Mittwoch, 3. Oktober 2012
Bebilderte Bütt(g)enrede
Gut, das wird jetzt kein Reisebericht aus Teheran oder gar Esfahan, sondern für manche mehr so aus Richtung Kannitverstan. Aber "aus der Region" ist ja nicht nur bei Erdäpfeln und Mohrrüben (nennt man die noch so?) im Supermarkt inzwischen ein gefragtes Gütesiegel. Auch für regionalen und sogar sublokalen Blogcontent hat sich eine rege Nachfrage entwickelt. Nun muss man ehrlicherweise auch sagen, dass Bildberichte aus Büttgen von gerade mal einer Blogleserin verstärkt nachgefragt werden. Aber ein radp0rn0graphisches Incentive für mehr von der Sorte steht ja im Raum - und so habe ich heute trotz zweifelhafter Wetterlage Sir Walter für einen Ritt Richtung Südwest gesattelt.



Zum Ortsnamen vermerkt wikipedia übrigens, im 9. Jahrhundert sei Büttgen als Budica erwähnt worden, und Budecho habe der Ort im Jahre unseres Herrn 1027 geheißen. Da kann man heute ja viel erzählen, für mich als etymologischen Laien bedeutet der Ortsname Büttgen so viel wie "kleines Fass". Aber für Frau Novesia mache ich dort heute mal ein großes Fass auf. Wer mitmöchte, klicke in die Kommentare.

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So ziemlich das erste markante Gebäude in Büttgen, wenn man mit dem Rad aus Richtung Kaarst-Holzbüttgen kommt, ist sinnigerweise die Radsporthalle. In dem früheren Radsport-Leistungszentrum NRW finden zwar bisweilen auch andere Sportarten statt. Aber Pedaleure aus der Region kennen die Halle nicht zuletzt als Start- und Zielpunkt diverser Rad-Touristik-Fahrten (RTFs).

Dieses Überbleibsel einer ehemaligen Windmühle hatte ich zwar schon mal abgelichtet, aber da es ja eine opulente Bilderstrecke werden sollte, habe ich die Wiederholung billigend in Kauf genommen:

Relativ zentral gelegen: der Friedhof (EIngang jenseits der Verkehrsinseln).

Und noch zentraler der Bahnhof Büttgen. Die S 8 verbindet Büttgen mit Mönchengladbach (westwärts) und in Gegenrichtung mit Neuss-Düsseldorf-Ruhrgebiet. Vermutlich halten die Züge hier nur sehr kurz; die Zeit, sein Fahrrad ordentlich am Zaun anzuschließen, nimmt sich anscheinend kaum jemand.

Eine postmoderne Trutzburg in der Ortsmitte: die Sparkasse. Der Bau geht links noch ein ganzes Stück um die Ecke, für eine Ortschaft dieser Größe scheint mir die Niederlassung des öffentlich-rechtlichen Finanzinstituts ein paar Nummern zu groß, vielleicht arbeitet hier ja eine Regionaldirektion oder ein Rechenzentrum.

Die katholische Pfarrkirche Sankt Adelgundis hatte leider geschlossen. Der kniende Herr in Bronze stellt den aus Büttgen stammenden Reitergeneral Jan von Werth dar, der im Dreißigjährigen Krieg auf kaiserlich-katholischer Seite kämpfte.

Zum Dank verewigte man ihn im Stadtwappen. Das schwarze Kreuz, das auch das Wappen vom Rhein-Kreis Neuss ziert, verweist auf die einstige kurkölnische Herrschaft über dieses Gebiet.

Hier die Gastro-Meile mit Eiscafé. Aus Verzweiflung über das spärliche Ausgeh-Angebot stellt sich ein sittlich desorientiert wirkender Jugendlicher auf die Straße, um sich überfahren zu lassen. Andere Kicks hat das hiesige Freizeitangebot kaum zu bieten.

Hier noch ein Detail vom Brunnen auf dem Rathausplatz:

Von der südlichen Ortsumgehung aus immer im Blick: Die Skihalle in Neuss. Im Moment eher zu meiden aufgrund von Oktoberfest-Betrieb. Feuchtfröhliche Betriebsfeiern dort sind auch eher die Pest, wie man so hört. Aber als Austragungsort für Kindergeburtstage ist diese Einrichtung sehr zu empfehlen.

Brauns Mühle hatten wir hier in der Dunkelkammer auch schon mal, aber immer wieder gern gesehen. Die Zeit für Kaffee und Kuchen habe ich mir heute allerdings nicht genommen.

Unablässig am Dampfmachen sind die Wolkenfabriken beim Braunkohle-Tagebau. Das linke Kraftwerk ist erst seit ein paar Monaten in Betrieb und soll wunder weiß wie effizient sein im Vergleich zu den Kohlendioxid-Schleudern älterer Bauart. Über mein zwiespältiges Verhältnis zur Braunkohle-Verstromung habe ich mich an anderer Stelle schon mehrfach ausgelassen.

