Dienstag, 19. Mai 2015
Gastbeitrag: Io strade bianche corro in libertà
Vorbemerkung: Wie angekündigt hat jetzt auch Radsportnovize Don Ferrando seine Erlebnisse bei der Frühjahrs-Eroica in Worte gefasst und die dazugehörigen Bilder in die Dunkelkammer hochgeladen. Viel Spaß beim Lesen und Betrachten wünscht Ihnen der Betreiber dieser Off-Broadway-Blogpräsenz mark793.

Lo strazio e 'l grande scempio
che fece l'Arbia colorata in rosso,

(Inferno X, 85)
Weiter geht es in den Kommentaren.

... comment

 
Da saß ich nun früh morgens um fünf hinter dem Steuer und fuhr Richtung Buonconvento im Tal der Arbia. Was mache ich da nur, waren meine Gedanken. Sollte Dante mit seinem Vers eine Vorahnung gehabt haben, was die Eroica Primavera heute bringen würde?
Das große Morden ist’s, das Blut,
Das rothgefärbt der Arbia klare Wogen,
Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud.
Was mache ich da nur! Wie ist es soweit gekommen? Schuld an der ganzen wahnsinnigen Idee war ja wieder eine Frau, vermutlich sogar die heilige Katharina von Siena.

Dieses Gemälde aus dem Besitz meiner Vorfahren wollte ich einem Kunsthistoriker vorführen. Und wie es der Zufall wollte, ist der Herr nicht nur Kunsthistoriker sondern auch Radfahrer und Chronist so mancher Eroica. Und so kamen wir über Katharina von Siena schnell zur Eroica rund um Siena. Meine entscheidender Fehler war nun der unbedacht gesprochene Satz “Ich würd‘ ja gerne mal mitfahren, allein mir fehlt das Rad“. Sofort kam das freundliche Angebot des Kunsthistorikers, mir aus seinem Fundus ein regelkonformes Gefährt zur Verfügung zu stellen. Und wenige Wochen später konnte ich schon einen Renner in Empfang nehmen.

Das rothgefärbte Blut der Arbia kam mir wieder in den Sinn, als ich Buonconvento erreichte. Der Kunsthistoriker, der nun Teamkapitän war, war schon vor Stunden zusammen mit seinem Wasserträger zur großen Runde mit fast 2000 Höhenmetern auf über 100 km Streckenlänge gestartet.

Ich als völlig untrainierte couchpotato hatte mir die „passegiata“ genannte 27km-Runde vorgenommen. Die Anmeldung hatte der Teamkapitän bereits erledigt, so dass ich gleich meine Startnummer und die Gadgets in Empfang nehmen konnte. Es ging alles gewohnt italienisch unkompliziert zu. Im Startraum sammelten sich schon die Leidensgenossen Kameraden und pünktlich setzte sich der Tross in Bewegung.



Gleich ging es hinaus aus den mittelalterlichen Gemäuern von Buonconvento. Fröhliche, ausgelassene Stimmung beim buntgemischten Peleton. Ja, so macht radeln in der Gruppe Freude. Eine kühle Morgenbrise, der surrende Freilauf des Lutz und eine ruhige Landstraße im Arbia Tal. Dante und seine düsteren Verse waren schnell vergessen.

Doch schon nach wenigen Kilometern bogen wir alle rechts ab und es ging gleich auf Schotter bergan. Ich war schon warmgefahren und nahm die erste Steigung noch auf dem großen Kettenblatt. Das soll die gefürchtete Eroica sein? Es ist wohl doch nur die passegiata, also der Spaziergang für „Reingeschmeckte“ wie mich.

Plötzlich aber machte es um mich herum piff-paff-puff! Die ersten Reifenpannen schon nach 5 Kilometern. Oh je, hoffentlich passiert mir das nicht. Denn obwohl der Teamkapitän zwei Ersatzschläuche unter den Ledersattel gepackt hatte, war meine Lust gering, am Straßenrand Reparaturarbeiten durchzuführen.

