Dienstag, 19. Januar 2010
Warnhinweis: Es folgen Zynismus und Menschenverachtung
Das ganze Elend auf der Welt (Haiti etc.) hat übrigens noch einen weiteren, der betroffenheitsbesoffenen Öffentlichkeit weniger bekannten nachteiligen Effekt: Es relativiert aufs Übelste meinen tödlichen Männerschnupfen. Wie soll man sich da angemessen in Wehleidigkeit und Selbstmitleid suhlen?

Aber jetzt mal abgesehen von meinen persönlichen Befindlichkeiten: Es gibt hier im Postleitzahlbereich auch viel Elend, das vielleicht nicht ganz so viele Schlagzeilen und Spendenmillionen mobilisiert, wie das Erdbeben in der Karibik. Es wurde in den Medien nicht so groß breitgetreten, aber in den letzten Tagen kam es hier in der Region Köln/Düsseldorf zu einigen Zwischenfällen mit Zügen und, ähem, resultierenden Personenschäden. Der tragische Tod eines 16Jährigen heute an der Benrather S-Bahnhaltestelle markiert gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs. Wie ich hörte, gab es in den letzten Tagen mindestens vier Vorfälle.

Ich will dem neulich aus dem Leben geschiedenen Nationaltorhüter jetzt für die von ihm gewählte und damit vielleicht noch populärer gemachte Methode der Selbstentleibung nicht noch pietätlos hinterhertreten, aber da meine Frau heute in einem Zug saß, der umgeleitet werden musste, tu ichs jetzt einfach trotzdem: Ich rate allen Selbstmordgefährdeten, Max Goldt zu lesen, denn der hat schon manchen zum Schmunzeln und auf ganz andere Gedanken gebracht. Aber selbst wenn das nicht hülfe gegen Weltekel und Daseinsschmerz, so möge sich der Leser trösten mit dem Bekenntnis, dass auch der große Kolumnist selber vor derlei Anwandlungen nicht ganz gefeit gewesen ist. Ich muss die betreffende Passage mal eben aus dem Gedächtnis zitieren, um die Besucher der Dunkelkammer jetzt nicht ellenlangem und hektischem Geblätter in "Die Kugeln in unseren Köpfen" auf die Folter zu spannen.

Da schreibt Goldt jedenfalls sinngemäß, auch er habe sich in selbstmitleidigen Phasen seines Lebens schon der einen oder anderen Selbstmordphantasie hingegeben. Ihm schwebe dabei vor, auf einer abgelegenen und menschenleeren kleinen Insel im japanischen Meer so lange am Ufer zu kauern, bis er vor Durst oder Hunger einfach vornüber tot ins Meer kippe. Für Hysteriker hingegen, die sich ihrer Verzweiflung vor Züge würfen und den Bahnverkehr behinderten, spüre er so etwas wie leise Verachtung.

Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen (und verspreche, die Fundstelle mit Seitenangabe, falls gewünscht, bei Gelegenheit noch nachzureichen). Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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