Mittwoch, 18. April 2012
London calling
Was auch mal gesagt werden muss: Gastkind ist super. Ohne wenn und aber. Dass das mit Töchterlein die ganze Zeit so toll harmoniert, darauf hätte man im Vorfeld wirklich nicht wetten können. So gesehen: glückliche Fügung. A. geht diese Woche mit unserem i-Dötzchen sogar ohne nennenswertes Widerstreben zur Schule, wenngleich das für sie als 4th grader nicht so den Mega-Kick liefern dürfte. Gestern abend, als meine Frau aufgrund eines Termins außerhalb erst spät zurückkam, hatte ich als quasi Alleinerziehender indes ganz schön zu tun, den Doppelpack Girlie-Power zu bändigen und einigermaßen zeitig in die Falle zu schicken (getuschelt und gekichert wird dann eh noch eine ganze Weile). Auch wenn mir abends manchmal schier der Schädel platzt, wenn sich die beiden noch mal so richtig aufschaukeln vorm Zubettgehen, ich seh's schon kommen, dass der Trubel dann erst mal fehlen wird, wenn A. Anfang nächster Woche in den Flieger nach Hause steigt.

Man darf auch gespannt sein, ob sich unsere Maus tatsächlich diesen Sommer schon zum Gegenbesuch auf der Insel traut. Im Moment ist ihre Haltung dazu: "Ja, klar". Angesichts der Tatsache, dass sie bisher noch nicht mal allein bei der Oma in MA war, ist das schon mal 'ne ziemliche Ansage. Ich selber war Zwölf, als ich alleine in den Zug nach Lyon gesetzt wurde, wo der etwas ältere Junge wohnte, der einige Monate vorher als Gastkind bei uns in der Familie weilte. Das war schon ganz schön uiuiui, alleine in den Zug zu steigen, aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich anschließend am Hauptbahnhof von Lyon vor der Rückfahrt eher etwas mehr geweint habe, weil es dort wirklich toll war.

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Ich glaub, das hängt auch immer sehr davon ab,
wie man das Kind in die Reisen mit den Eltern eingebunden ist. Wenn man von klein auf weiß, worauf man bei Reisen so achten muss, dann ist der Schritt zum Alleinreisen nicht so groß. Dadurch, dass meine Eltern blind sind, musste ich schon immer ein bisschen mehr aufpassen auf Reisen (die deshalb auch alle in öffentlichen Verkehrsmitteln stattfanden - meine Kollegen staunen immer, wenn ich denen sage, dass ich 10 Stunden Zugfahrt auf ner halben Backe absitze), während meine Klassenkameraden a) wesentlich öfter pauschal in den Urlaub gefahren sind und b) die Eltern alles planerische und das Aufpassen auf Reisen übernommen haben - weshalb meine Klassenkameraden entsprechend verängstigt waren, wenn sie mal selber sehen mussten, dass sie wohin kommen. Endeffekt war dann, dass selbst noch bei ner Klassenfahrt in der 10. Klasse sich alle Leute an die paar wenigen reiseerfahrenen Schüler rangehängt haben, weil sie Angst davor hatten, im (idiotensicheren) Prager U-Bahnsystem verloren zu gehen. Selbst heute beobachte ich das noch unter Kollegen, dass gestandene, eigenverantwortlich arbeitende Wissenschaftler teilweise vor ner (grenzüberschreitenden) Reisebuchung kapitulieren, weil sie nicht wissen, wo sie sich überall die Informationen holen können/müssen. Damals nachm Krieg als es noch kein Internet gab in der heimatlichen Pampa, da mussten wir ja noch in Kursbüchern blättern, um uns unsere Verbindungen rauszusuchen.

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@muerps:
Nicht, dass ich den Kindheitserfahrungen ihre prägende Bedeutung absprechen würde, aber ich hätte es mindestens ebenso sehr für eine Typsache gehalten, wie sich Jugendliche bei ihren ersten urlauberischen Gehversuchen ohne Eltern und Exkursionen/Klassenfahrten anstellen. So habe ich zwar früh erste Schritte alleine gemacht, aber zum Profi-Traveller und Kosmopoliten hat mich das langfristig dann doch nicht erzogen. Und ich bin ehrlich gesagt froh, dass meine weitgereiste Frau diesbezüglich mit einigen fernen Wassern gewaschen ist.

Wobei Ihre spezielle Konstellation sicher dazu beigetragen dürfte, Sie zu einer gewissen Selbstständigkeit und Autarkie zu erziehen. Das steht für mich außer Frage.

Und lange im Zug sitzen (oder gar im Fieger), das ist so gar nicht meins. Gleichzeitig würde es mich nicht sonderlich fordern, mich ins Darkmobil zu setzen und sagenwirmal nach Dubrovnik runterzubrettern. Aber dafür hätten meine beiden Mitfahrerinnen dann nicht das nötige Sitzfleisch).

