Montag, 5. November 2012
Brief an meine Tochter
Liebe ******,

nachdem Du in der Schule den Zettel vergessen hast, auf dem das Gedicht steht, das Du bis morgen auswendig lernen sollst, warst Du ziemlich geknickt. Umso mehr, als dann auch noch Deine Klassenkameradin nicht da war, bei der Du geklingelt hast, um das Gedicht bei ihr abschreiben zu können. Aber nachdem Du wenigstens den Titel sofort parat hattest, konnte ich dann im Internet gucken und ganz schnell fündig werden:

Hier ist es, bitte sehr!

Dein Dich liebender Vater

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Das beruhigt mich etwas, daß auch heute noch James Krüss in der Schule ein Thema ist!
Und daß Gedichte auswendig gelernt werden und nicht das Installieren von Lyrik Apps auf dem curriculum steht!

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Heutzutage wird immer noch viel zu viel auswendig gelernt statt angewendet.

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@tama:
Das mag für sehr viele Lerninhalte zutreffen, die man sich besser anders aneignen würde, gerade auf der weiterführenden Schule.

Aber das gelegentliche Auswendiglernen eines Gedichtleins in der Grundschule sehe ich von dieser Diagnose nicht unbedingt berührt. Was wäre denn stattdessen die richtige Anwendung?

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Nun, ich denke, das Auswendiglernen hat schon eine wichtige Funktion für das Hirntraining.
Ich stelle jedenfalls fest, daß das weniger Auswendiglernen nicht unbedingt zu höherer geistiger Transferleistung geführt hat.

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Textverständnis halte ich für wichtiger. Gerade bei Gedichten bietet sich das auch an (Jap, auch Gedichte wie das vorliegende) - entweder durch visualisieren. Nasse Hunde malen oder nachspielen. Szenerien aufbauen, z.B. auch in der Gruppe. Fördert gleichzeitig die soziale Ader und nicht zuletzt die Kreativität. Letztere kann man auch fördern, indem einfach geübt wird, wie man das Gedicht stimmungsvoll vorträgt. Oder es in Form von Musik oder Gesang vertonen. Wurde teilweise z.B. auch an meiner Grundschule gemacht. Wir haben nie etwas auswendig gelernt. Wir haben spielen und ausprobieren gelernt und wie wir uns mit unseren Talenten entwickeln. Teilweise auch ganz individuell, das war erlaubt und oft auch gar nicht anders machbar, weil es keinen Frontalunterricht gab.

(Anm.: Da ich nur meine eigenen Umstände kenne, berühren diese keinesfalls Gegebenheiten an anderen Schulen etc. Das sage ich nur vorsorglich, weil man mich in letzter Zeit häufig mal missverstanden hat.)

Was nicht heißt, das Erfolgserlebnisse verbunden mit erfolgreichem Auswendiglernen keinen Spaß o.ä. machen (können). Ist für mich aber eine andere Priorität.

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Tama, grundsätzlich würde ich Ihnen da gar nicht widersprechen, letztlich ist es eine Dosisfrage. Wir reden hier vom zweiten Schuljahr, und bisher stand Auswendiglernen noch gar nicht auf den Plan, insofern finde ich das einfach mal eine gute Abwechslung. Ist ja nicht so, dass das Ausmalen von Figuren und andere Formen zwangloserer Kuschelpädagogik bisher zu kurz gekommen wären.

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@don ferrando:
Wobei die Frage wäre, ob nachlassende Anforderungen an Auswendiglernerei mit ursächlich sind für etwaige sinkende Transferleistungen oder ob das nur korreliert. Da kann ich nur spekulieren.

Bei Töchterlein beobachte ich jedenfalls, dass Liedtexte schon immer sehr gut reinliefen, und mit der Violine versucht sie die Stücke immer so schnell es geht ohne Notenblätter auswendig zu spielen. Auf "Alle Jahre wieder" ist sie selber gekommen mit nur minimalem Rumprobieren.

