Dienstag, 13. September 2016
Vier Kurbeln für ein Halleluja


Zum ausführlichen Tourbericht bitte hier entlang. Und für allzu Eilige zum zweiten Teil.

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Da standen wir nun Samstag morgens um 10 startbereit vor der Doppelgarage von luke793, und ich konnte die Gedanken der anderen drei lesen: "Oh Gott, worauf haben wir uns da nur eingelassen?". Und als wir dann die Auffahrt hinunterrollten, war klar: Jetzt gibt es kein zurück mehr. Nach kurzem Einrollen ging es gleich auf einen Waldweg und ziemlich steil nach oben, um nicht auf der Raserstrecke B 426 in den Odenwald zu schleichen, wo Autos und Laster mit wenig Abstand überholen. Luke793, der die Wege dort gut kennt, pflügte auf seinem Crosser voran, wir anderen hinterher. Sobald wir aber bei Nieder-Ramstadt aus dem Gröbsten raus waren und auf asphaltierten Radweg oder die Straße wechselten, ging ich nach vorne in den Wind, um die Kollegen mal ordentlich mürbe zu machen warmzufahren.



Die Sonne stand noch nicht im Zenit, die Temperatur war noch angenehm, die Landschaft rund um Dieburg flach und unspektakulkär, also war Kilometer machen die Devise. Und abgesehen von ein, zwei Stopps zur Orientierung waren wir richtig flott unterwegs. Als es dann in die letzten Odenwald-Ausläufer vor dem Main ging, zog sich das Feld auseinander, damit jeder in seinem eigenen Rhythmus und Tempo in die Anstiege und Abfahrten gehen kann. Interessant zu vergleichen, wie jeder doch so seinen eigenen Stil fährt:



matthew793, der älteste von uns (unterwegs auf einem Peugeot Prologue aus den späten 90ern) tritt den kraftvoll-konstanten, geradezu stoischen Stil, wie ihn beispielsweise auch Herr Cut fährt. Hatte erst vor drei Wochen mit dem Training begonnen, aber seine Frau hatte mich schon vorgewarnt: Der ist heiß und will bestimmt nicht die ganze Zeit an den Hinterrädern lutschen.



luke793 ist eigentlich mehr auf dem Mountainbike zuhause, entsprechend fährt er auch auf dem Stevens-Crosser einen sehr körperbetonten Stil. Über irgendwelche Querrillen und andere Unregelmäßigkeiten im Terrain, die uns Rennradfahrer zum Bremsen oder zu Bunnyhops veranlassen, bügelt er einfach drüber, Sternzeichen Stier halt.



john793 war der erste von uns, der nach der 10-Gang-Halbrenner-Ära ein richtiges Rennrad anschaffte. Das Peugeot Aspin 14 ist aber mit gradem Lenker und Anhängerkupplung für einen Kinderanhänger nicht mehr so recht konkurrenzfähig, deswegen wurde kurzfristig ein Cannondale Synapse angeschafft, einer diesen neuen leichten Carbonhobel, wo man kaum noch reintreten und praktisch nur noch bremsen muss.



Ich für mein Teil hatte wie erwartet einen gewissen Trainingsvorsprung, aber dass ich die Tour quasi auf der linken Backe hätte absitzen können, war auch nicht der Fall. Und so war ich froh, dass ich Monsieur Mercier noch mit einer Kompaktkurbel umgerüstet hatte. Im Prinzip wäre ich die Anstiege auch mit 39 statt 33 Zähnen vorne hochgekommen, aber zu einem deutlich höheren Preis an körperlichen Reserven.

Das Maintal empfing uns dann erst mal unspektakulär. Parallel zur Bundesstraße macht der Radweg eine endlos scheinende lange Gerade durch topfebene Felder, und der konstante heiße Gegenwind sorgte für erste Ermüdungserscheinungen. In Obernburg dann Suche nach einer Einkehr im alten Ortskern, man empfahl uns den Biergarten vom Römerhof, und ich kann die Empfehlung an dieser Stelle gerne weitergeben. Wir waren so begeistert, dass ich dem Lauf der Geschichte hier vorgreife und verrate, dass wir auf dem Rückweg tags drauf dort nochmal Mittagspause machten.

