Sonntag, 2. März 2008
Nach dem Sturm
Hier bei uns hat sich das Sturmtief Emma anscheinend eher gemäßigt präsentiert. Die Bäume vorm Haus haben allenfalls Zweige, aber keine Äste eingebüßt. Von daher hielten wir es gestern nachmittag auch für vertretbar, mit der Kleinen zur Geburtsfeier von ihrem Kindergartenfreund Elias zu fahren. Der hatte einige Kids aus der Bärengruppe in einen der hier in der Gegend zahlreichen Indoor-Spielplätze geladen. Und diesen Spaß wollten wir der Kleinen nicht nehmen, nur weils draußen bisschen mehr zieht als sonst.

Klar, auf bisschen Klatsch und Klönschnack mit den anderen Eltern haben wir uns auch gefreut. Und was soll ich sagen: Wir wurden nicht enttäuscht. Die Mami von Gian-Carlo ist Elternbeiratsvorsitzende, und als solche hat sie natürlich auch tiefere Einblicke hinter manche Fassade. Da erfahre ich, dass dem Papi von Hannah vor zwei Jahren ein Selbstmörder vor die U-Bahn gesprungen ist, seitdem ist er in Therapie wegen posttraumatischer Belastungsstörung. Seinen Beruf kann er immer noch nicht wieder ausüben, und man muss seine zierliche Frau bewundern, wie sie den Laden mit den drei Kindern schmeißt.

Dann sind da die Eltern von Naomi. Das kleine hellblonde Engelchen darf seinen Geburtstag nicht feiern wie die anderen Kinder, da die Eltern Zeugen Jehovas sind. Was genau an Kindergeburtstag Teufelswerk sein soll, versteht zwar keiner so genau. Selbst die türkischen Zwillinge, deren Mutter ihr Kopftuch immer sehr festgezurrt trägt, feiern ihr Wiegenfest, ohne dass der Dorfmufti deswegen irgendwelche Fatwas aussprechen muss oder mit ewigem Höllenfeuer droht.

Dann erfahre ich hinterher von meiner Frau, dass der Mutter von Elias zwischenzeitlich die Hand ausrutschte, als das Geburtskind sie zu sehr nervte. Gut, ich habe die Vorgeschichte nicht mitbekommen, weil ich grad mit der Kleinen auf der großen Rutsche war, von daher will ich mir da kein Urteil anmaßen. Aber ich sag mal so: Unser Stil ist das nicht.

Und dennoch: Irgendwie finde ich es ganz ok, dass die Kleine im städtischen Kindergarten auch mit anderen sozialen Realitäten als der unseren konfrontiert wird. Andere Lebensentwürfe und Wertvorstellungen zu respektieren, das lernt man schließlich nicht aus Büchern.

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Mittwoch, 27. Februar 2008
Apotheken-Umschau
In diesen Tagen sieht man mich in der Apotheke fast genauso oft wie im Supermarkt oder beim Gemüse-Türken. Es ist mir ja fast schon peinlich, und manchmal meine ich aus der freundlichen Begrüßung der Pharmaziefachverkäuferinnen ein leicht amüsiertes "der schon wieder" herauszuhören. Aber vielleicht habe ich ja auch nur einen ausgewachsenen Aspirin-Komplex entwickelt. Früher, zu Single-Zeiten, genügte mir als Hausapotheke eine Packung Kopfschmerztabletten, eine Tube Mobilat-Salbe, was gegen Verbrennungen und Mückenstiche sowie eine Rolle Heftpflaster. Ansonsten verfuhr man nach dem Motto: "Wenns vorne juckt und hinten beißt, nimm Klosterfrau Melissengeist!" Und jetzt? Unzählige braune Fläschchen, Pillenschachteln, Lutschpastillentüten fliegen hier rum - und ständig fehlt doch noch irgendwas. Vorige Woche diverse homöopathische Mittelchen, vorgestern zwei Fläschchen Nasenspray ("ja, das mit den esoterischen Ölen, hihi"), heute eine Packung Herztabletten für den Hund. Als ich die eben abholte, guckte die eine Fachverkäuferin schon wieder ziemlich angeschrägt-vorwurfsvoll über ihr klobiges Kassengestell, als ob sie sagen wollte, nicht genug, was die Leute sich selber so alles einfahren, jetzt muss auch noch deren Hund den Selbstmedikationswahn ausbaden. Dann komme ich zurück und sehe hier noch einen Apotheken-Kassenzettel rumliegen und muss mich angesichts der Endsumme erstmal hinsetzen: 86 Euro und 63 Cent! Heilige Hildegard von Bingen, da hat meine Frau dieser Tage aber auch ganz gut zugeschlagen. Und ich denke mir, boah, die müssen uns doch für totale Wracks oder vollneurotische Hypochonder halten. Dann gucke ich genauer hin und stelle erleichtert fest, dass sie diesen pharmazeutischen Großeinkauf wenigstens in der Stadt getätigt hat, wo man uns nicht kennt. Aber trotzdem. Irgendwie ist das alles kein Zustand. Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal ein Beruhigungstonikum...

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Montag, 25. Februar 2008
Nur Sonntag Nacht
Grad will ich nochmal den Hund an die frische Luft führen, da sehe ich durchs Küchenfenster gegenüber vor "Paul's Pinte" (jaa, ohne Apostroph ist so ein Etablissement heutzutage nur halb so authentisch) das große Aufgebot rumstehen: Notarztwagen, ein Rettungswagen (Johanniter), dann stoßen noch zwei Streifenwagen hinzu. Alles ohne Blaulicht und ganz großen Bahnhof, aber allein die vier Warnblinkanlagen sind für hiesige Sonntagnacht-Verhältnisse schon ein bisschen Großalarm. Und kurioserweise scheinen auch gerade wirklich sämtliche Hundebesitzer in der Nachbarschaft noch dringende Bedürfnisse bei ihren Fifis und Bellos festgestellt zu haben, um da unten doch mal nach dem Rechten sehen zu können, ohne als böde Gaffer angeguckt zu werden.

Damit ist klar, dass ich mich dieser Bewegung mit unserem Hundi erst mal nicht anschließe, sondern einstweilen hier oben auf dem Beobachtungsposten ausharre. Viel gibt es auch nicht mehr zu sehen. Zwei Polizeibeamte führen einen älteren Herrn aus der Kneipe und zum Rettungswagen. Was sich da weiter abspielt, ist von hier oben nicht zu erkennen. Dann tritt eine ältere Frau aus der Kneipe heraus und redet wild gestikulierend auf einen der beiden Polizeibeamten ein. Der beschwichtigt und schickt sie zurück ins Lokal. Kurz darauf setzt sich der Konvoi in Bewegung, und alles ist hier wieder still und ruhig wie sonst auch. Die Kartenspielerrunde am runden Tisch vorm Fenster kloppt unbeeindruckt weiter ihren Skat oder Doppelkopf.

Was sich da en detail abgespielt hat, werde ich mangels sozialer Verdrahtung in der Nachbarschaft wohl nicht erfahren. Denn eine Meldung auf den Regionalseiten von "RP Online" wird das mit Sicherheit nicht hergeben. Ist ja letztlich auch egal. Wenn ich jetzt mit dem Hund rausgehe, wird es so sein wie immer. So als habe das alles gar nicht stattgefunden.

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