@Tama: Textverständnis - ja, immer gerne genommen. Aber führt der Weg über figürliches Ausmalen oder darstellende Perfomanzen eher zum Ziel oder lenkt es mehr vom eigentlichen ab als vielleicht notwendig wäre? Die Frage kann man nicht für alle Kinder gleich beantworten, denke ich. Als ausgesprochene Leseratte hat Töchterlein einen ziemlich kurzen und direkten Weg in die Inhaltsebene von Geschriebenem (und Gehörtem), aber bei etlichen Kids in der Klasse dürfte es genau andersrum sein, dergestalt, dass der leichtere Weg eher über die Performanz und sinnlichere Erfahrung führt.

Diesen unterschiedlichen Voraussetzungen innerhalb einer Klasse muss Unterricht gerecht werden, und das ist nicht so einfach. Grad gestern hörten wir die Klage einer Mutter, dass ihr Sohn, der relativ unspektakulär und unmotiviert im unteren Mittelfeld rumdümpelt, mehr direkte Rannahme und Förderung bräuchte, aber das werde von der Klassenlehrerin nicht so recht wahrgenommen. Das ist wahrscheinlich nicht mal falsch beobachtet, aber trotzdem die Frage, ob das realistisch zu leisten ist, jedem die optimalen Impulse mitgeben zu können.

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Ich habe in der Schule immer sehr viel auswendig gelernt. Klausur geschrieben und dann konnte ich alles wieder vergessen. Neu auswendig lernen und nächste Klausur. Und das nicht nur in Latein, sondern auch bei anderen Sprachen oder Naturwissenschaften. Klar, es kommt auf die richtige Dosierung an, aber in der Menge ist das pädagogisch natürlich (auch damals schon, bin ja nicht mehr der jüngste) überholt gewesen. Allerdings bereitet das gut auf´s Studium vor: da waren die Auswendiglernen-Könner wiederum ganz weit vorn. Wie gesagt: gegen ein kleines Gedicht auswendig lernen ist überhaupt nichts zu sagen. Aber das "Lernen" in der Schule (und danach) müsste mal überarbeitet werden.

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Der Punkt, warum immer noch so viel auf Pauk-Wissen abgehoben wird, ist nicht zuletzt der, dass das halt am einfachsten abzufragen und zu bewerten ist - und überdies den Lehrer nicht in übermäßige Erklärungsnöte bringt. Der Schüler, der entsprechend funktioniert (siehe rocky raccoon) hat seine Erfolgserlebnisse, also alle glücklich und zufrieden. Die Schule ist ja auch nicht dafür da, die Schüler zu allzu kritischem Denken anzuregen. Wobei das sich-selber-erarbeiten von Lehrinhalten heute schon eine etwas größere Rolle spielen dürfte als bei uns seinerzeit.

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Textverständnis und Performance ist eines, Auswendig lernen etwas anderes. Beides gehört IMHO zusammen. Ich kann mich nicht auf eine Performance konzentrieren, wenn ich Schwierigkeiten habe mich an den Text zu erinnern. Genau so hilft es einer Performance, wenn ich verstehe was in dem Text passiert.

Schlimm ist, was unter dem Namen Bulimie-Lernen seit ein paar Jahren die Runde macht. Auswendiglernen, prüfen, entleeren. Dann die nächste Lerneinheit.

Wenn man weiß was die Grundformel zu den Vorgängen an einer schiefen Ebene ist, die einzelnen Vorgänge verstanden hat, und Formeln umstellen kann (was sich auswendig lernen lässt!), dann muss man nicht übers Wochenende Seitenweise aus dem Physikbuch lernen, nur weil der Lehrer für Montag gerüchterweise eine Klassenarbeit angesetzt hat …

Schön, das sich Briefe an die eigene Tochter langsam in der Blogsphäre etablieren …

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Yep. Ohne die Fähigkeit, Inhalte abrufbar abzuspeichern, wird man nicht weit kommen. Ganz gleich, ob es um Vokabeln geht oder um komplexere Sachverhalte wie den Zitronensäure-Zyklus (das Horror-Thema aus dem Bio-LK). Sehe nicht so recht, wie man sich die molare Energiebilanz von Redox-Reaktionen und so Zeugs mit Hilfe von eurhythmischen Tänzen oder theatralisch-szenischen Darbietungen draufschaffen soll. Aber vielleicht fehlt es mir da schlicht auch nur an Phantasie.

