Hab zwar drei eigene Kinder halbwegs groß gekriegt, Tochter- und Söhne-Firmen gegründet, bei einer Medienehe den Trauzeugen gegeben, aber Patenonkel -das fehlt noch.

Ich muss nicht betonen, dass ich ein famoser Patenonkel2.0 wäre. Eigenes Weblog zur Taufe, Podcast-Show zur Einschulung, Videoblog zum Abi etc. pp.

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Allerverbindlichsten Dank
an meinen Schreib-Lehrmeister. Dass die Kommentare bei so einer Darbietung leider unter den Tisch fallen, ist in der Tat ein erhebliches Manko. Entweder müßten die Anmerkungen im Anschluss an jeden Text von den Mitlesenden oder von ausgewählten Zuhörern im Publikum zum Besten gegeben werden.

Das famose Angebot mit dem Patenonkel möchte ich nicht leichtfertig und vorschnell ausschlagen, wenn auch die weltanschaulichen Bedenken gegen die Kindstaufe als solche nicht ausgeräumt sind.

Mit dem Millionenpublikum war es nicht soo weit her, Herr Wuerg. Und für diese Annahme hätte es mit Blick ins Programmheft (und in den düsteren und blitzenden Frankfurter Abendhimmel) auch keiner Prophetie bedurft. Aber da ich mit der Auftakt-Geschichte ja zumindest einen mitinvolvierten Zuhörer noch überraschen konnte, bin ich mit der Resonanz doch ganz zufrieden.

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Danke für den unterhaltsamen Abend. Ich hatte ja meine Zweifel, dass man Ihre Blogtexte vielleicht nur hier im Blog mit Gewinn lesen kann. Jetzt weiss ich es besser. Vorlesen lassen ist noch eine Nummer schärfer.

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Nun, mit ebendiesem Zweifel an Bord
bin ich nach Frankfurt gekommen. Ich selber konnte das vorher überhaupt nicht einschätzen, auch nicht, wie sich meine Sachen in das Gesamt-Setup einfügen würden. Von daher habe ich schon ziemlich geschwitzt bei der Sache.

Im Übrigen kann ich das Kompliment auch gerne retournieren: Ich lese Ihre pointierten Kommentare immer sehr gerne, und ich bin wirklich froh, die Person dahinter kennengelernt zu haben. Ich war mir (im Unterschied zu Herrn Petereit) ziemlich sicher, dass es bestimmt nicht Feigheit ist, was Sie abhält, sich mit eigener Blogpräsenz zu exponieren.

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Genial! :-) Danke fürs Linken. Gänsehaut. Aus diesen und aus jenen Gründen. :-D

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