Aber lange konnte ich nicht darüber nachdenken, baute sich doch vor mir gleich die nächste Steigung auf. Immer größere Ritzel schaltete ich, auf das kleine Kettenblatt mit nur 30 Zähnen warf ich die Kette, aber es half alles nichts. Kraft und Luft reichten nicht. Absteigen war das Gebot. Das schöne bei der Eroica ist, daß kaum Wettbewerbscharakter herrscht und so kamen anfeuernde Rufe “Forza, vaiii“ von den im Schneckentempo vorbeikurbelnden Radsportkameraden. Und natürlich war ich nicht der einzige Fußgänger an der Steigung.

Einige Meter zu Fuß und ein kräftiger Schluck aus der borraccia gaben den Atem zurück und ich konnte wieder aufsteigen. Das Feld hatte sich inzwischen weit auseinandergezogen, und es fanden sich einzelne Gruppen zusammen, die ungefähr die gleiche Geschwindigkeit fuhren oder schoben. So ging es bergauf und bergab in herrlicher Landschaft an einem traumhaften Tag und nach jeder überlebten Mörder Abfahrt kletterten wir den nächsten Hang hinauf. Ab und zu hörte man das bekannte piff-paff-puff und rief dem Armen ein „Serve aiuto?“ zu. Kann ich helfen? Aber meist war schon ein Kamerad zur Stelle mit Werkzeug und Material.

Langsam schwanden mir aber die Kräfte. Das Frühstück bestehend auf einer Apfeltasche und einem Cappuccino war wohl doch nicht ausreichend für die Anstrengung der Kletterei - und auch die Tee-Wasser-Birnensaftmischung in der Trinkflasche brachte nicht mehr so recht Energie. Wie gut, daß just in diesem Augenblick der inneren Zweifel des Hungerastes die Verpflegungsstation in Sicht kam. Und was für eine Verpflegung. Peccorino, Crostata, Nüsse, Bananen, Äpfel, Prosciutto und Salamibrote. Tee, Wasser, Saft und natürlich Rotwein, denn wir waren ja bei Montalcino.





Eine kleine Inspektion des bis dahin bewährten Rades ließ mich schaudern. Am Vorderrad zeigte sich eine dicke Wulst, wo sich der Reifen aus dem Felgenbett gelöst hatte.



Ich kam mir vor, wie der Reiter über den Bodensee. Jederzeit hätte das einen Reifenplatzer zur Folge haben können. Also schnell das Rad ausgebaut, Luft rausgelassen und alles wieder ins rechte Lot gebracht. Der Servizio tecnico hat dann mit dem richtigen Luftdruck aufgepumpt und so konnte die Fahrt unbeschwert und bestens gestärkt weiter gehen.



Schon einige Kilometer vor der Verpflegungsstation war ich im Team mit einem älteren Recken des Radsports zusammen gefahren. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg des letzten Drittels. Beinahe wäre ich dann in meinem Übermut an der Abzweigung noch auf die längere Strecke gewechselt, aber die hebe ich mir nach genügend Training für das nächste Jahr auf.

Nach noch einigen nicht zu unterschätzenden Anstiegen ging es dann in rasantem Tempo im Arbia-Tal zurück nach Buonconvento, wo am Ende einer mittelalterlichen Gasse der Zieleinlauf lag.
Im Schlußspurt mußte ich mich dann meinem 77 jährigen Mitfahrer auf seinem 60 Jahre alten Bianchi geschlagen geben.



Nachdem ich frisch geduscht war und die vom Veranstalter perfekt organisierte After Race Brotzeit zu mir genommen hatte, konnte ich noch ausgiebig den Teilemarkt besuchen und im Ziel den anderen ankommenden Radlern applaudieren.



Spät am Nachmittag kamen dann auch der Teamkapitän und der Wasserträger nach Ihrer großen Runde wohlbehalten ins Ziel.



Und so war es für das ganze Blogsport Team ein großer Erfolg.


Epilog:

Zwei Tage später sitze ich im Gartenstuhl und genieße den Ausblick über die Hügel bis ans Meer. Der Wasserträger ist längst wieder am Rhein. Der Kapitän, der ja auch Kunsthistoriker ist, arbeitet bereits, nachdem er sich noch selbst mit einer Trouvaille belohnt hatte.



Ich denke an die Eroica, den Staub, die Steigungen und das wunderschöne Gefühl nach dem Zieleinlauf, an die Kameraden unterwegs und an unser Team. Anstrengend war es, schön war es! Ich möchte auf alle Fälle wieder teilnehmen. Vielleicht schon im Herbst! Forza Ragazzi!