Bulimie-Lernen hats auch schon zu unserer Schulzeit gegeben, nur benannte man das noch nicht mit diesem knackigen Begriff.

Dieser Beitrag mit seiner spezifischen Erzählform war natürlich schon ganz klar als Reverenz an Deine Adresse gedacht...

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persönlich hab ich das ja immer so verstanden, dass das auswendiglernen gerade von gedichten eher der übung des auswendiglernens an sich, und weniger dem verständnis des gedichtinhaltes dient. und ohne auswendiglernen zu können kann man nur sehr wenige dinge lernen, ausserdem macht einem die fähigkeit des auswendiglernen könnens das leben manchmal sehr viel leichter, auch im alltag. ganz profan: wenn man das, was man einkaufen muss, nicht auf einem zettel niederschreiben sondern sich merken kann dann braucht man zumindest in meinem alter) weder zettel noch lesebrille zum einkaufen. irgendwie hat das was.

vokabel, chemische formeln, programmierbefehle, alle die dinge die (auf den ersten blick) nicht logisch ableitbar sind, die muss man zunächst einfach auswendig lernen.

wie heisst es in der feuerzangenbowle so schön in der beschreibung der dampfmaschine: dat eene loch, dat is die feuerung, und dat annere loch, dat krieje mehr später.

das eine ohne das andere funktioniert nicht wirklich.

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Ja, Bulimie-Lernen gab es auch schon in der Grundschule, Klasse 1a, 1970 in Opladens Herzogstraße. Nach meiner Wahrnehmung sind besonders Mädchen in der Lage, die Schule mit Auswendiglernen (anstelle vom Verständnislernen) zu überstehen. Lernen via Verstehen ist aber ganz schön hart. Deutlich härter als zu verstehen was tatsächlich abgeht. Kein Wunder das der Weg so beliebt ist. Total verwunderlich wenn Pädagogen das durchgehen lassen.

Yeah! Ich habe eine „spezifische Erzählform“ gefunden. Da träumen manche Schriftsteller von. Jetzt muss ich nur noch aufpassen, das ich nicht Größenwahnsinnig werde …

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@kelef: vokabel, chemische formeln, programmierbefehle, alle die dinge die (auf den ersten blick) nicht logisch ableitbar sind, die muss man zunächst einfach auswendig lernen.

Genau darauf, dass das eine ohne das andere nicht wirklich ans Ziel führt, wollte ich hinaus. Und dem steht die Beobachtung ja nicht entgegen, dass in der Schule möglicherweise immer noch zuviele Inhalte sturheil auf kurzfristige Abrufbarkeit hin gepaukt werden und zu wenig pädagogische Mühe auf die Anleitung zum Herleiten verwendet wird.

Aber wie der_papa ganz richtig anmerkt, ist letzteres oft der schwierigere Weg. Aber verwunderlich scheint es mir nicht, wenn Pädagogen sich mit der anderen Variante zufriedengeben. Unter kurzfristigen Effizienz-Gesichtspunkten und mit Blick auf die leichtere Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit der Lernergebnisse ist das geistlose Gebimse klar vorne.

Und was die Mädchen angeht, da hatten wir ein sehr extremes Beispiel in der Klasse. Karin M. war wirklich kein Kirchenlicht, ihr häufigster Satz war "Des raff isch net", und doch hat sie es später mit einiger Mühe (und zu meiner Riesenüberraschung) zu einem Doktortitel in Chemie gebracht. Wie das zuging, erscheint mir bis heute rätselhaft. Entweder ist ihre Gehirnkapazität mit mehr Beanspruchung dann doch noch gewachsen, oder sie hat das hauptsächlich mit sturem Auswendiglernen hingekriegt, da kann ich nur spekulieren.