Auf dem letzten Bild sind wir bereits auf Neusser Gebiet und blicken auf den von Napoleon als Mammutprojekt konzipierten Nordkanal, der unter Umgehung der Niederlande die Rheinschiffahrt mit Antwerpen verbinden sollte. Als sich die politische Großwetterlage änderte, wurden die Arbeiten von jetzt auf nachher eingestellt. Schiffbar war nur das erste Stück zwischen Neuss und Neersen, ansonsten erinnert ein über 100 Kilometer langer Themen-Radweg zwischen Neuss und NL-Neederwert an Napoleons Großvorhaben. Mal sehen, vielleicht schaffe ich es ja mal, diese Fietsallee Nordkanal in voller Länge abzustrampeln. Aber für heute soll es damit mal gut sein.

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Dankschön
Da wenn das alles so klappt wie geplant (aber wann tut es das mal?) ein Umzug in die Großregion ansteht:
Die gegend ist für mich leider absolut unerforschtes Terrain... bin mir nicht mal sicher, ob da nicht "here dwelleth dragons" stehen sollte...

PS: es heisst Karotte. Mohrrübe ist out, ebenso wie der Mohrenkopf. Da ich aber keinen kenne, bei dem das Wort Mohr (oder Maure) zum Wortschatz gehört, außer es geht um Schokoküsse, Wurzelgemüse oder den Löwenhof in Grenada, ist es meiner Ansicht nach nicht das allerschlimmste, wenn man nach Mohrrüben fragt.

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Die Großregion
hat ja viele Gesichter, das kann im Bergischen sehr mittelgebirgig-lauschig sein oder im Ruhrgebiet mehr großindustriell geprägt und am linken Niederrhein zum Teil recht ländlich, es kommt da wirklich sehr drauf an, wo genau es einen hinverschlägt. Überdies denke ich mal, der größere Kulturschock für Norddeutsche am Niederrhein könnte im Zwischenmenschlichen liegen und weniger im landschaftlichen und architektonischen. Anders als meine Heimat am Oberrhein gehört die Gegend hier schon ganz klar ins Großreich des Backsteins. ;-)

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Ob ich mit Rheinländisch glücklich würde, ist eine dieser Fragen...

Göttingen ist nicht Norddeutschland. Oder Bremen ist anders. Weiß nicht.

Konkret soll es Köln sein, aber da Köln ein Einzugsgebiet zu ahben scheint, hinter dem sich bremen verstecken kann, ist da relativ viel drin.

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Für die waschechten Düsseldorfer hier
ist K*ln ja die verbotene Stadt. Warum auch immer. Das Einzugsgebiet ist in der Tat sehr groß, was es sehr schwer macht, pauschale Aussagen zu treffen.

Das mit dem Glücklichwerden, tja, wieviel Eigenleistung ist da im Spiel und wieviel macht die Umgebung aus? Hätte meine Frau in Köln einen Job angenommen, wäre ich deswegen wohl auch nicht in Depression verfallen. D-dorf fiel mir aber geringfügig leichter, weil ich hier schon mal Mitte der 90er paar Wochen Urlaubsvertretung in einer Redaktion gemacht hatte und die Stadt halt schon ein bisschen kannte.

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@cassandra
in meinem Elternhaus heißen die gelben Wurzeln immer noch Möhren.
Und was den Mohrenkopf betrifft, ist dieser immer noch üblich.
Auf demO-fest betreibt ein hiesiger Kaffeeröster sogar ein Cafè:
http://imageshack.us/a/img5/4752/img0395rc.jpg

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politisch korrekt und diskriminiationsfrei-Sprech
Wir sagen auch immer noch Mohrenkopf, aber nur wenn keienr dabei ist, ohne Zeugen sozusagen :-)

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Köln&Glück
Glück hängt noch von mehr ab als vom Wohnort und letztendlich ist man selbst immer zuständig.

Stimmt. Aber trotzdem graust es mir Köln&Karneval.

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@K***
Nur nicht den Mut verlieren. So schlimm, wie man immer hört, soll es da gar nicht sein.

Ansonsten: schöne Bilderstrecke!

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Das ist in der Tat eine, äh, Herausforderung. Vielleicht erscheint mir das Gras auf der anderen Seite des Zauns grüner, aber Kölner Kneipenkarneval kann man glaube ich noch eher überleben als die Düsseldorfer Umtriebe. Das geschickteste ist, mit dem Nachwuchs auf einen überschaubaren Vorortzug zu gehen und die Mega-Zusamenrottungen weiträumig zu meiden.

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ich habe das Gerücht gehört, daß man in Köln und "umzu" Rosenmontag frei haben soll, man kann also fliehen. Stimmt das?

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Das hängt wohl
vom Arbeitgeber ab. Eine Bestimmung, auf die man sich berufen könnte, ist das meines Wissens nicht.

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Also
in Büttgen wollt ich nicht begraben sein!
Zumal ich das einzige Highlight dieses Fleckens dann eh nicht mehr nutzen kann.

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Also im Hinblick
auf meine letzte Ruhestätte bin ich eigentlich völlig ergebnisoffen, um nicht zu sagen gleichgültig.

