Samstag, 10. Mai 2014
Meta-Gedöns mal wieder
Nachdem mich ein paar Leute zustimmungsheischend auf den Vortrag von Sascha Lobo auf der republica stupsten, habe ich tatsächlich eine Stunde Lebenszeit geopfert, um mir den Sermon des Meta-Ironikesen anzuhören. Und um ein Fazit gleich vorwegzunehmen: Es ist nicht alles verkehrt, nur weil es aus dem Munde des Klassenkaspers der Jahrgangsstufe Web 2.0. kommt. Seit dem Losbrechen der NSA-Affäre hat Lobo jede einzelne seiner Spiegel-Online-Kolumnen dem Thema gewidmet, und diese Hartnäckigkeit nötigt mir einen gewissen Respekt ab. Aber was nehme ich aus der Rede sonst noch mit? Wir hätten den Netzlobbyisten Digiges und D 64 mehr Geld spenden sollen - und jetzt lasst uns neue Schimpfwörter für die Urheber und Nutznießer des Überwachungs-Irrsinns prägen.

Hmja. Vielleicht wäre in den allerletzten Minuten der Predigt, die ich mir geschenkt habe, noch was Substanzielleres gekommen. Aber der Irrtum Lobos, wir bräuchten neue Erzählungen, neue positive Utopien bezüglich der Digitalisierung, wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. So wie ich die Sache sehe, hat der ganze naive Digital-Neohippie-Scheiß, von wegen das Internet werde eine freiere Gesellschaft schaffen und den Weltfrieden befördern, viel zu lange den Blick dafür verstellt, dass so ein bisschen dezentralere Datenverteilung die real existierenden Machtverhältnisse nicht aus der Welt schafft. Felix Schwenzel stellt da die richtigeren Fragen, nämlich: Leben wir nicht schon seit jeher in einer Überwachungsgesellschaft - und hat das Internet nicht einfach nur mehr Effektivität und eine neue Dimension in die Überwachungsgesellschaft gebracht?

Das ist in etwa genau das, was die Aluhut-Träger sensibilisiertere Zeitgenossen seit Jahr und Tag sagen. Dafür durfte man sich dann das hämische Geschnatter irgendwelcher aufmerksamkeitsgeiler Gänse anhören, Datenschutz sei ja sowas von Eighties; andere nützliche Idioten der Dienste glauben immer noch ernsthaft, wenn sich nur genügend Leute nackig machen und jedem alles an Daten liefern, was sie haben, würden die staatlichen Überwachungsapparte irgendwann von selber implodieren. Das sehe ich aber nach wie vor nicht kommen, und wenn ich meine Sicht auf die Lage der Nation in fünf Buchstaben abkürzen müsste, läse sich das so:

SNAFU - situation normal - all fucked up.

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Trust no one
ich muß wirklich noch mal meinen alten Sammelband von Mondo 2000 rauskramen, 1992, aus der Frühzeit des Cyberwunderlands. Wo Aktivisten wie Rudy Rucker, R. U. Sirius et al. über "Transrealismus", "Bio-Enhancement", neue Drogen und Weltfrieden philosophierten. Durchaus mit Witz, nicht immer doof und natürlich zu einer Zeit, wo man noch Träumen durfte. Die Technik,die dann kam, hat sogar viele dieser Versprechen eingelöst. Vom Preis, also die Daten-Garotte, die uns allen um den Hals liegt, hat keiner gewußt - am wenigsten sicherlich die "Dienste", die Jahrzehnte gar nicht ahnten, was sie da für ein Werkzeug hatten.

(Eine große Gefahr geht meiner Meinung nicht vom Datenwissen der Dienste aus, sondern vom beschränkten Weltwissen der Ameisenarbeiter dort. Manche kolportierten Gutachter-Aussagen lassen einem da ja die Haare zu Berge stehen, weil man denkt, bitte, das soll verdächtig sein? Das macht doch jeder, wo lebt ihr denn? Na eben im geistigen Reihenhaus.)