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Mangelndes Zutrauen von sich und anderen kann stark auf die Gehirnkapazität schlagen. Ich wurde in der Schule auich als lernbehindert und unintelligent eingestuft und konnte wirklich nichts, weil ich es selber geglaubt habe. Davon ist heute nach außen hin nichts mehr zu merken (nach innen muss ich mir manchmal noch einen Ruck geben, dann funktioniert as Gehirn auch wieder einwandfrei) und meine Promotion habe ich auch nicht mit Auswendiglernen geschafft.
Vielleicht hat Ihre Klassenkameradin über ein Thema, das sie wirklich interessiert gemerkt, dass sie doch mehr kann als reines auswendiglernen.

Es gab da mal so Experimente mit Mädchen+Mathematik. Einer Gruppe erzählte man, Mädchen seien im Rechnen besser als Jungen, der andere das Gegenteil oder garnichts (so genau weiss ich das nicht mehr). Die "besseren" schnitten erheblich besser ab bei anschließend zu lösenden Rechenaufgaben....

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Schüla Obama: das beste käm noch sachta er hätte neben change change change und yes yes yes noch was anderes auswendichgelernt
schüla obama:

ihre leistungen waren bisher zwischen mangelhaft und ungenügend einzuordnen

mir is es schleierhaft wie sie sich auf ein ausreichend steigern wollen

ich wünsche ihnen viel erfolg
nur leider hab ich sehr wenig hoffnung

ein trost mag ihnen sein
hinter ungenügend können sie nich zurückfallen
das is nich möglich

und bonuspunke für hautfarbe rasse religion und geschlecht werden wir nicht einführen auch wenn die deutschen gazetten in ihrer hysterischen jubellaune das jahrzehnt des schwarzen messias verkünden
der irgendwann über das wasser wandelt
und das brot vermehrt

bisher schüla obama

sahen wir nur plattfüsse in der badewanne
mit einem cheeseburger zwischen die zähne
zwischen gummienten

und darum werden sie sich weitehin ihre benotunk im repräsentantenhaus abholen müssen

sie werden da weiterhin
change change und yes yes
zum besten geben

und die zitterwölfe
werden weiterhin
NO NO NO NO
antworten müssen

es wird ein trauerspiel und china lacht sich krank

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@ziwo: Sehe ich ähnlich, aber dass ich dem Kandidaten, der für Frischluftzufuhr durch Fensteröffnung in Flugzeugen plädierte, wesentlich mehr zugetraut hätte, kann ich nun wirklich nicht sagen. Letztlich ist auch relativ wurscht, wer das Rennen macht, denn wie Paul Krugman sagte, laufe es in jedem Fall auf "eine Regierung von den 0,01 Prozent durch die 0,01 Prozent für die 0,01 Prozent" hinaus.

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@berenike:
Kann schon gut sein, dass andere Rahmenbedingungen plötzlich einen Schalter umlegen und Blockaden lösen. Ich weiß nicht, ob die Auffassung, dass Mädchen schlechter rechnen könnten, während meiner Schulzeit weit verbreitet war. Für mich, der ich mit Mathe zum Teil ziemliche Mühe hatte, stellte sich das schon damals anders dar. Wobei man ja auch die Vorauswahl berücksichten muss, dass die größten Nerds von vorherein den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zug belegt haben dürften, und Neusprachlich II nicht gerade die Rechengenies beider Geschlechter bündelte. Es gab da aber eine Mitschülerin (Marion B. - Herr monnemer wird sich erinnern), die nicht nur mit ihrer enormen Leibesfülle auffiel, sondern auch damit, dass sie immer wieder mal kundtat, völlig andere Rechenwege zum gleichen Endergebnis gefunden zu haben. Und zwar bei Sachen, wo selbst die Mathelehrer keinen Peil hatten, dass es auch anders funktionieren könnte als es in ihren Lehrbüchern steht.