... link  

 
DF, Sie machen große Lust, das auch zu probieren.

... link  


... comment
 
Well done, Don F. Ausweislich des Fotos hast du doch schon mehrere Gramm abgenommen. Wo willst du denn noch hin, mein Guter? :-)

... link  


... comment
 
Ein packender Bericht, welcher der Dunkelkammer wirklich würdig ist. Ich habe nur ein klitzekleines Problem damit, meine Rolle im Team als "Wasserträger" deklariert zu sehen. In Anbetracht dessen, dass wir so ein bisschen die Konstellation Hinault-LeMond in der 85er-Tour de France hatten, fände ich den Begriff "Edelhelfer" (siehe hier) passender. Ich hätte als der Kapitän schwächelte auch selber auf Sieg fahren können, aber ich habe die Teamorder eingehalten.

... link  

 
Vielen Dank
den Kommentatoren und vor allem Herrn mark793, der meinen Beitrag hier veröffentlicht.
Als Wasserträger allerdings hat er sich mir gegenüber nach der Zielankunft selbst bezeichnet. Insoweit also ein Zitat.

Auch ich habe etwas anzumerken und zwar zur Einleitung des Hausherrn:
Radsportnovize stimmt nicht ganz, denn
schon in Leipzig 2013 nahm ich an einer Radsportveranstaltung erfolgreich teil, die sogar über eine längere Distanz führte.

... link  

 
Als Wasserträger allerdings hat er sich mir gegenüber nach der Zielankunft selbst bezeichnet.

Es bestätigt sich mal wieder, dass (Selbst-)Ironie nicht immer verstanden wird. ;-)

Ich bin auch weit davon entfernt, jener Veranstaltung in der Ex-DDR ihren spochtlichen Charakter abzusprechen, aber in den einschlägigen Radsport-Kalendern war der Termin meines Wissens nicht aufgeführt, es gab auch weder Startnummern noch Stempelkarten, ich zweifle überdies daran, dass die Chose bei den Behörden angemeldet war, insofern neige ich dazu, das mehr so als private Unterhaltungsrundfahrt mit sportlichem Charakter zu verbuchen.

... link  

 
Bei Wasserträger denke ich an diese berühmte Szene des Radsports; und da sind die Rollen ähnlich wie bei unseren Helden :-)

... link  


... comment
 
Ich gratuliere ganz herzlich!
Und vielen Dank für den Bericht!
Ich fand ihre Radsportleistung in Leipzig allerdings auch schon sehr beeindruckend.
Darauf ein Stück Knoblauch-Nuss-Torte ;o)

... link  


... comment
 
Schöner Bericht. Und verspätete Glückwünsche in die Runde!

... link  

 
A propos Runde:
Morgen um 14 Uhr kurbeln die Klassiker Rund um Rommerskirchen. Hätten Sie nicht Lust, mitzufahren?

... link  

 
Lust schon. Ich krieg es aber leider nicht hin. Und mein Trainingsrückstand summiert sich mittlerweile auch.

... link  

 
Das ist ja mehr so eine lockere Runde, vielleicht sogar (je nach Beteiligung) wieder in zwei Leistungsklassen: gemütlich und stressarm. ;-)

Ich wollte auch kein Ganztagesprojekt draus machen, deswegen werde ich wahrscheinlich mit dem Auto hinfahren. Wenn Sie's doch noch möglich machen können, geben Sie gerne per Rohrpost Bescheid.

... link  


... comment
 
Erst 4 Jahre sind vergangen! Es scheint mir eine Ewigkeit!
Das Schönste ist, daß die Kameradschaft geblieben ist!

... link  

 
Ja, und dazu hat nicht zu knapp beigetragen, dass wir im Jahr darauf zusammen die 46er-Runde gefahren sind. Das verbindet.

Wenn ich heute auf meine erste L'Eroica-Teilnahme zurückblicke, habe ich gemischte Gefühle, denn tatächlich war ich damals schon ein halbes Jahr krank, ohne es zu wissen. Und laut wikipedia beträgt die Lebenserwartung von Erkrankten im unhandelten Zustand gerade mal sechs Monate, im Grunde war ich also als Toter auf Urlaub über die Schotterpisten gebrettert.

... link  


... comment