Ich bin nach wie vor erstaunt, wie schmal offenbar das historische Wissen um z.B. Fahndungsmethoden wie Rasterfahndung, die Auswirkung der Volkszählung 1987, um zwei Eckpunkte zu nennen, bei den Internetköpfen hierzulande ist. Ist das ein Alters- oder Sozialisierungsproblem? Das ist doch - wie jetzt auch von der Berliner Internet-Intelligentia bemerkt - alles eben wirklich nicht neu, nicht mal 20. Jahrhundert, nur gewaltiger. Es kulminiert, wenn ich mal ranten darf, im Klicken von Datenschutz-ePetitionen mit Apple-Geräten.

Das ist jetzt also die "Erkenntnis"? Da bricht man doch zusammen. Die reiben sich verwundert die Augen und sagen "Ach sooo ist das"? Was soll man antworten? Herzlich Willkommen, auch schon da?

Pikant und für eben sehr, sehr doof gelaufen: Gestern haben diese Jungs noch eifrig Werbung für Vodafone, Opel und Coca-Cola gemacht. Jetzt wollen die mich schützen? Hängt nicht vielleicht doch so einiges mit einigem anderen zusammen?

(Geht ab / Burroughs lesen)

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Ist das ein Alters- oder Sozialisierungsproblem?

Wahrscheinlich beides.

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Apropos Blick in die Vergangenheit und auf Motivationen: Die Geschichte der Grünen lehrt den Ausblick. Soeben hat Joschka Fischer auf dem Parteitag in Berlin gesprochen. Irgendwann wird er Außenminister sein. Danach "was mit einem Autokonzern" machen.

Möglicherweise geht es ohne solche Archetypen "Fischer", die Gegner knallhart wegbeißen, während sie von einer freiheitlichen und gleichen Gesellschaft oder anderen opportunen Themen reden, nicht. Die wabernden Machtprozesse und das Ringen um Diskurshoheit sind jedenfalls auch dabei sehr interessant zu beobachten. (Und bei manchen möchte ich nicht, daß sie jemals wirkliche Macht bekommen.)

Jemand könnte übrigens bis dahin mal eine Internetparabel schreiben. "Farm der Tiere" wäre ein guter Titel.

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Apropos Blick in die Vergangenheit: Ich fand neulich beim Ausmisten das Buch Gefährliche Netze von Gerald Reischl wieder. Es erschien 2001, vor 9/11. Auf den letzten Seiten des Kapitels über Echelon geht er auch kurz auf Wiretap ein, die Schnüffelfunktion, die Cisco in seine Router einbaut und damals auch auf der Firmen-Website in 50 Dokumenten erläuterte.

Bei den Cisco-Routern sind diese Abhörvorrichtungen eingebaut, damit künftig Telefonate, die über Internet geführt werden, abgehört werden können. Allerdings kann man mit dem Wiretap um einiges mehr anfangen. Das beschreibt Cisco sogar auf seinen Seiten: Wiretap kann sowohl für digitale Gesprächsverbindungen als auch für Daten verwendet werden. (...) Cisco [ist] mit einem Marktanteil von etwa 95 Prozent Weltmarktführer bei den Internet-Routern. Überwacht werden kann also fast lückenlos.

Das Buch war offensichtlich kein Bestseller, sonst wären voriges Jahr nicht alle so aus den Wolken gefallen.

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Ich bin nach wie vor erstaunt, wie schmal offenbar das historische Wissen um z.B. Fahndungsmethoden wie Rasterfahndung, die Auswirkung der Volkszählung 1987, um zwei Eckpunkte zu nennen, bei den Internetköpfen hierzulande ist.

Ja, absolut! Wobei ich unterstelle, dass einige davon zumindest schon mal gehört haben, aber nicht verstehen, was das mit dem hier und heute zu tun hat. Vielleicht weil sie sich zu sehr an der Dezentralität des Internet und der festklammerten, um zu erkennen, dass gewisse Gesetzmäßigkeiten der Verarbeitung personenbezogener Daten (etwa, was die Möglichkeiten der Deanonymisierung aufgrund gewisser Merkmalscluster angeht) völlig unabhängig davon gelten, ob mit Mainframe-Zentralrechnern gearbeitet wird oder mit dezentral verteilter Rechnerleistung.