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Ich bin ein sehr großer Fan des Auswendiglernens. Muß amn wie alles andere auch nicht übertreiben, aber so verteufelt wie es gerne wird ist das einfach nicht.

Auswendig Gelerntes kommt zu einem zurück wenn es stinkenlangweilig ist oder man dringend Ablenkung braucht. In Momenten, wo ich nervös werde, den Grund aber nicht abstellen kann, sage ich geistig Gedichte auf, das beruhigt ungemein.

Man kann nicht alles immer logisch herleiten. Irgendwann kommen Vokabeln und die kann man zwar sprachgeschichtlich erklären, aber ich denke, daß in einer 5. Klasse vielleicht die Herleitung des Wortes "car" aus dem Lateinischen (was man ja auch lernen müßte) oder gar Indo-Europäischen weniger angebracht ist als eine einfache Übersetzung.
Dann schon mal geübt zu haben, wie man sich was einprägt, ist auf jeden Fall hilfreich.

dazu kommt, daß Gedichte (na ja, viele Gedichte) aus Worten, die etwas bedeuten, in einer sinnvollen Reihenfolge, bestehen.
Kleiner Tiger hatte Sprachprobleme. Nachdem wir einen Facharzt nach dem nächsten konsultiert hatten und die Kindergartensprachpädagogin etwas völlig anderes sagte (wir standen zwischen Förderbedarf und ausgeprägtem Wortschatz), fragten wir eine befreundete Logopädin um Rat. Sie meionte, daß der Junge einen leichten Disgrammtismus habe, aber nichts schlimmes und riet, mit ihm Reime, kurze Gedichte, Kinderleider etc auswendig zu lernen. Vorlesen und Sprechen alleine reicht halt nicht immer, er muß das selber aktiv üben, Hörverständnis habe er ausreichend. Das böte ihm eine Richtschnur, wie man eigentlich einen Satz "zusammenpuzzelt". Und siehe da: es hat geholfen, sogar beeindruckend.
Das ist in der 2. Klasse und bei Kindern ohne Grammtikproblem wahrscheinlich nicht so arg wichtig, aber beim Sprachenlernen wird man immer wieder Satzbausteine einfach auswendiglernen.

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@cassandra:
Es ist würdig und recht, Gedichte in diesem Gesamtzusammenhang noch mal gesondert zu preisen. Nicht nur aufgrund der sinnvollen Reihenfolge von Worten (auch Prosa reiht ja nicht sinnlos Worte und Satzteile aneinander), sondern auch mit Blick auf Reim, Sprachmelodie, Bildhaftigkeit und all das Spielerische, das vielen Gedichten innewohnt.

Dass das in bestimmten Fällen nicht nur für Freude sorgt, sondern auch hilfreich wirken kann, glaube ich Ihnen gerne (auch ohne Blind- oder Doppelblindstudie).

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Eben, der andere Sprachfluß in Gedichten hilft anscheinend, es "häppchenweise" zu begreifen.
Auch Singen (was auswendig gelernten Text erfordert, vom Blatt absingen kann kaum ein Kindergartenkind) hilft, den Sprachfluß zu strukturieren.

"The Charge of the Light Brigade" zu rezitieren oder "Into the breach once more, into the breach!" oder auch was auch immer... ohne würde mir was fehlen. Ich bekomme immer um diese Jahreszeit rum "massiven Eichendorff", plötzlich müsen es Herbstgedichte sein.
Wir hatten sehr viel Spaß mit einem Bildband zum "Zauberlehrling" und auch kleine Kinder (Großer Tiger war 4) können mit
"Walle! walle
Manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße" sehr viel Spaß haben.

