Dienstag, 2. Mai 2017
Jugendsünden holen uns ein
Es naht ein Moment meiner Vaterschaft, vor dem ich immer schon ein bisschen Bammel hatte: Mademoiselle793 will es wissen: Was ging mit Drogen, und wie ist meine Einstellung dazu? Meiner Tochter aus vermeintlich pädagogisch wertvollen Gründen ins Gesicht zu lügen und zu sagen, da wäre nie was gelaufen, verbietet sich genauso sehr wie irgendwelche Verherrlichungen meiner ziemlich biolchemisch angeregten Lebensphasen.

Grundsätzlich lege ich keinen gesteigerten Wert darauf, dass sie mir darin nacheifert, diese (oder auch andere) Erfahrungen zu machen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass der bewahrpädagogische Ansatz nur beschränkte Erfolgsaussichten hat. Schließlich hat das bei mir auch nicht funktioniert, und überdies könnte ich ja als lebender Beweis dafür herhalten, dass ein durchaus experimentierfreudiges Verhältnis zu bewusstseinsverändernden Substanzen keineswegs automatisch zu einem unfotogenen Tod auf der Bahnhofstoilette führen muss.

Aber die Risiken und Nebenwirkungen sind halt auch nicht ohne, und zudem ist heutzutage vielfach toxischeres Zeugs auf dem Markt als das, was wir uns früher reingepfiffen haben. Insofern bin ich da schon für Ehrlichkeit, aber ich sehe auch keine Verpflichtung, ihr wirklich alles haarklein zu erzählen. Den Schwank aus meiner späten Jugend, wie ich dem früheren Verlobten meiner Frau (und damit auch ihr) mal ein kleines Piece Dope zur Erweiterung der Allgemeinbildung besorgte, muss sie von mir nicht erfahren. Das kann meine Frau ihr ruhig selber erzählen, wenn sies es für vertretbar hält.

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Sicherlich Herr M. sicherlich. Bei ihnen kann man jetzt schwer sagen wie dass so mit den Drogen und den Folgen war. Vom Bahnhofsklo haben sie sich gekonnt weggeschnupft, aber ihre Nieren sind heute ziemlich im Eimer. Wer weiß ob es da nicht doch irgendeinen sinnmäßigen Zusammenhang gibt. Kann aber sein dass ich gerade Äpfel mir Birnen mach. Aber wie gesagt. Schwer zu sagen bei ihnen. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre. Ich hätte das nicht überlebt. Da wäre das Hirn explodiert. Und schon wieder bin ich bei den Nieren. Was weiß man. Oder können sie Spätfolgen von ihrem einstigen Lebenswandel und der Erkrankung gänzlich ausschließen. Wenn nicht hätten wir da schon zwei Drogenleichen von denen keine Bahnhof macht.

Merksatz: So richtig Spaß und Leben über dem Limit ohne Spätfolgen ist nur eine hübsche Erzählung. Wer nicht a bisserl kaputt ist vom Überschwang hat es nicht wirklich krachen lassen. Oder er hat sehr viel Geld und ganz wunderbare Ärzte.

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Über diesen möglichen Zusammenhang habe ich natürlich auch viel nachgedacht. Zu sagen "geforscht" wäre übertrieben, aber soweit ich das mit bescheidenen Bordmitteln eruieren konnte, hat es Fälle gegeben, in denen dieses Übel Leute erwischt hat, deren Lebenswandel nicht über alle Zweifel erhaben war. Aber eben nicht in einer statistisch signifikanten Häufung, die irgendwelche genaueren Zusammenhänge nahelegen würde. Meine Quellen haben da auch keine genauere Unterscheidung getroffen, welche Substanzen im Spiel waren bei den Kandidaten, die es auch erwischt hat. Könnte also genausogut sein, dass die mit Sachen unterwegs waren, von denen ich immer die Finger gelassen habe. Kurzum, nichts genaues weiß man nicht - aber ausschließen kann man nach Lage der Dinge eben auch nichts. Und rein vom Bauchgefühl her würde ich sagen, es kann schon sein, dass mich diese Gefäßkiste verschont hätte, wäre ich immer schön clean geblieben.

