Samstag, 8. Februar 2014
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Hier noch ein kleiner thematischer Nachklapp zu meinem FAZ-Beitrag von neulich:
Tatsächlich glaubten viele von uns an die – von Leuten wie Steve Jobs propagierte – Vision, wonach der Zugang zu den jüngsten Technologien des Personal Computing uns Ermächtigung und Emanzipation zu bieten vermag. „Zugang zu Tools“ ist für viele Technologen in Kalifornien immer noch ein starker Slogan. Natürlich grenzte das schon immer an Idiotie. Die genannten Strukturen – vom Geld bis hin zur nationalen Sicherheit – sind niemals verschwunden; sie versteckten sich lediglich hinter der Fassade der „Digitalisierung“.

Dafür werden die Digitalisten ihn wieder hassen, den Evgeny Morozov. Aber wo er recht hat, hat er recht. Der SPD-Europapolitiker Martin Schulz fordert gar eine neue soziale Bewegung, die sich der drohenden Entwicklung hin einem digitalen Totalitarismus entgegenstellt. Aber vielleicht warten wir damit lieber noch, bis der Nachwuchs-Nietzsche unter den Netzphilosophen Michael Seemann sein von der Fachwelt dringend herbeigesehntes opus magnum "Das neue Spiel - Nach dem Kontrollverlust" fertig geschrieben hat und wir feststellen: Ist doch alles halb so wild, die Kontrolle ist gar nicht weg - es hat sie jetzt nur jemand anderes.

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Und hier noch ein Satz für Herrn cut:
Wer das Kapital als Subjekt der Geschichte ignoriert, steckt mit den Kopf tief im Sand eines humanistischen Ponyhofs.
Wobei ich im hieisgen Kontext eher "digitalgläubig" statt "humanistisch" sagen würde...

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So sieht es aus
„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte)

Unsere Realität ist der Kapitalismus. Wer den ausblendet, gelangt in seinen Analysen zu wenig brauchbaren Ergebnissen.

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Kurioserweise bin ich mir dessen heute bewusster als zu Zeiten meines Politikstudiums. Wozu aber auch beigetragen haben mag, dass erst nach dem Fall der Mauer (und damit der Systemkonkurrenz) der Kapitalismus quasi enthemmt wurde. Zudem hatte ich unmittelbar nach dem Mauerfall noch die irrige Vorstellung, so manche Errungenschaft von drieben könnte auch in einem Gesamtdeutschland Bestand haben.

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An welche Errungenschaft von drieben dachten Sie denn?

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Sekundäre Rohstoffe (soo viel absurder als das bekloppte Grüne-Punkt-System kann das DDR-Recyclingwesen kaum gewesen sein), Betreuungsquote, Stellung der Frau, so Sachen halt. Denke z.B. auch, dass die auf schnellen und maximalen Verkaufsprofit ausgelegte Politik der Treuhand sehr verheerend gewirkt hat, mit etwas planvollerem und nachhaltigeren wirtschaftpolitischen Handeln hätten sich womöglich mehr Betriebe in die Marktwirtschaft hinüberretten können.

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Recycling, Kindergärten, Frauenwahlrecht wie in der DDR. (Also alles, was in der BRD verboten ist.)
Finde ich in Ordnung, ein bisschen Sozialromantik tut der Seele gut.

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Das waren jetzt natürlich sehr pauschale Punkte, denen man tatsächlich eine Portion Sozialromantik attestieren könnte. Leute mit mehr Einblick sagen, in Sachen Erdwärme-Gewinnung wäre die DDR vorne gewesen und Leuna in bestimmten Segmenten auch, das ist Detailwissen, das ich nicht habe. Aber es würde mich zumindest wundern, wenn das flächendeckende Plattmachen nahezu aller Strukturen wirklich alternativlos gewesen wäre.

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(Die Mauscheleien der Treuhandanstalt einmal außen vor. Das ist in seiner Qualität inhaltlich recht gut aufgearbeitet, zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit in einer Dokumentation in der ARD. Glücksritter, Cowboys and Indians, Halsabschneider von der Konkurrenz, zigzehntausend herrenlose Firmen und ein paar hundert beauftragte Abwickler.)
Platt war der Laden, weil er platt war. Stellen Sie sich die BRD 1960 vor, dann haben Sie die Produktion der DDR von 1988 ziemlich gut vor Augen, nur dass die Infrastruktur seit 1960 lediglich geflickt war.