Ich weiß nicht, ob ich einfach jemand bin, der leicht auswendig lernt oder ob ich leicht auswendig lerne weil das zu meiner Schulzeit noch gefordert wurde, aber mit würde ohne meine "Prosa zum Mitnehmen" was fehlen. Muß nicht jeder so sehen, aber man sollte es zumindest mal probiert haben.

Es gibt Sachen, die sollte man auswendig können, und wenn es nur die Nationalhymne ist damit man nicht als einziger dumm rumsteht wenn alles losgröhlt (ich mag keinen Fußball).

Schule soll einen mit den Grundzügen von Literatur vertraut machen. Nu' kann man drüber reden, ob James Krüss dazugehört, aber selbst wenn man mit "naye" votiert, sollte man
a) einen Grund dafür haben, ihn also zumindest kennen
b) einsehen, daß es ein bißchen heftig ist, wenn man plötzlich in der 8. Klasse den Zauberlehrling auswendig lernen soll, das aber nie geübt hat.

Wir lernen in der Schule vieles, was man nie wieder braucht. ich mußte noch NIE mit und/oder über eine Kurve diskutieren seit ich die Heiligen Lehrhallen meiner Oberstufe verlassen habe. Trotzdem gehörte es dazu. Warum also nicht ein paar Gedichte?

Das man sich entweder mit Gedichten auseinandersetzt oder sie auswendig lernt halte ich für ein Gerücht. Vielleicht ist mir "Die Bürgschaft" von Schiller nur so gut im Gedächtnis geblieben weil wir sie zwischendrin persifliert haben, aber sie ist drin.
Ich kann auch bei Bedarf immer noch große Teile "Maria Stuart" abspulen, was dadran liegt, daß ich die Elizabeth spielte, was nicht meinem extremen thespischen Talent geschuldet was, sondern der Textsicherheit. Ob mir das was nützt... ja, es unterhält mich. Und mehr will ich ja gar nicht! Andersrum betrachtet: schaden tut es mir auf keinen Fall.

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Ach ja, die Persiflagen. Und damit meine ich jetzt nicht die Kurzversion des Tauchers ("Blubb, blubb, weg war er"), sondern Sachen, die näher am Original blieben.

Wer knattert so spät duch Nacht und Wind
es ist der Vater mit seinem Kind
Der Sohn sitzt im Beiwagen sicher und warm
der Vater fährt zickzack, dass Gott erbarm (...)


Meine Eltern hatten im Bücherschrank einen dicken Wälzer voll mit Balladen-Klassikern, den habe ich als Kind immer wieder gerne mal zur Hand genommen. Aber bei all dem Lehrstoff, an den ich mich noch erinnere, könnte ich nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob wir "Die Bürgschaft" oder andere Gedichte dieser Art tatsächlich auswendig lernen mussten. Falls doch, kann ich mich zumindest nicht daran erinnern. Ich habe in der Schule eigentlich ab der Fünften keinen Strich mehr gemacht, vieles fiel mir ohne große Anstrengung zu, und das erste Mal, dass ich richtig was paukte, war kurz vor dem schriftlichen Abi: Um mindestens die fünf Punkte reinzuschreiben, die ich im Chemie-LK (mit dem ich mich bös verwählt hatte) brauchte, schaffte ich mir in zwei bis drei Wochen das komplette Teilgebiet der Zucker-Chemie drauf (das einzige LK-Abithema ohne lästige und komplizierte Rechnereien). Das war tatsächlich mehr auswendig gelernt als wirklich durchdrungen und verstanden, aber es rettete mir den Allerwertesten.

Tja, die Frage, wofür brauch ich das mal? haben wir damals natürlich auch oft gestellt, aber mehr so, um die Lehrer zu nerven. Mir erschien im Gymnasium vieles als prinzipiell "nice to know", aber eben nicht wichtig genug, um sich groß damit rumzuplagen. Kurvendiskussion habe ich trotz meiner Matheschwäche sogar noch ansatzweise gerallt, dass es für Note 4 oder fünf Punkte reichte, aber spätestens bei Vektorrechnung habe ich meine zwei Punkte nur noch für die körperliche Anwesenheit bekommen und dafür, dass ich zumindest versuchte, die Augen offen zu halten.