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Wenn ich die Liste der Jugendfreunde durchgehe, von denen ich viele seit zehn und mehr Jahren nicht gesehen habe, aber man hört doch immer mal einen Klatsch und Tratsch, dann ist recht eindeutig, dass unter denen, die es früher übertrieben haben, viele körperlich abgewrackt sind, lungenkrank, Gefäßverschluss, kaputtes Herz (Leber- oder Nierenstatus weiß ich nicht). Drei fallen mir spontan ein, die in ihren Dreißigern oder Vierzigern gestorben sind. Einer war hauptsächlich Alki, bei den beiden anderen tippe ich auf hauptsächlich Crystal und dadurch kaputtes Herz.
Aber mit "ich bin polytoxikoman, geiles Fremdwort" haben sie mit 20-25 alle kokettiert, die Dummbeutel. Am wenigsten abgerockt wirken abgesehen von abstinenten Kirchenjulen die, die es beim Kiffen oder Biertrinken belassen haben.
- Ich bin aber unsicher über der Frage, ob man sich das in vollem Umfang aussuchen kann.

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So dramatisches höre ich aus meiner früheren Szene nicht, wobei ich aber auch zu weit weg bin, um davon allzuviel mitzukriegen. Gab ein paar Leute mit massiven Zahnproblemen, ansonsten waren die offensichtlicheren Folgen oft eher psychischer Natur, von psychotischen Schüben verschiedenster Art bis hin zu Dauerparanoia und weas weiß ich noch alles. Kannte aber auch genug Leute, die es ohne Drogen in die Psychiatrie geschafft hatten, mein früherer Seniorpartner war bipolar, und wenn der seine 5 Minuten hatte, war der mehr druff und schwerer kontrollierbar als ich auf Amphetamin.

Und wenn ich die Reihe der Verstorbenen in meiner Alterskohorte so durchgehe, dann sind da vor allem Verkehrsunfälle und Folgen von Überarbeitung.

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Sie haben recht, die psychischen Auffälligkeiten sind ein weiteres Kapitel. Noch mal ein anderes Kapitel sind Zeug wie dass das Blut kaum mehr gerinnt und dann fast verrecken bei der Zahn-OP, kaputtes Zahnfleisch, weggeätzte oder weggeraspelte Nasenscheidewand und solche Delikatessen. Ich weiß nicht, ob weggeraspelt der richtige Ausdruck ist. Es wurde mir so erklärt, dass in den Pulverchen winzige Glaspartikel eingestreut sind, um die Nasenschleimhaut anzustechen und so das Pulver beim in die Nase ziehen potenter zu machen. Uah.

An Psychotrips könnte ich aus der Beobachtung aufwarten mit den Unterschieden von LSD, Crystal und echt potentem Gras. Jedenfalls so, wie es mir nachher erklärt wurde, was jetzt nun gerade im Spiel war. Meine Deutung: Bei ersterem fliegt man mit dem yellow submarine, aber so was von, beim zweiten rennt und sucht man wie ein Honigkuchenpferd das yellow submarine, beim dritten wird man, wenn's schiefgeht, vom yellow submarine verfolgt und gejagt und Jesus sitzt am Steuer, und wenn's nicht schiefgeht wird man ganz sachte vom yellow submarine überfahren und nichts weiter.