Nach einigen Kiometern Radweg an einer Bahnlinie entlang und am brisant riechenden Standort von Akzo Nobel vorbei kam dann das schönste Stück der Strecke: Der Radweg direkt am Main entlang, unter Pappeln an Campingplätzen und Biergärten vorbei, durch Ortschaften mit viel Fachwerk, Buntsandstein, Butzenscheibenromantik und Bocksbeutel-Folklore, rechts der Fluss und links die rebenvollen Hänge des Spessart. Allerdings hatte die Beschilderung bei Großheubach kurz vor Miltenberg Lücken, und und so gurkten wir bei mittlerweile sengender Hitze ein wenig in die Irre, eine Sandpiste von vielleicht 200 Metern brachte uns ganz schön zum Japsen...



...und dabei hatten wir das schwerste Stück der Strecke noch vor uns: die rund 20 Kilometer von Miltenberg nach Hardheim, permanent leicht bergauf, vergleichbar der flacheren Seite vom Achenpass. Den hatte ich dieses Jahr ja schon bezwungen, und das war mein psychologischer Vorteil, ich konnte mir sagen, wenn Du den Achenpass geschafft hast in weitaus dünnerer Luft da oben, dann machst Du doch hier unten jetzt nicht schlapp.

In Eichenbühl röhrten infernalisch laute Rennautos durch den Wald - Bergrennen am Umpfenbacher Berg. Den Eingang zur Veranstaltung flankierten zwei fünf Meter hohen Werbebierflaschen, aber ein Getränkestand war bei dem ganzen geschäftigen Treiben im Ort nicht zu sehen, und so kurbelten wir weiter stetig bergan. Manchmal spendeten hohe Fichten gnädigerweise etwas Schatten, aber wo die Sonne draufknallte, flirrte der Asphalt bei über 30 Grad Hitze. Mein Limonaden-Mineralwasser-Gemisch in der Trinkflasche hatte die Temperatur von körperwarmem Pipi und gefühlt einen ähnlich dürftigen Erfrischungsfaktor, und ich war nicht der einzige, der sich dachte, boah, was zum neunmal geschwänzten Teufel machen wir hier eigentlich? matthew793 pedalierte stoisch vor sich hin, dicht gefolgt von john793, luke793 hatte ein Stechen im Knie und fiel mehrfach zurück, so dass ich ihn dann an die anderen beiden wieder heranfahren musste. Aber irgendwann hatte das Leiden ein Ende, und die allerletzte Etappe von Hardheim in den Ortsteil mit der Burgruine lief ohne besondere Vorkommnisse oder Schwierigkeiten.



Bei der Pension, wo wir Zimmer reserviert hatten, sagten die anderen drei dann unisono, sie würden heute keinen Meter mehr fahren, nicht für Geld und gute Worte, und so nahm ich es auf mich, zum Schluss den schwersten Anstieg der ganzen Tour in Angriff zu nehmen, um meinem Cousin, der uns auf seinem Hof außerhalb (und etwa auf Höhe des Burgbergs im Bild) erwartete, Bescheid zu geben, dass wir da sind. Wenn ich seine Festnetz- oder Handy-Nummer in den Kontakten gespeichert hätte, wäre ich womöglich umgekehrt, als ich sah, wie steil es nach der Abzweigung von der Hauptstraße weiterging. Aber es half nichts, da musste ich jetzt durch und die Familienehre retten, aber die Freude von meinem Cousin bei meiner Ankunft dort oben entschädigte für die zusätzliche Mühe. Wir besprachen das Abendprogramm, und dann rollte ich gemächlich hinunter ins Dorf in die Pension, wo die anderen längt eingecheckt hatten und genehmigte mir eine sehr, sehr lange Dusche.



Weiter mit Teil 2.

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Teil 2


Über den Abend mit unserem Cousin, einem weitläufigeren Verwandten und dessen Frau könnte ich einen eigenen Beitrag schreiben, aber das wäre mehr etwas für die Familienchronik als für die Dunkelkammer. Meine Mutter fand es ja immer schade, dass wir nicht ihren starken Familiensinn geerbt hatten, aber ich bin sicher, sie wird unsere Tour und die lustige Runde in der "Linde" zu Pülfringen von da oben im Himmel mit großem Wohlgefallen gesehen haben.