Habe ich aber vermutlich schon mal zum besten gegeben hier.

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Ich habe in Klasse 12 und 13 genau 2 Mathestunden versäumt. Meine Lehrerin hielt mich für gut, ich wußte, daß es leider nur harte Arbeit war. Sie weigerte sich, den Beweis meiner Ahnungslosigkeit in Form von schriftlichen 2 Punkten zur Kenntnis zu nehmen und gab mir nach der völlig versiebten Klausur eine Hausaufgabe, die ich durch- und vorrechnen sollte, was dann zu 8 Punkten im Zeugnis führte.

Für Stochastik fand ich sogar nützliche freizeitorientierte Anwendungen.

Dafür schlief ich mich durch den Geschichts-LK, der Lehrer sagte mal "ich hasse, es, jemanden so faulen so gute Noten geben zu müssen".

Zum Abi konnte ich alle Erlasse des Reichspräsidenten zwischen 1930 und 1933 mit Datum und Inhalt auswendig. Half aber nicht weil das Thema nicht drankam.

Mir fiel das Auswendiglernen immer leicht (bin halt ein Mädchen), das als sinnlose Plackerei anzusehen verstehe ich nur sehr theoretisch.

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das is mich schon klar das euch das auswendichlernen am faszinieren is
nur heute werden zusammenhänge vermittelt

wir sind mit die chinesen im wettbewerb
und die pauken noch wie blöd

lernt ma schön
was auswendich

da musst du nich denken tun

ach und cassandra spiel doch nich den krotzkotz auf deinem blog
mit haushaltshilfe
und aufsichtsperson für die kinder
und selbst den ganzen tach am screen um wichtichkeiten zu verbreiten

wie wohlhaben ihr seid
und was für tolle gutmenschen
und heute stimmen wir für obama
weil der für den deutschen schwarz is
und das is antirassistisch

das kommt echt scheisse bei zitterwölfen an
ruckzuck wird getrollt
und die mail an den wohltätigen dirk der euch alle das bloggen so kostenlos ermöglicht nützt doch nix

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nur heute werden zusammenhänge vermittelt

Ist dem so - oder ist es das Wunschziel, wo es hingehen soll? Mit weiterführender Schule und Studi-Betrieb bin ich im Moment ja nicht so in touch, aber ich höre im Zuge von G 8 und Bologna oft die Sorge, dass wenn in die kürzere Lernzeit mehr reingepresst wird, es dann auf Kosten der Vermittlung von Zusammenhängen geht und somit dem effizienzgetrimmten Kurzfrist-Reinpauken doch wieder mehr Vorschub geleistet wird.

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Wenn ich mir alte Telekolleg
Sendungen anschau, dann dauert mir das viel zu lang, mit dem Lernen...diese Längen...

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Telekolleg!
Die Erinnerung daran hatte ich schon verdrängt. Wie sich mein Vater immer ereiferte über den langhaarigen und bärtigen Typen, der in den Siebzigern die Mathematik-Sendungen präsentierte...

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Eberhard Weiß... auch schon tot

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dass wenn in die kürzere Lernzeit mehr reingepresst wird, es dann auf Kosten der Vermittlung von Zusammenhängen geht und somit dem effizienzgetrimmten Kurzfrist-Reinpauken doch wieder mehr Vorschub geleistet wird

Ist überhaupt nicht repräsentativ, aber:
Tigergatte berichtet aus dem Uni-Unterrichtsbetrieb, daß wenn er irgendwas aus dem letzten Semester anspricht, einfach nur leere Blicke erntet.

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cassandra,
ich glaube, das ist eine Folge der Verschulung des Universtitätsstudiums.
Was ist oben zum Auswendiglernen schrieb, bezog sich nur auf die (Grund)schulzeit.

