Dienstag, 23. Februar 2010
Verkehrsentruhigung

(Archivbild)

So, die Besuchermassen sind weitergezogen, in der Dunkelkammer kehrt wieder Ruhe ein. Und jetzt heißt es, thematisch irgendwie die Kurve zu kriegen von der Datenautobahn zu unseren Dorfsträßlein. Hier ist gerade einiges im Umbruch, denn die Ortsdurchfahrt (einst Teilabschnitt der linksrheinischen Bundesstraße, jetzt zur Landstraße degradiert) wird komplettsaniert. Damit nicht genug: Für ein neu entstehendes Gesundheitszentrum mit Biomarkt im Erdgeschoss wird bei der Gelegenheit auch gleich eine Abbiegerspur mit Ampelanlage gebaut. Und weil der Durchgangsverkehr nordwärts nur noch einspurig durch dieses Nadelöhr geführt wird, zwängt sich die Blechlawine in südlicher Richtung durch kleinere Straßen - unter anderem auch an unserer Hausecke vorbei.

Ich muss sagen: Das verändert das Wohngefühl schon ganz enorm, wenn eine kleine Nebenstraßen-Kreuzung plötzlich unter einer Verkehrslast ächzt wie am Kamener Kreuz. Man kann es (mit einiger Mühe) auch positiv sehen. Unsere ÖPNV-Anbindung beispielsweise hat sich enorm verbessert: Drüben auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo im Bild die beiden Autos parken, ist jetzt eine Ersatzhaltestelle für zwei Buslinien eingerichtet. Für dieser Verbesserung der Infrastruktur nimmt man den temporären Schwund von vier Parkplätzen vor dem Haus doch gerne in Kauf.

Die Schattenseite des Ganzen: Man lebt beim Überqueren des Zebrastreifens noch gefährlicher als sonst. Die vielen Ortsfremden, die hier jetzt um die Ecke gebrettert kommen, wissen nicht, dass unmittelbar nach der Kurve ein Fußgängerüberweg kommt. Und darauf, dass sie es rechtzeitig erkennen, sollte man sich eher nicht verlassen. Man hetzt also mit Kind an der Hand über die Straße, als liefe man in Sarajevo während der serbischen Belagerung um sein Leben, weil man stets mit Heckenschützen rechnen musste.

Von diesem intensiven Lebensgefühl unter permanenter Gefahr bekommt man hier durchaus eine Ahnung. Und manchmal wünschte man sich Eingreiftruppen herbei, um dem drohenden Verkehrskollaps Einhalt zu gebieten. Vor allem, wenn irgendwelche Spezialisten sich weder von dem absoluten Halteverbot noch von dem Haltestellenschild davon abhalten lassen, da zu parken, wo sie immer parken, wenn sie zum Edeka oder zum Gemüsetürken an der Ecke zum Einkaufen gehen. Oder wenn dessen Lieferanten aus alter Gewohnheit die Kurve so zuparken, dass der Gelenkbus nicht um die Ecke kommt. Und das, wo man diese ganze Ecke doch vor 20 Jahren so gründlich verkehrsberuhigt hat. Tja.

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Freitag, 19. Februar 2010
Exoskelettierte Erektionen eines Elektroniklurchs
Bevor ich zum Eigentlichen komme eins vorweg: Mit Bloggern aus dem Umfeld der Berliner Binär-Bohème pflege ich keinerlei Erzfeindschaft, dazu habe ich schlechterdings zu wenig Berührungspunkte mit diesem Paralleluniversum. Michael Seemann alias mspro ist mir da und dort als Mitdiskutant (und zwar keiner von der blöden Sorte) über den Weg gelaufen. Jetzt schreibt er ein Blog für die FAZ, im weitesten Sinne geht es da ums digitale Dasein, und wie uns das verändert.

Ein spannendes Thema also. Allerdings frage ich mich spätestens nach diesem Beitrag hier, was der Autor uns damit sagen will. Zugegeben, das Naheliegendste wäre gewesen, ihm diese Frage ebendort zu stellen. Vor das Kommentieren haben die FAZ-Techniker aber eine hohe Registrierungshürde gesetzt, über die ich mich jetzt nicht drüberkämpfen möchte (vor allem, wenn ich sehe, dass in den FAZ-Blogs von Andrea Diener und Don Alphonso Benutzername, E-Mail und falls vorhanden auch URL ausreichen als Mindest-Formalität zur Senfspende). So wird das nichts mit der projektierten Diskursmaschine.