Das Buch war offensichtlich kein Bestseller, sonst wären voriges Jahr nicht alle so aus den Wolken gefallen.

Ich wollte schon mehrfach das "Rohwohlt aktuell"-Taschenbuch "Datenschatten" (ein Buch zur gleichnamigen Sendereihe des ZDF vor ziemlich genau 30 Jahren) ausmisten, habe es dann aber doch nicht übers Herz gebracht. Unglaublich, was da schon alles drin stand über mögliche Auswirkungen der zunehmenden Computerisierung aller möglichen Lebensbereiche.

Nun könnte man natürlich einwenden: Die neuen Möglichkeiten der Teilhabe und die mannigfaltigen Vergnügungen, die das Internet bereit hält, wurden damals nicht (oder nur rudimentär, wenn wir an btx denken) antizipiert. Aber, wie wir heute erkennen müssen, hat vielen das ganze hachwietollallessoschönbunthier den Blick dafür verstellt, dass unter der Oberfläche die andere, die dunklere und herrschaftsstabilisierende Seite der Datenwelt immer noch da ist.

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Aus anderer Perspektive
Es wird vielen vielleicht zu abstrakt sein.

Es ist jetzt nur ein schrulliger Nebenaspekt, aber ich halte sehr viel von der Überzeugungskraft sinnlicher Erfahrung - seit aber Modems nicht mehr Schringern beim Händeschütteln (oder mit Tüt-tüüt-Tüt erstmal Mailboxen anwählen), hört man "das Netz" ja nicht mehr. Damit meine ich, man nimmt nicht mehr wahr, wie jetzt, in diesem Augenblick, Daten den Besitzer wechseln. Oder wie das ist, wenn man abends Mittelwelle (höh?) oder gar Kurzwelle einschaltete und die berühmten Fünfer-Gruppen aufgezählt bekam. Auch das machte ja auf sinnliche Weise deutlich, daß Geheimdienste nicht nur in James-Bond-Filmen vorkommen. Daß da real gearbeitet wird, jetzt, in diesem Augenblick.

Für mich ist das ein Unterschied wie Musik hören oder auf dem Notenpapier lesen. Da kommt es nur wenigen nah.

Zu diesem Thema würde ich ausnahmsweise selbst mal einen Vortrag auf der republica halten. Arbeitstitel: "Das Netz wird erst sicher, wenn man es riechen kann".

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Von der sensuellen (ich sage bewusst nicht: sinnlichen) Seite habe ich das noch gar nicht gesehen. Die kleinen Latenzen beim Laden einer Seite, das Puffern eines Videos oder die rotierenden Anzeigen, dass Inhalte noch nicht vollständig geladen wurden, geben zumindest noch eine Ahnung von Datenverkehr (zumindest downstream) Aber Sie haben recht, das Ohr ist bekanntlich das Tor zur Seele, und das Modemgeräusch hat das Herstellen einer bidirektionalen Verbindung sehr sinnfällig untermalt. Ich glaube, riechen möchte ich da lieber weiterhin lieber nichts. Berliner Billignudelgeruch, das muss ich nicht haben, wenn ich mal Tweets aus dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain gucken gehe. ;-)

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Oder bei Fischgeruch, oh, Herr Kid bloggt wieder unten vom Hafen. Ich wollte Ihr Thema auch nicht derailen, aber auch einfach mal eine esoterische Idee entwickeln. Ich könnte dann inmitten all der Fischers ein bißchen die Ditfurth spielen.

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Hihi, der Fischer und sine Fru Ditfurth, ein modernes Politmärchen ohne happy end.

Aber zurück zum Thema, dieses "Mondo 2000" ging damals wie gesagt leider völlig an mir vorüber. Wäre jetzt sicher auch eine interessante Erstlektüre mit dem Vergleich, was man sich damals vorstellte und was wir heute (stattdessen) haben.