Für die Bilderstrecke habe ich auch nicht gerade die vorteilhaftesten Ausschnitte gewählt. Büttgen ist eine für die Gegend einigermaßen typische Ortschaft, die ihre schönen und weniger schönen Seiten hat. Wenn Du Stadtmensch bist, ist wahrscheinlich schon der Mangel an Urbanität ein normes Manko, die Überschaubarkeit der Verhältnisse innerhalb der Umgehungsstraße, jenseits derer fast rundrum Äcker sind. Wäre jetzt auch nicht so meins, aber von den Kollegen bei meiner Frau im Büro haben sich einige da draußen (z.T. auch in Ortsteilen von Korschenbroich oder winzigen Stadtteilen im Neusser Süden) angesiedelt und finden es ganz toll.

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Eigentlich bin ich ja auch ein Landei,
aber die Möglichkeit bei Bedarf doch mal schnell mittendrin zu sein, möchte ich nicht missen. Das ist etwas was Freiburg und Umgebung so besonders macht.
Bezüglich der letzten Ruhestätte habe ich mir schon Gedanken gemacht. Erspart den Nachkommen Arbeit und Geld. Wenn die mich besuchen wollen, müssen sie sich bewegen. Und wenn sie zu faul sind, ist es grad egal.
Aber was für ein Thema? Wollen wir lieber heiter bleiben, ein 52er lege ich mit ins Päckchen.

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letzte Ruhestätte
Ich wollte mich ja eigentlich selbt der Uni vermachen, so daß gar keine Kosten auflaufen und ein paar Studenten noch was lernen können.
Allerdings muß ich dazu noch ein paar Kilo abnehmen, denn adipöse Leichen werden dort nicht angenommen!
Eine andere Möglichkeit, die mir gefiele, wäre die Lösung a la Gregor von Rezzori .

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@don ferrando:
Das anatomische Institut war auch immer mein Plan. Da ist für alles gesorgt, mit etwas Glück singt der Studentenchor bei der Begräbnisfeier. Mit dem derzeitigen BMI von 25,8 könnte es aber auch für meine Wenigkeit eng werden.

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Hach, vielen herzlichen Dank!
Es ist tatsächlich ganz erstaunlich, wie - äh - emotional einen Bilder aus der Heimat machen können, auch wenn man selbst dort nicht begraben sein will und glücklich im Exil weilt...
Als Kind dort aufzuwachsen, hatte schon seine Vorteile. Nicht nur wegen der radlerischen Möglichkeiten. Auf Facebook gibt es ja seit einer Weile diese Gruppen "Du bist [Büttger] wenn,...",, und so furchtbar die Posts dort teilweise sind, so überraschend sind auch die Details, deren persönlicher Bedeutung man sich gar nicht bewusst ist, bis sie jemand anderes erwähnt. Die verlorenen Schlüpfer unter den Tribünen der Radsporthalle oder der verrückte Friedhofswärter mit seinem gelben Auto. Wahrscheinlich ist eine gewissene Meta-Ebene an jedem Ort der Welt einfach besonders.

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@novesia:
Bei den mks-Fotos aus Mannheim gehts mir ja genauso. Ich habe sogar Grund zur Annahme, dass mein älterer Bruder den Herrn gehweg kennt, der immer so schöne Bilder aus der Quadratestadt postet.

Das mit den verlorenen Schlüpfern in der Radsporthalle gibt meiner Phantasie jetzt allerdings eine harte Nuss zu knacken, muss ich gestehen. Aber wie auch immer, ich habe nochmal in der Kiste gekramt und noch paar Bilder für Sie rausgesucht:













P.S. Dass es dort eine Novesiastraße gibt, habe ich erst zuhause auf google maps gesehen... ;-(

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Stadtplanerisch gesehen hieß es da wohl: Hier wächst zusammen, was nicht zusammen gehört... ;-)

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Ja,
kann man wohl sagen. Diese "neue Mitte" habe ich nicht so recht zusammengekriegt mit der Info, dass Büttgen (anders als etwa Kaarst und Holzbüttgen) im Krieg kaum Zerstörungen erlitten habe. Aber der Anteil an Bausünden aus den Nachkriegsjahrzehnten sowie der 70er, 80er und 90er schien mir auch nicht kleiner. Dann schneidet noch die S-Bahnlinie den Ort mittendurch. Und ich habe mich dort, wenn ich meinte, mir die Umgehungsstraße ersparen zu müssen, schon schwer verfranzt...

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Kleine Frage
an die Germanisten oder Ethymologen:
Heißt es nicht verfranst von Fransen / ausfransen?

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Gerade Sie als ehemaligen Luftwaffen-Angehörigen wird es interessieren, dass "Franz" im ersten Weltkrieg als Spitzname für den Beobachter/Navigator in Flugzeugen aufkam. Wenn der die Orientierung verlor, hieß es, er habe sich "verfranzt".

Wusste ich, obschon einst ebenfalls in dieser Truppengattung wehrdienstleistend, bis vor wenigen Minuten aber auch nicht.

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Oh, vielen Dank.
Da muß ich doch mal meinen Vater fragen, ob er das weiß.

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