Aber lesen wir einfach mal rein:

(...)Mein erstes Augmented Reality-Erlebnis hatte ich Anfang 2008 mit Twitter. Ich hatte mich für den Abend mit einem Freund verabredet. Ich stand am Kottbusser Tor und das ist kein besonders netter Ort, um dort auf jemanden zu warten. Seit Twitter aber hat man ja eine Wartebeschäftigung: Klar, man twittert, dass man wartet. "Warte auf x. Treffpunkt Kottbusser Tor. Na danke!", war der Tweet glaube ich. Es dauerte keine zwei Sekunden und es trudelte eine Nachricht des Nutzers Horax ein: "Fahre an mspro [Anmerkung von, ja, mir: das bin ich] vorbei." Ein paar Sekunden später dann die Nachricht von Nutzer Sebaso: "Fahre an mspro und horax vorbei." (Alle Zitate aus dem Kopf, ähh, reproduziert.)

Wir drei waren uns ganz nah. Ich stand da draußen am Kottbusser Tor, Horax fuhr mit der U-Bahn in die eine, Sebaso in die andere Richtung. Wir waren einander in Rufweite, ohne uns zu sehen. Trotzdem war es nicht abstrakt, nicht nur drei Punkte auf einer Karte, nicht einfach die in Kilometern abgetragenen Entfernungsinformation. Es war ein Moment der Nähe, ohne dass wir uns sinnlich wahrnahmen - doch, irgendwie ja schon auch sinnlich. Meine Twittertimeline wuchs mir in diesem Moment zu einem Sinn. Man nennt Augmented Reality ja auch nicht umsonst den "Sechsten Sinn".

Ich kann nur darüber spekulieren, was diesen Moment so greifbar machte, was diese Präsenz spürbar machte. Vielleicht weil ich nicht nur erfuhr, dass die beiden an mir vorbei fuhren, sondern ich auch expliziten kommunikativen Zugriff auf sie hatte, per Twitter. Und zwar in Echtzeit. (...)


Davon abgesehen, dass mir das Wort "Zugriff" in diesem Zusammenhang nicht einleuchtet (ich kenn das mehr so aus dem, ähem, Polizeifunk), bin ich versucht zu fragen: Ja, und? Was macht nun diese brunzbanale Begebenheit zu einem derartigen digitalen Damaskus-Erlebnis, dass die Welt danach nicht mehr ist wie sie vorher auch war? Und worin besteht jetzt noch mal genau der "Zugriff" auf irgendwelche zufällig vorbeifahrenden Mit-Twitteure oder Twitteusen?

Seemann bleibt bei dieser Episode freilich nicht stehen, sondern extrapoliert munter weiter, quirlt ein paar Buzzwords wie "hive mind", "Echtzeit" und "mentales Modell" dazwischen, und kommt zu dem Schluss:

Wir werden im Internet alle Teil des mentalen Exoskelettes des anderen sein. Es ist die individualisierte Entindividualsierung! (Über die schwierige Frage der Identität werde ich mich ein andermal tiefer auslassen.) Im Laufe dieser Verwandlung werden wir die Kontrolle über beinahe alles verloren haben, was wir selbst zu seien glaubten und von dem wir dachten, dass es unser natürlicher Besitz sei. Wir werden dafür eine völlig andere, ungekannte Kontrolle über beinahe alles andere gewinnen, eine durch und durch transparente Welt und ein damit einhergehendes Weltverständnis, das weit über alles ragt, was wir heute glauben, überhaupt wissen zu können. Das ist das, was ich heute, aus meinen Erfahrungen heraus, mich traue hier öffentlich zu prognostizieren.

Öha. Dann wünsche ich den Beteiligten schon jetzt viel Spaß im Borg-Kollektiv mit ihrer neugewonnenen Kontrolle über beinahe alles andere. Ich bin wirklich nicht sicher, ob ich das für einen guten Tausch halten soll und ob diese totale Transparenz im Datenraum in eine Welt führt, in der ich leben möchte. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem FKK-Strand, wo alle nackig rumrennen und angestrengt so tun als mache das gar keinen Unterschied, und einem Strandabschnitt, an dem Bademode getragen wird, dann muss ich nicht lange überlegen, wo ich mich wohler fühle.

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Mittwoch, 17. Februar 2010
Zwischenruf aus der Krypta
Bedenke, Mensch, dass Du Staub saugst und zum Staub zurückkehrst.

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