Man muss es auchmal so sehen: Die Technik, die dann kam, hat in vielerlei Hinsicht sogar mehr ermöglicht als die Datenautobahnen, die Time Warner, Telekom & Konsorten in die Wohnzimmer verlegen wollten, um das Geschäft mit dem Endkunden ohne die Videotheken als Zwischenhändler machen zu können...

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Den Sound kann man noch nachhören, gibt dazu jede Menge auf Y*utube, sogar 700 Prozent langsamer, fast schon wie bei John Cage.

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Creepy indeed - beim Anhören der ultra slow version ist mir eben der Mauszeiger eingefroren, da half nur Neustart. Die Erklärung der Geräusche werde ich mir aber nochmal zu Gemüte führen, das interessiert mich wirklich.

Habe übrigens für alle Fälle noch mein 56k-Modem im Keller. Als am vorigen Wohnort (wo wir noch ein ISDN-DSL hatten) das Internet mal nicht ging, habe ich mich damit eingewählt, um wenigstens ins Mailpostfach zu gucken. War aber eine ziemlich zähe Angelegenheit...

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Mein grünes 56k-Modem lebt auch noch, allerdings nicht bei mir im Keller. Damit las ich seinerzeit Blogs.

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Vielleicht so eins?

Meine grüne ELSA, die mich vor dem DSL-Umstieg an die Datenwelt koppelte, habe ich wie gesagt noch da. Haben Sie Ihre gespendet für die Facebook-Revolution in Ägypten (wenns nicht zu indiskret ist)?

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Ihr Link funktioniert leider nicht.

Nein, das Modem liegt in einem deutschen Zimmer und ist dort noch an einen Rechner angeschlossen.

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Komisch, hier funktioniert der Link. Ist es hier zu sehen?

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Der zweite Link geht, der erste führte zu "502 Not Implemented".

Ja, so eines ist es.

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Sinnliche Erfahrung bei Datenverkehr, hübscher Ausdruck. Das ist bei den Schreibtischrechnern als Thema noch der Rede wert, wenn man wenigstens den Trigger wiedererkennt, am Festplattengeräusch zu hören, ob gerade ein Download stattfindet, rrrrrrrrrrrrrr. Bei den Hosentaschenrechnern mit Telefonfunktion ist das sensuell obsolet. Ich kenne genug Menschen, die alles andere als early adopters des Netzes waren, aber sehr wohl naive adopters von praktisch allem seit fratzbook und blubb sind. (Kommen diese Menschen, die ganz normalen Deppen, die meiner unmaßgeblichen Meinung nach im Lande die Mehrheit bilden, in den Selbstbespiegelungen der Zweinuller in angemessener Weise vor?). Der Aufklärungsgrad ist jedenfalls, juchhe!, ganz sachte auf knapp über Null gestiegen, die schulterzuckende Tendenz zum Fatalismus ging in der Bezugsgruppe postwendend von Null auf Hundert.

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Nochmal zu obigen Bücherdiskussion:
In Mein Kampf stand ja auch schon fast alles drin, was kommen sollte und dennoch waren alle Deutschen bis zum 8. Mai 45 gutgläubig und haben nichts gewußt.

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Wobei das mit dem "nichts gewusst" in den meisten Fällen eine Schutzbehauptung gewesen sein dürfte.

Aber wie Schwenzel sinngemäß schrieb: Dass der US-Gemeindienst an der parlamentarischen Kontrolle vorbei operiert, kann doch nicht ernsthaft überraschen, das hatte vor 30 Jahren auch schon die "Tagesschau" vermeldet.

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Es sind u. a. dieselben kritischen Geister, die vor vier, fünf Jahren ihren Fans empfohlen haben, zu einem bestimmten Telefonanbieter zu wechseln. Wenn ich die Werbung damals richtig verstanden habe.

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Ja genau, was macht eigentlich die von den Ex-Mannesmännern seinerzeit umworbene "Generation hochlad"? Die entschlüsselt wahrscheinlich immer noch Fehlermeldungen. Und hofft darauf, dass die Verräter- und Umfallerpartei SPD es netzpolitisch schon richten wird.

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