Bei Koks, na gut, ist man Jesus? Koks gab es seltener, war wohl damals ne Preisfrage. Wie es aussieht, wenn grad was da war oder grad was fehlt, das hat fast jeder schon mal gesehen, wenn er Fernsehen und Showbranche* anguckt. Keine Namen!
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*in einem der ersten Seminare meiner Laufbahn als Stift am WasmandamalsUninannte ging es um einen Aufsatz zu culture (ohne Zusatz, hui!). Ich hatte vorab zwei Fragen: läuft showbiz unter culture, wenn ja, läuft politics unter showbiz? Die Dozentin wusste nicht, wo die Frage herkommt, scheinbar wusste nicht mal ich, was die Truenews soll. Jedenfalls hat sie beides pauschal mit ja beschieden. Was das damit zu tun hat? Na, nichts! Ja, so war das damals, vor dem Kriech und vor der zerbrochenen Zeit. Mahlzeit!

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Das mit dem Glasstaub war zu meiner Zeit nicht üblich, bin auch nicht sicher, ob das nicht eine urbane Legende ist. Ein beliebtes Streckmittel war angeblich Babyabführpulver. Einige Leute gingen bei Nasenproblem dazu über, ein halbes Gramm Speed oder auch mehr in ein Stück Papiertaschentuch zu verknoten und dieses sogenannte "Bömbli" mit einer Tasse Milchkaffee runterzuspülen. Das war aber nur was für Fortgeschrittenere als mich.

Das mit dem Yellow Submarine dürfte in etwa hinhauen, wobei ich beim Thema Crystal nicht mitreden kann, im Westen war das damals nicht zu kriegen, und ich habe die Erzählungen davon mehr so als Hippie-Legende abgetan). Ansonsten ist das alles auch sehr anschaulich beschrieben in "Schöner leben mit dem kleinen Arschloch".

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Na ja, Glasstaub war - falls zutreffend - denk ich mal schon als Streckmittel gedacht, wenn die Plörre weniger rein war. Urban Legends darüber lagen noch als Quark im Schaufenster oder waren erst im Begriff, erfunden zu werden, Wikipedia und Blogs und sowas gabs noch nicht, wenn, dann war das Net zum Counterstrike-Spielen da, kurz bevor man vom Kiffen einschläft.
Aber nach Saga der Verbraucher, mit denen ich gesprochen habe, galt das mit dem Glasstaub als ausgemacht für die Beurteilung mancher schlechter Chargen und der ruinierten Nase.
Vorher war halt Speed, für den, den es interessiert hat. Als Spitzname, nach meiner Erinnerung, Meth für Speed, ich kann mich irren. Geschätzt Mitte der 90er kam Crystal, das schien auf den Bäumen zu wachsen. Wenn ich nach einer Beschreibung der Wirkung fragte und den Unterschied wissen wollte, hat man sich auf meine Erfahrung mit Kaffee besonnen und die Metapher angepasst als "für Laien sinnlos zu vergleichen, aber vielleicht so ähnlich wie noch zehn mal mehr Koffein".
- Und den abartigen Schwafeldrang, den müsste man tatsächlich noch erwähnen als häufiges Beiwerk. Sprechdurchfall. Macht aber für Außenstehende nix, weil der Betreffende alle ein, zwei Minuten wo anders hin abzischt.

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Auch wenns sicher auf manchen Ebenen nicht nur gesund war - ne V. ist eine Autoimmunkrankheit und daher sicherlich nicht durch früheren Substanzgebrauch erklärbar. Die Nierenschädigung ist ja sekundär und bei Ihnen wohl leider auf die etwas zu späte Diagnose zurückzuführen.

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Haha, die extremen Laberflashs dürfen in der Tat nicht fehlen, allerdings sind die zumeist eher ein Anfänger-Phänomen, Fortgeschrittene haben das besser im Griff oder regeln das mit einem kleinen Spliff wieder runter.

