Sonntag, 3. Juli 2011
Flucht aus dem Fest-Netz
Unten auf dem Platz gassenhauert eine grottige Coverband seit Stunden altbierselige Schunkelhits - "Take me home, Country Road" in Kirmestechno-Geschwindigkeit und "Una Paloma blanca", das ganze Repertoire des Grauens rauf und runter.

Ich bin aufs Rad und geflüchtet, aber man entgeht seinem Schicksal nicht, wenn der Fest-Virus den ganzen Landstrich im Griff hat. Im Nachbarkaff veranstaltet der Werbeverband Hülsenbroich-Kotzdonk e.V. einen verkaufsoffenen Sonntag, natürlich mit viel Ufftata, und für das leibliche Wohl ist auch gesorgt. Ein Ort weiter Umleitung wegen hochglanzgewienerter roter Leiterwagen mit blauen Lichtern drauf - oh, Feuerwehrfest, hätte man auch wissen können. Nicht mal in den Gewerbegebieten ist man heute sicher, hier ein Riesen-Trödelmarkt auf dem Parklatz des real-Marktes, dort organisierter Frohsinn in einer ehemaligen Fabrik in Krefeld-Uerdingen.

Ich aber ignoriere den Bratwurst-Dunst und strample weiter am Rhein entlang, vorbei am großen Bayer-Werk, das neudeutsch Chempark heißt. Irgendwann passiere ich die Stadtgrenze Krefeld/Duisburg und merke schnell, hier gibts nix mehr zu feiern, da kommen Spaßbremsen so richtig auf ihre Kosten. Nahe der Eisenbahner-Siedlung kicken ein paar Jugendliche eine leere Coladose über den Parkplatz einer Spedition. Anscheinend reicht ihr karges Taschengeld nicht mal für ein paar Sprühdosen, um sich künstlerisch zu verwirklichen an den vielen tristen Backsteinwänden der Umgebung.

Gerne hätte ich diese Expedition in unbekannte Gefilde von Schimanski-Town fortgesetzt, aber die Glasscherben-Dichte auf Radweg und Straße war mir dann auf Dauer doch zu hoch. Auch wusste ich irgendwann nicht mehr so genau, wo ich eigentlich bin, ob das noch Rheinhausen oder Friemersheim ist, und so habe ich den Rückweg angetreten. Wieder am Chempark vorbei, durch die Dujardin-Straße und durch den Krefelder Hafen, vorbei an der Stelle, wo es immer nach frisch vergorenem Sauerkraut riecht und weiter in die idyllische Verbundgemeinde.

Aber die Hoffnung, dass sich der Umtata-Umtrieb vorm Haus in der Zwischenzeit aufgelöst haben könnte, hat sich nicht erfüllt. Ich verkneife mir mühsam, mit einer fingierten Bombendrohung dem Treiben ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Man fragt sich aber schon, was wäre, wenn die Leute mal ein paar Sonntage am Stück "gehaltvolles Zuhausebleiben" (Max Goldt) üben müssten. Ohne Iwänts und Festivitäten, ohne Sonntags-Shopping. Würde es Revolution oder zumindest Randale geben - oder würde doch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich grün und blau zu besinnen, ein paar Einsichten in die Wirkungs- und Verblendungszusammenhänge des "Schweinesystems" zu bekommen?

Man weiß es nicht. Man steckt nicht drin.

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„Man“ weiß es genau, man steckt ja mitten drin.

Sollte man meinen. Egal.

Aber Köln hatte doch den CSD zu bieten! Das wäre die richtige Richtung gewesen. Der CSD ist politisch total korrekt und vom Hauptverband der Gutmenschen abgenickt. Auch dort wirkt ein „Schweinesystem“ und es ist ebenso offensichtlich wie ausgeblendet …

Demnächst Sprühlack einpacken und was für die Menschen auf der Straße, pardon, auf dem Speditionsparkplatz tun. Nur so kommt unsere Gesellschaft weiter …

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Auch auf die Gefahr hin,
der political correctness verdächtigt zu werden: Mein Problem mit dem CSD in Köln wäre weniger sein Anliegen an sich, sondern eher der Lautstärkepegel. Und mein generelles Problem mit größeren Menschenaufläufen unerachtet ihrer jeweiligen sexuellen Orientierung.

Meine Erwähnung der Sprühdosen spielte übrigen ein bisschen darauf an, dass ich mich in Portugal angesichts der zum Teil exzessiven "Verzierungen" in Lissabons ärmeren Außenbezirken des Gedankens nicht ganz erwehren konnte, ah, dafür haben sie also Geld. Das ist zugegebenermaßen ein durch und durch borniert-spießiger Gedankengang (wohingegen man für Homophobie mit einiger Mühe ja zumindest noch religiöse Beweggründe anführen könnte).