Vor der Rückfahrt schauten wir am Sonntag morgen noch bei A. vorbei, der in der Scheuer seiner verstorbenen Eltern nicht nur eine enorme Sammlung von alten Treckern und Landmaschinen bunkert, sondern auch so manches Garagengold, das man dort nicht unbedingt erwartet hätte:



Von der Freundin des Cousins noch mit Notrationen an Getränken und Mineralpulvern versorgt sattelten wir die Hühner für den Ritt nach Westen. Und wie auf dem Hinweg auch war "Strecke machen" erst mal die Devise, was dank des stetigen Gefälles zwischen Hardheim und Miltenberg auch keine große Mühe machte. Der leicht kühle Gegenwind bremste nicht wirklich, und ruckzuck waren wir in Miltenberg.



Dort klinkte sich john793 allerdings aus, um die restliche Rückfahrt mit dem Regionalzug anzutretren. Sein Infekt war doch noch nicht so ganz auskuriert, und nachdem das Vortagesprogramm für ihn schon ans Limit gegangen war, wäre es grob leichtsinnig gewesen, sich nur zur Gesichtswahrung weiter zu schinden.



Wir aber kurbelten halbwegs wohlgemut weiter durch die Region, die ihre Tourismuswerbung unter dem Claim gebündelt hat Churfranken - wo der Main am schönsten ist. Das scheint nicht übertrieben, und bei der Mittagsrast im Römerhof war ich komplett im Einklang mit der Welt, goß literweise Johannisbeerschorle in mich hinein und sinnierte darüber nach, dass ich hier unbedingt auch mal mit der marquise793 rumradeln müsste.

Nach der Pause hatte ich allerdings Mühe, wieder richtig in die Gänge zu kommen. Der Hintern schmerzte etwas, die Beine waren schwer, und die Träger vom Rucksack kniffen und scheuerten in der Schulterpartie. Auf der langen Geraden parallel zur Bundesstraße zwischen Großwallstadt und der Abzweigung nach Großostheim schien der heiße Gegenwind direkt aus der Mojave-Wüste zu kommen, und erst in den Odenwald-Ausläufern hatte ich mich wieder einigermaßen eingegroovt.



Aber immer wieder passierte es, dass die Beschilderung nicht dem übereinstimmte, was die Streckenplanung im Vorfeld vorgegeben hatte. Den Überblick einer Karte kann ein Smartphone-Display halt doch nicht so recht ersetzen, und die Radwegführung vor Ort war teils idiotisch, teils gemeingefährlich, so endete einmal der Radweg nach einem starken Gefälle ohne große Vorwanung mehr oder weniger am Gegenverkehr einer viel befahrenen Kreisstraße, wenn ich nicht aufgrund einer Ahnung schon vorsorglich gebremst und die anderen hinter mir per Zuruf gewarnt hätte, hätte das übel ausgehen können. Wenige Kilometer weiter ging dann der schön asphaltierte Radweg mitten in der Pampa in eine grobkörnige Schotterstrecke über, und das ständige Anhalten und nach dem Weg gucken brachte uns immer wieder aus dem Rhythmus.

Aber matthew793 bolzte weiterhin ganz schön kraftvoll in die Anstiege hinein, so dass ich irgendwann rief, es gebe keine Bergwertungspunkte zu gewinnen. Vielleicht hätte ich das wesentlich früher sagen sollen, denn kurz darauf waren seine Akkus alle, so dass es nicht mal mehr auf dem ganz kleinen Kettenblatt seiner Dreifachkurbel ging. Nach einer Schiebestrecke auf die Anhöhe und einer kleinen Pause lief es wieder, aber zu Schlappheit und Hitze kam immer wieder der Frust über unklare Wege. Ich war körperlich nicht am Limit, aber der Ärger darüber, dass es nicht am Stück flutschte und dass die blöde Beschilderung uns zu manchem unnötigen Umweg lenkte, nagte nicht zu knapp an meinem Gemüt.

Aber irgendwie fuhren wir das Ding dann nach dem letzten Boxenstop in Ober-Ramstadt doch nach Hause, auf dem Gefälle der B 426 hinunter nach DA-Eberstadt gab ich nochmal richtig Gas, bis mich eine rote Ampel den ganzen Vorsprung kostete. Aber das letzte Stück durch den Wald hätte ich allein eh nicht gefunden, und bewusst mitgekriegt habe ich diesen letzen Abschnitt gar nicht mehr, da war ich in Gedanken schon unter der Dusche.