Meth war im Osten definitiv früher en vogue als im Westen. In meiner Speed-Szene war Crystal selbst in den frühen Nullerjahren kein Thema, man wusste zwar, dass es sowas gab, aber wirklich verfügbar war es nicht. Oder man hat die Finger davon gelassen, schwer zu sagen, gerüchteweise gab es einen Toten, den ich aber nicht persönlich gekannt hatte, der soll sich auf Crystal bei einer recht intimen Verrichtung versehentlich selbst stranguliert haben. Wirklich wundern würde mich das nicht, denn während alle Welt zwar von den anregenden Wirkungen von Kokain fabulierte, hatte Pep diesbezüglich auch durchaus seine Qualitäten, gerade auch im Hinblick auf die Kondition. Aber das will ich an dieser Stelle jetzt nicht vertiefen...

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@hafensonne:
Soweit richtig, aber bei der ungeklärten Frage nach der Genese dieser auto-immunen Gefäßkrankheit stand auch die hypothetische Überlegung im Raum, ob es da Zusammenhänge geben könnte. Und ausgeschlossen hat man da gar nichts, es war nur die Fallzahl oder die Häufung zu gering, um daraus konkret was abzuleiten.

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Da würde mir ein Arzt, der sich in die eine oder eben auch in die andere Richtung tatsächlich festlegen würde, eher suspekt vorkommen. Tatsächlich ist für so eine, vor allem ja auch retrospektive Aussage die Häufigkeit einfach viel zu gering. (Meiner Meinung nach hilft es ja auch nicht wirklich weiter, da man den Z.n. Polytoxikomanie ja auch nicht wieder wegdiskutieren kann.) Ich habe jedenfalls schon welche ohne jeden diesbezüglich verdächtigen Hintergrund gesehen.

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Den polytox-Schuh würde ich mir nebenbei bemerkt nicht anziehen. Mit Pep war ich ziemlich lange zugange, alles andere fand eher unregelmäßig statt. Koks habe ich keine zehn Gramm konsumiert, gekifft überwiegend in entsprechender Gesellschaft, paar Mal E und die eine oder andere Pappe, vielleicht insgesamt zehn Mal. Dass das alles nicht harmlos ist, war mir schon klar, aber um die geistige Gesundheit hatte ich mehr Sorge. Kannte halt doch jemanden, der auf einem Trip hängengeblieben ist und nicht wieder runterkam.

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Hm Hm.
Äußerst schwierige Sache.
Natürlich geht es erstmal darum, wie Sie selber das sehen, was gelaufen ist und wie Sie es genau werten.
Ehrlichkeit macht sich bezahlt. In Details müssen Sie dazu nicht gehen. Kinder geht nicht alles aus der Biografie ihrer Eltern etwas an.
Aber ich würde schon offen darüber sprechen und nichts verharmlosen.

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"Nichts verharmlosen"
- das wird in der Tat meine Leitlinie sein.

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"Kinder geht nicht alles aus der Biografie ihrer Eltern etwas an."

Sehe ich auch so. Wir hätten damals wahrscheinlich auch nicht alles von unseren Eltern wissen wollen. Allein der Akt der Zeugung *schüttel* ...

Nicht verharmlosen klingt nach einer guten Strategie. Nicht zuviel, aber nicht verharmlosen.

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Super

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sorry, dass ich mit meiner Frage jetzt erst um die Ecke komme, aber sie geht mir durch den Kopf, seitdem ich Ihren Beitrag gelesen habe. - Liest Ihre Tochter hier nicht mit? Ich meine, wie wollen Sie sicher sein, dass sie es nicht tut? Weil, wenn doch, ja, dann - bekommt Ihr Eintrag gleich so eine andere Bedeutung. War das Hannibal aus dem A-Team, der immer sagte: "Ich liebe es, wenn ein Plan gelingt" - ? Der hat mir immer imponiert und so ein wenig klingt es mir hier durch :-)

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Sagen wir so: Meine Tochter weiß um diese Seite, aber ich bin nicht sicher, ob sie regelmäßig reinguckt.

Gesichert weiß ich nur, dass sie mir auf Instagram folgt.

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Ist ja auch spannender als sooo viel Text zu lesen (vor allem Kommentarstränge) *g*

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