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An die von der Treuhand angerichteten Verheerungen hatte ich beim Verfassen meines vorigen Kommentars in der Tat gedacht. Ansonsten haben Sie natürlich recht, das Land war runtergewirtschaftet und in vielen Bereichen Jahrzehnte hintendran. Lustig, dass der von F.J. Strauss eingefädelte Milliardenkredit das Überleben des zweiten deutschen Staates so lange noch gewährleistet hat, dass er selber den Fall der Mauer nicht mehr miterlebte. Wahrscheinlich hätte der die drohende Einheit eh noch sabotiert bis zuletzt, um dem verhassten Kohl diesen Triumph nicht zu gönnen...

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Ich glaube, es ging nicht sosehr darum, dem Helli eins auszuwischen als darum die gewohnte Ordnung aufrecht zu erhalten.
Ein klares Feindbild. zwei Blöcke, das alles hatte sich 40 Jahre bewährt. Und ex post betrachtet hatte der Mann ja wie so oft recht!
Die ganzen Veränderungen nach 1989 haben doch nur Unruhe und Orientierungslosigkeit zur Folge.

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Wäre wirklich interessant gewesen, ob Strauss sich in der Einheitsfrage eher bei den Bremsern eingereiht hätte. Gute Gründe, das Projekt nicht so überstürzt anzugehen, gab es ja durchaus. Und dann noch die Sorge um das schwindende Gewicht Bayerns in einem vergrößerten Bund.

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Tscha. Rechnen hat er schon können, der FJS.

:-)

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Ja, beeindruckend.
Und dennoch, was inhaltlich hängen blieb, war etwa das hier. ;-)

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Ganz genau.
Um es mal - und ich sage das in aller Deutlichkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren - nun, ... äh ... um es mal auf den Punkt zu bringen.

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Wir wollen den FJS mal nicht unterschätzen. Hätte er 1989 erlebt, unser von heute aus zurückprojiziertes Kleinbürgerdenken ("meine schöne alte BRD!" vs. "meine schöne alte DDR!") hätte er keines Blickes gewürdigt. Er hätte sich reinen Herzens gefreut, das alte Schandmaul.

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Tja,
wir werdens nie erfahren. Vielleicht hätte er seine Rechenkünste ja in Stellung gebracht, um zu realistischeren Einschätzungen der Vereinigungskosten zu kommen. Ich denke nicht, dass der sich einfach mal so um 200 Milliarden verrechnet hätte.

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Wer errät, welcher dieser Buben der FJS ist (nicht schummeln!), dem sei der ‪Hubertusorden‬ in Gold am Bande verliehen.

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Der da?

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Nein.
Aber den hätte ich auch getippt. (Seichter Genpool?)

Wer weiter raten will, lese folgende Zeile nicht:

Es ist der dritte von rechts in der oberen Reihe.

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Man mag es ja gar nicht glauben - aber auf diesem Bild isser auch ...

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Ja, das hatte der Kreuzbube neulich schon verlinkt mitsamt der Geschichte drumrum.

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Als pfiffiger Rechner hätte er vielleicht, auch damit sich niemand übervorteilt fühlt, für einen sorgfältigen Saldo zu den "Vereinigungskosten" die bereits vorher aufgelaufenen Trennungskosten hinzugezählt, die sich letztere nur zum Teil und sehr unvollkommen überhaupt in Geldbeträgen beziffern lassen würden.

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Und zudem verjährt und mangels ladungsfähiger Anschrift von Verursachern auch nicht mehr einzutreiben. Der Dicke aus Ludwigshafen hat es letztlich vielleicht doch richtig gemacht, die Zahlenschieber stille schweigen und das Herz in der Angelegenheit sprechen lassen. Zumal drieben ja auch nicht gerade die kühlen Rechner den Ton angaben, wenn ich da mal auf eine (schon etwas ältere) einschlägige Diskussion in der Nachbarschaft verweisen darf.

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Bei der verlinkten Debatte gruselt es mich ehrlich gesagt ein wenig. Ich kann derlei Diskussionen gar nicht zu Ende lesen. Von "denen da drüben" und "was die Dummerchen sich vorstellen!". Das kann man alles auf einen Satz abkürzen: Sie stellen sich ein normales Leben vor, "wie du", nicht weniger, nicht mehr.
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Mit Trennungskosten meinte ich übrigens zuvorderst, was die unnützen kleinen per Geburt Halbrussen aus der deutschen Ostzone zwischen 1945 und 1989 von der deutsch-deutschen Rechnung mit ihrer Würde und Freiheit bezahlt haben.
(Falls jemand mit den Ausdrücken Würde und Freiheit etwas anfangen kann).