Ich weiß nicht, ob die Verschulung der Unistudiengänge eine direkte Folge des "Bologna" ist oder, ob es nicht auch so gekommen wäre.
Anscheinend wir der Unterschied zwischen einem wissentschaftlichen Universitätsstudium und einer Fach(hoch)schulausbildung völlig niveliert.
(Stichwort Akademisierung von Ausbildungsberufen 'Bachelor of Hairdressing')

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Während der Grundschule und auch der Sekundarstufe I wird man am Auswendiglernen nicht vorbeikommen, allein schon um die Nerven der Uni-Dozenten zu schonen, die dann nicht jedesmal den Beginn des Ersten Weltkrieges oder gar sein Ende per PowerPoint neu einführen müssen.

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@prieditis,
es sind doch gerade die diese Längen, die den Reiz ausmachen!
Ich hatte neulich übrigens so einen Telekolleg-Moment, als ich in irgendeinem Dritten über The Joy Of Painting stolperte.
Was habe ich mich gefreut, denn, wie auch das Telekolleg Mathematik, kann ich sowas ja stundenlang anschauen und sanft wegdämmern. Natürlich ohne irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen.

Hieß die chemical sister nicht Karin N., Herr mark?

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@monnemer:
Meine Fähigkeit, mich von so handlungsarmen und langsamen Darbietungen sanft einlullen zu lassen, war noch nie sehr ausgeprägt. Zu den Ausnahmen gehörten bisweilen die Space Night im Bayerischen Fernsehen oder der Sendeschluss-Trailer auf arte mit den bockspringenden Schafsgestalten. Der legt den Zapping-Reflex lahm, man schaut einfach nur noch ganz entrückt der endlosen Kette der Bockspringer zu. Die Frage nach dem Woher und Wohin, das alles wird bedeutungslos - und die Augen werden immer schwerer...immer schwerer.

Huch, Sie haben recht bezüglich unserer Chemie-Koryphäe. Ich brauche so langsam eine Brille oder ein lesefreundlicheres Farbschema in der Dunkelkammer (dass auf meiner Tastatur n und m nicht mehr zu erkennen sind, kommt noch verschärfend hinzu).

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Einer der Telekolleg Dozenten war mein Mathe Nachhilfelehrer und hat meine Versetzung gerettet!
Im real life (hieß im letzten Jahrhundert noch nicht so) war er genauso, wie im TV!

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Das Bulimie-Lernen hat mich während meiner Schulzeit einige Male gerettet, als die Versetzungsglocke heftig geläutet wurde und es nicht um das Wie, sondern das Ob ging.
Hängen geblieben bin ich nie. Hängen geblieben von diesem Stoff ist allerdings auch nichts wenig.

So staune ich über meine Eltern, die heute, hoch in ihren Siebzigern, nahezu mühelos Gedichte, die sie in ihrer Schulzeit, die von ganz anderen Unannehmlichkeiten und Widrigkeiten als die heutige geprägt war, auswendig lernen mussten, vortragen können.

Wie schwierig das Auswendiglernen mangels Training heute für mich ist, wurde mir schmerzlich bewusst, als ich meiner Tochter vor einigen Jahren während einer leichten Schwächephase ihrer Schulzeit eine Wette anbot, zeitgleich mit ihr und innerhalb eines vorgegebenen Zeitraumes, „John Maynard“ zu lernen und fehlerfrei vortragen zu können.
Ich kapitulierte zwar nicht, unterlag aber, obwohl mir der Text bekannt war, einigermaßen würdelos.

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@wilson3d:
Ach, war das der auf dem Eriesee? Ich denke, bei so Sachen wird mich meine Tochter in nicht allzu ferner Zukunft eindosen wie sie's braucht.

Meine Oma hatte ihre Balladen aus der Schulzeit noch im hohen Alter parat, konnte sich aber nachmittags nicht mehr erinnern, was sie zu Mittag gegessen hatte. Ist wohl so, dass die Langzeit-Erinnerungen sich länger gegen die Altersdemenz stemmen.

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