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Das erste mal richtig alleine nur mit zwei Kumpels bin ich mit 15 verreist. Mit dem Brennerexpress 23:20 ab Gleis 11 bis Florenz und dann weiter mit Bimmelbahn und Bus bis ins Haus, das uns meine Eltern tatsächlich anvertraut hatten.
Vertrauen und Zutauen ist ganz wichtig für mich gewesen, mich zu verselbstständigen.

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Ich glaube,
das Thema Vertrauen und Zutrauen ist ein ganz zentraler Punkt bei diesem Thema. Habe da gestern abend mit meiner Mutter noch drüber gesprochen. Sie sagte, dass sie damals, kurz nachdem ich im Zug saß, geweint und sich gefragt habe, o Gott, was tu ich dem Mark da an, ihn alleine da runter ins mehr oder weniger Unbekannte zu schicken. Aber was soll ich sagen, trotz der Bange (meine Sorge war vor allem, ich könnte im Zug einschlafen, Lyon verpassen und dann an der spanischen Grenze aufwachen) war eine ganz großartige Sache, für die ich heute noch sehr dankbar bin, dass das klappte. An sich wäre es nämlich einem meiner älteren Bruder zugekommen, die altersmäßig an L*c näher dran waren als ich. Aber weil die beiden damals mehr oder minder abtauchten, als er bei uns zu Gast war und es mir überließen, mich um ihn zu kümmern, war dann auch klar: Wenn einer nach Lyon fährt, dann ich.

Ich gehe mal davon aus, das Sie das Vertrauen Ihrer Eltern nicht oder zumindest nicht zu sehr enttäuscht haben?

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Ich genieße noch heute, fast 40 Jahre später ihr volles Vertrauen.

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Bei uns wird grade diskutiert, ob man Grossen Tiger in den Zug zu Oma setzen kann oder nicht.

Ich bekam letztens einen besorgten Anruf aus der Schule, er habe nach dem Unterricht ganz alleine an der Strassenbahnhaltestelle gestanden, ob das in Ordnung gewesen sei?
Ja, er fährt Strassenbahn weil seine Lehrerin absolut nicht möchte, dass er alleine mit dem Rad zur Schule kommt.

Von daher bin ich mir zwar sicher, dass er das alleine packen würde, aber ich weiss nicht, ob ich betriebsblind bin und das überhaupt für ihn machbar ist.


Alleine Bahn gefahren bin ich das erste Mal mit 16, meien Eltern waren nun mal überzeugte Autofahrer, Bahnreisen waren was für Leute, die sich kein Auto leisten können.
Jedenfalls hatte ich einen Zettel mit mütterlichen Instruktionen dabei. Umsteigen musste ich nicht, ich traute mir eigentlich locker zu, in Göttingen auszusteigen, Platz war reserviert, was sollte schiefgehen?. Mutter sah das anders :-)
Neben Anweisungen, wie ich meinen Platz finde und was zu tun ist sollte er besetzt sein (der einfache Hinweis "ich habe eine Reservierung" reichte in Mutters Welt nicht aus), gab es auch die Direktive, spätestens in Fulda zur Tür zu gehen.

Als ich ein paar Monate später auf die Idee kam, eine Freundin in Brauchschweig zu besuchen, brach Mutter in heillose Panik aus. Ich durfte dann, unter der Bedingung, dass mich die Familie am Bahnhof anholte und dort auch wieder in den Zug setze... verdammt, war das peinlich...

Noch schlimmer wurde es, als ich mir das damals erhältliche Vorgänger-Modell der Bahncard junior kaufte und künftig nur noch die Hälfte des Bahnpreises zahlte, also ständig irgendwo rumgondelte.
Lies sich aber noch steigern: in den Ferien gab es das "Schüler-Ferien-Ticket", damit war man in ganz Niedersachsen unterwegs. Ausser man war ich :-)

Da sind sie wieder, die Abgründe...


Fazit: man kann auch trotz (oder vielleicht grade wegen) Eltern, die Bahnreisen für das gefährlichste Unterfangen gleich nach Mondmissionen halten, es schaffen, als Erwachsener mit der Bahn seinen Weg in der Grossen Weiten Welt zu finden.
Aber schon vor der Volljährigkeit eventuell mal alleine unterwegs gewesen zu sein schadet auch nicht.

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Platz war reserviert, was sollte schiefgehen?

Nun, ich denke mal, dass Eltern diesbezüglich zu einigen Phantasieleistungen in der Lage sein dürften. Wie realistisch die Sorgen sein mögen oder nicht, mag auf einem anderen Blatt stehen. ;-)

Es gibt da (wie hier im Blog wahrscheinlich schon mal erwähnt) eine Szene im Roman "Homo Faber", wo der Protagonist in seiner Ratlosigkeit etwas über die Mortalitätsrate von Schlangenbissen erzählt, und die Mutter der verletzten Sabeth sinngemäß sagt: "Wenn ich 1000 Töchter hätte, könnte ich vielleicht verschmerzen, wenn drei davon an Schlangenbiss sterben, aber ich habe nur diese eine."