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Oh, die meisten Menschen haben keine religiöse Gründe. Die meisten haben … hmm, müsste man mal drüber nachdenken, warum und weshalb …

Aber der CSD, nun, der hat sogar in den eigenen Reihen seine transgenialen Kritiker: „Zum Berliner CSD gibt es seit dem Jahre 1997 eine alternative, im Volksmund „Kreuzberger CSD“, genannte Parade: Der Transgeniale CSD entstand nach der Kritik am CSD Berlin, dieser sei kommerzialisiert und entpolitisiert. Der Transgeniale CSD wird von einer offenen Organisationsgruppe gestaltet, Parteifunktionäre dürfen nicht reden und es gibt keine Paradewagen von Parteien oder Firmen.” Na, wenn das nicht Revolution ist!

Womit wir wieder beim „Schweinesystem“ sind, und überhaupt …

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Also das
können die wegen mir gerne unter sich ausmachen, wie sie ihren "unterhaltsamen, kleinen Defekt" (Max Goldt) zelebrieren. Ich hörte im übrigen auch schon aus anderen gutinformierten Quellen, dass sich durchaus nicht alle Vertreter dieser Fraktion von dem schrillen Pseudokarneval angemessen repräsentiert fühlen. Aber unter uns gesagt interessiert mich das so sehr wie irgendwelche innerkommunistische Flügelkämpfe zur Frage der richtigen Maifeier.

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Hier hat heute ein Schweinewetter verhindert, dass Leute vor die Tür gingen, die nicht mussten.

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Oje,
das wünscht man ja auch keinem. Hier wars trübe, aber gegen Abend wurde es sogar noch richtig schön.

Hatte die Niederschlagsverteilung auf dem Wetterradar noch gesehen, bevor ich aufsattelte. Das Zweistromland zwischen Rhein und Maas lag ausnahmsweise mal nicht mitten in der Pisszone.

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Immerhin verhindert anhaltender Regen bei 15 Grad die beschriebenen Gassenhauereien. Da verstehe ich die Leute nicht. Weinfeste haben bei miesem Wetter einen ganz eigenartigen Reiz. Ich mag das.

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Womöglich gibt es da grundlegende Unterschiede zwischen Weinfesten und Veranstaltungen mit Bierausschank. Erstere waren mir jedenfalls immer sympathischer, unabhängig von der Wetterfrage. Die Weinfeste in der Pfalz, die gehören eh auf die lange Liste der Dinge, die ich hier im niederrheinischen Exil vermisse.

Hier habe ich nicht den Eindruck, als könnte Regenwetter viel verhindern. Es kommt zwar weniger Laufpublikum, aber wenn so eine Combo gebucht ist, dann spielt die auch auf, wenns nicht grad Katzen hagelt.

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... Expedition in unbekannte Gefilde ...
Machense mal. Duisburg ist interessant. Schöne Ecken. Und grausige Gegenden. Manchmal glaubt man gar nicht, wie nah das heimische D-Dorf ist.

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Vom Krefelder Hafen
über die B 288 kommend oder von Wittlaer habe ich ja schon kleinere Abstecher in Randgebiete gemacht, Mündelheim, Serm und einmal auch Huckingen an dem großen Hüttenwerk vorbei. Das ist - wie Rheinhausen und Drumrum auch - schon ein ganz anderes Pflaster al D-Dorf oder gar die Verbundgemeinde, die Jan Weiler mal treffend als das Schlafzimmer zum Schreibtisch des Ruhrgebiets bezeichnet hat.

Und da habe ich von Hardcore-Gegenden wie DU-Marxloh, die ich nur vom Hörensagen kenne, oder Ruhrort aus den alten Schimmi-Tatortfolgen noch gar nicht gesprochen. Will ich aber auf Fälle mal erkunden. Reizlos ist das sicher nicht.

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Marxloh
Ein Platten und Sie sind geliefert...

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na na. marxloh ist ne sehenswürdigkeit!

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Ich seh schon,
ich muss da mal hin. Aber nicht unbedingt mit dem Rad.

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Unbedingt
Wir sind da schon durchgeradelt, wenn ich mich jetzt nicht täusche (Herr Raccoon?). Damals. Auf der Tour über Borken (Westfalen). Und wenn es Marxloh war, dann war es halb so wild.

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