Und was soll ich sagen, nach der längsten kalten Dusche meines Lebens sah die Welt gleich wieder anders aus. Und es ist natürlich klar, dass das im kommenden Jahr nach einer Wiederholung ruft. Auch wenn dann womöglich ich derjenige sein werde, der den Allerwertesten abgefahren bekommt.

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Was für ein schöner Ausritt mit Ihren Brüdern. Unbedingt wieder machen.

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Ja, der Tenor war, ach, das hätten wir schon viel früher mal machen müssen. Und wir sind so verblieben, dass wir künftig mindestens einmal im Jahr zusammen auf Tour gehen wollen. Schön wäre, wenn sich dann auch unsere Frauen auf ein gemeinsames Damenprogramm verständigen könnten, das hat diesmal leider nicht hingehauen.

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An Familiensinn scheints bei Ihnen ja nun wirklich nicht zu fehlen - da kann man richtig neidisch werden! Glückwunsch zur gelungenen Tour!

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Gemeint hatte meine Mutter damit eher Verwandtschaftssinn (gibt's das Wort überhaupt?). Sie hatte immer die Drähte in ihr Heimatdorf und auch mit den anderswo Versprengten am Glühen gehalten. Dieses Interesse war mir streckenweise zimlich abhanden gekommen. Nicht dass ich gegen die Verwandtschaft vom Dorf was gehabt hätte, es war einfach nur das Gefühl, die leben auf ihrem Planeten, ich auf meinem, und so viele Berührungspunkte gibt es da nicht mehr.

Irgendwie hat uns diese Tour den gemeinsamen Wurzeln wieder etwas näher gebracht, und das kam zu der sportlichen Seite gewissermaßen noch on top.

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Erstens: Kompliment für einen tollen Tourbericht, ich frage mich, wie machen Sie das mit den Fotos on tour? Ich habe ja schon bei meinen unambitionierten Kurzstrecken Bedenken, das Telefon auch nur aus der Tasche zu holen (um nach der Uhrzeit zu sehen).

Dann: Schön, dass Ihr angeschlagener Bruder trotzdem den größeren Teil mitfahren konnte. Hat das Daumenhalten also auch etwas geholfen.

Und: Warum verstecken Sie diesen tollen Bericht in den Kommentaren? Ist das so ein blogger.de Feature? Ich meine mich zu erinnern, dass sowohl Frau Novemberregen als auch Frau Herzbruch ausführlichere Bilderstorys in die Kommentare verlegten.

Zuletzt: Glückwunsch, dass Sie nach einem Jahr immerhin Ihre Brüder an die Wand fahren!

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Ein Feature
ist das nicht, eher eine Angewohnheit von früher®, als das ganze noch etwas wackliger lief und Bandbreite nicht ad libitum zur Verfügung stand: Es verkürzte die Ladezeit der Seite ganz erheblich, wenn man bilderlastige Beiträge in den Kommentar versteckte.

Mit dem Smartphone hantiere ich auf dem Sattel auch nicht gerne, da benutze ich eine kompakte Knipse, die gut in der Hand liegt. Und weil das Wischbrettchen meistens in der Trikottasche blieb und nur zum Navigieren ab und zu mal rausgeholt wirde, fand die Tour auch nicht auf Instagram statt, sondern nur hier.

UJnd ja, es hat schon was, dass die verf*ckte Krankheit meine in den letzten Jahren aufgebaute aufgebaute Fitness nicht komplett genullt hat, wie ich voriges Jahr nach der Chemo befürchtet hatte. Als ich im Winter den Vorschlag zu dieser Tour gemacht habe, war ich auch nicht 100%ig sicher, ob ich mich dem gewachsen fühlen würde, wenn's soweit ist.

Ich mache mir aber keine Illusionen darüber, dass ich mit den derzeitigen körperlichen Voraussetzungen nicht mehr viel zulegen kann, während die anderen drei ihr Potenzial hauptsächlich aus Zeitgründen nicht ausschöpfen. Sobald die da etwas mehr Regelmäßigkeit reinbringen, bin ich derjenige, der die rote Laterne trägt. Aber das ist dann auch okay und kein Grund, mich zu grämen.

P.S. Danke auch fürs Daumendrücken!

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