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Seit ich selber Mutter bin kann ich mir einiges besser erklären. Und auch ich kann ziemliche Horroszenarien entwickeln, besonders gut wenn ich schlecht schlafe.
Aber selbst mit über 20 Jahren Abstand halte ich es für ziemlich sicher, einen reservierten Platz ohne Umsteigen zu haben.

Auch grobe 150 km lieber an der Tür zu stehen statt (wesentlich sicherer bei Vollbremsung) an der Tür rumzulungern ist eher weniger ratsam.


Man sollte halt nicht am Nordpol Schlangebisse fürchten wenn die Gefahr entweder zu erfrieren oder vom Eisbären gefressen zu werden, wesentlich höher ist.

Und selbst wenn die einzige Schlange der Polarregion zubeissen sollte, ist es ratsamer, dem Kind beizubringen, wie man den Notruf wählt und sagt, dass man einen Schlangebiss hat statt panisch im Kreis zu rennen.

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A propos panisch:
Ich musste gestern völlig entgegen die hier üblichen Gepflogenheiten die beiden Süßen kurz allein lassen, um die Kindersitterin zu holen. Als ich mir ihr in die Wohnung kam: Totenstille und keine Spur von den beiden. Die Mäuse haben sich so gut versteckt und kamen auch nicht aus den Löchern als ich sagte, das ist jetzt nicht wirklich mehr lustig. Ich bin dann noch zum Eiscafé und zum Edeka, um zu gucken, ob die vielleicht eine verbotene Einkaufstour gestartet haben. War dann schon auf dem Rückweg kurz davor, die Polizei zu alarmieren, als die Kindersitterin mich anrief, dass die beiden doch noch aus ihren Verstecken gekrochen seien. Mannmannmann...

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Meine Tochter wird im Sommer sechs, und ich bin nicht sicher, ob ich sie in einem Jahr eine Reise alleine durchführen lassen kann/will. Es geht dabei weniger um die Tochter, sondern mehr um den Papa.

Ich glaube, ich würde schreckliche Tode sterben, wenn ich sie alleine los schicken müsste.

Und mir ist natürlich absolut bewusst, dass alles das eines Tages passieren wird …

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@der_papa:
Dass sich die Frage so schnell stellen würde, hätten wir noch vor ein paar Monaten auch nicht gedacht.

Andererseits: Wenn man im Hinblick auf die Gastfamilie ein gutes Gefühl hat, deren Töchterlein uns sein darf und sich toll mit der Kleinen versteht und es bei der LH und BA begleitete Flüge für Kids gibt - mit welcher Begründung sollte man der Kleinen sagen, nee, lieber nicht, wenn sie doch möchte?

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Die Flugbegleiter bemuddeln die Kinder immer ganz dolle. Die ganze Sache mit den alleinreisenden Kindern ist so reglementiert, dass ein Kind da gar nicht verloren gehen kann, selbst wenn es wollte. Die Kinder sind da praktisch unter Vollaufsicht vom Abflugort (ich glaub sogar, dass die (Gast-)Eltern immer noch mit zum Terminal dürfen, trotz 11. September) bis zum Zielort.

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@muerps:
So habe ich das auch verstanden. Die Begleitperson, die das Kind zum Flieger bringt, muss überdies von den Eltern namentlich benannt sein und sich dort ausweisen.

Das ist wohl Standardprozedur, und optional gibt es auch begleitete Flüge, bei denen eigens jemand von der Airline mitfliegt, um die (nicht sehr große) Betreuungslücke zwischen Abflug-Gate und Ankunft-Gate zu schließen.

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Hängt vielleicht auch davon abm ob das Kind schon mal geflogen ist und wie das war. Sollte ihm Speiübel geworden sein oder Ohrenweh bei Höhenwechsel und was amn alles noch haben kann, dann wohl lieber nicht alleine, aber wenn das alles geklappt hat, sieht das anders aus.

Fliegen ist noch mal was anderes als Bahnfahren: es ist sicherer. Keine Zwischenhalte, niemand, der unterwegs aussteigt und das Kind mitnimmt, das Gepäck kann nicht vergessen werden, feste Plätze, kein Rumgerenne bei der Platzsuche etc.

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Ja, ich dachte auch eher an Bahnfahrten. Obwohl, letztlich geht es mir wohl ums Loslassen …

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@der_papa:
Da sind schon jetzt so viele Zwischenschritte zu gehen, Freiräume und Grenzen auszuloten. Die Schule beschleunigt diese Prozesse schon ganz enorm, Du wirst sehen.

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