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Wenn Sie etwas hochgescrollt haben, werden Ihnen meine Worte nicht entgangen sein:
Ich finde es ein wenig überheblich, alle DDR-Bürger, denen das System der Bunzrepublik oder zumindest eine einstaatliche Lösung damals als die bessere Option erschien, als tumbe und konsumgeile Idioten zu diffamieren, denen es bloß um Videorecorder und tollere Autos ging. Da können wir, die wir das alles nicht unbedingt entbehren mussten und in Ungarn oder Bulgarien auch nicht als Urlauber zweiter Klasse behandelt wurden, natürlich leicht lästern über Pöbel, der auch endlich mal mit der blauen Tapete zahlen wollte. Ich denke, dass vielen DDR-Bürgern die Bunzrepublik (nicht nur wegen der D-Mark) verlockender schien und mehr Freiheit versprach als ein irgendwie reformierter Sozialismus.

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Damit haben Sie wohl gesprochen.
Doch die Tatsache, dass Sie es sagen mussten, als eine Art Gegengewicht reiferen Denkens, lässt es mich kaum bereuen, dass ich solche Diskussionen nicht lesen kann. Der Magen.

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Nach diesem postdialogischem Einschub, der sich selbst in Verachtung über alle Übrigen und zum Ausgleich dann in ungehinderter Selbstfreude über die errungene Stufe reifen Denkens badete, was vielleicht dennoch richtig ist, möchte ich noch anmerken, dass ich mich aus dieser Diskussion hier fast schon vor (!) dem Anfang verabschiedet hätte, nämlich, als der Name eines prä-gedanklichen post-privacy-Advokaten fiel.

Bemerkung an mich selbst: Bandwurmsatz, vermaledeiter.

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@Dr. Dean: Ich hab davon keinen Screenshot, aber Du und Postprivatier, Ihr standet mal auf der gleichen Blogroll. ;-)

Natürlich kann und will ich auch Keinem Vorschriften machen, was er zu disktutieren habe und was nicht. Ebensowenig will ich einen Negativ-Relevanzvergleich ziehen, welches Topic noch abseitiger und irrelvanter ist, Queerfeminismus oder post privacy. Aber einem impliziten Vorwurf, was arbeiteste Dich denn an deeem ab, könnte ich entgegnen, dass das auch keine exotischere Orchideendisziplin ist, als sich ständig an irgendwelchen Tofutaschen, Distelfinken und selbsternannten Medienelitessen zu reiben.

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Oh, sorry, mein bandwurmendes, weitgehend sinnfreies Satzmonster ging ankündigungsgemäß nach hinten los. Hey, das war mehr so Rumgeulke von mir, Freude am Bandwurm quasi, und enthält - garantiert - nicht einen Hauch an Kritik an dir!

Nee, ich finde das Thema (genauer gesagt, beide Themen), was du hier besprichst, ganz ernsthaft äußerst relevant und auch deutlich relevanter als die argumentativen Verrenkungen irgendwelcher Tofutaschen. So spannend ich derlei Kram manchmal ja auch finde. Quasi: Wo andere Leute sich vielleicht die Szenerie eines Verkehrsunfalls etwas zu lange betrachten, aus Schreck und Neugier zuerst, da bestaune und begaffe ich etwas zu lange derlei Unfälle polittheoretischer Entwicklungen. Ist schon ein komisches Hobby von mir.

Sorry, für den falschen Eindruck. Das mit "Bandwurmsatz, vermaledeiter" trifft es unangenehm genau, und unverhofft schnell. Wenn ich da überhaupt eine Absicht hatte, dann wollte ich da eigentlich die Diskussion wieder ein kleines Stück in Richtung "digitale" Freiheiten lenken, in ihrer seltsamen, geradezu selbstzerstörerischen Wechselwirkung mit allzu enthemmt agierenden kapitalistischen Akteuren.

Ist wohl schief gegangen. :-(

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Kein Drama,
explizite Kritik hatte ich da auch nicht herausgelesen, war mir nur nicht sicher, ob da noch was durch die Hintertür gezielt war.

Wahrscheinlich haben diese beiden Themenbereiche, die Verheißungen der post privacy und die Versuche des self empowerments von Randgruppen via web, gar nicht so wenig miteinander zu tun. Und ich würde das eine Thema jetzt auch nicht relevanzmäßig wesentlich höher hängen wollen als das andere. Es gibt da Schnittmengen und kongruent wirkende Vektoren, die dann beispielsweise dazu führten, dass ein zunächst mal hoffnungsvolles politisches Projekt wie die Piratenpartei so richtig schon an die Wand gefahren wurde. Und dazu können sich Postprivacy-Spackos und Femimimis gleichermaßen beglückwünschen.

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