Die dunkle Seite

Nein, ich bin nicht fahrradkaufsüchtig, ich hab das ziemlich gut im Griff. Meistens jedenfalls. Aber als am Donnerstag dieses Bianchi-Rad in den ebay-Kleinanzeigen auftauchte, war es um meine Zurückhaltung geschehen. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, mademoiselle793 ein flotteres Zweitrad zu besorgen, weil das schwere Hollandrad zwar für den Schulweg gut taugt, aber ansonsten überhaupt nicht konkurrenzfähig ist zu dem, was die marquise793 und ich so fahren.

Die Rahmenhöhe war nicht angegeben in der Anzeige und auch sonst so gut wie nichts, die 105er-Ausstattung mit den Biopace-Kettenblättern erkennt man natürlich, wenn man mit der Materie vertraut ist. Und der völlig makellose Sattel in Celeste sprach dafür, dass das Rad nicht allzu viel Straße gesehen hat. Vor Ort (jenseits von Wuppertal) stellte sich heraus, dass das Vorderrad noch nicht mal angebremst war, und das große Kettenblatt war noch nie mit der Kette in Berührung. Der leichte Seitenschlag im Hinterrad dürfte eher vom Transport herrühren als von tatsächlicher Benutzung. Der Preis war mit VB angegeben, aber nachdem sogar die unbenutzte Original-Trinkflasche mit inbegriffen war, habe ich nicht mehr gefeilscht, da wäre ich mir schäbig vorgekommen. Reden wir nicht drumherum, 180 Euro plus ein bisschen Spritgeld hat mich das gute Stück gekostet, und im Prinzip ist das der Differenzbetrag, den ich beim Kauf des Hollandrads eingespart habe, als ich keine überteuerte Gazelle kaufte, sondern ein Rad von einem weniger bekannten Hersteller aus Bielefeld.

Nun höre ich die Radlerkollegen unter meinen Leserinnen und Lesern schon fragen, aber Herr Mark, haben Sie nicht immer gesagt, Bianchi-Räder * seien überschätzt? Ja, tatsächlich schüttle ich oft ungläubig den Kopf darüber, was für absurde Mondpreise für die Räder in Celeste gezahlt werden, die meistens auch nix dolleres sind als ein Peugeot, Raleigh, Batavus oder Enik. Aber eben auch nichts schlechteres, und wenn der Preis stimmt, kann man auch mal ein Bianchi kaufen - zumal mit der Chance, es ohne Verlust weiterzuverkaufen, wenn Töchterlein rausgewachsen ist.

Die Rahmenhöhe ist 49 cm, und größer hätte es auch nicht sein dürfen, ich musste die Sattelstütze wirklich bis zum Anschlag ins Sitzrohr schieben und auch den Vorbau noch ein Stück tieferlegen, damit es passt. Am Donnerstag hat sich dann auch gleich die Gelegenheit zur Jungfernfahrt ergeben, und nach anfänglicher Hakelei mit den Körbchenpedalen war mademoiselle793 auf dem Weg in die Musikschule richtig flott unterwegs. Auf dem Rückweg gibt es eine lange Gerade durch den Wald, und da sprach Töchterlein die Worte, die das stolze Vaterherz zum Hüpfen brachten: "Ich werde zwar nachher müde sein, aber ich möchte jetzt richtig Gas geben."

Das war schon ziemlich beeindruckend, wieviel Druck die Lütte auf die Pedale bekommt, und ich sehe es schon kommen, dass sie mir in nicht allzu ferner Zukunft mühelos davonfährt. Meine Frau, die im Moment auch ganz gut unterwegs ist, hat sich für dieses Jahr vorgenommen, mit mir mal nach Venlo zum Frittenessen zu radeln. Mal sehen, vielleicht wird es ja ein flotter Familienausflug.

Um das noch ein bisschen zu präzisieren: Ehrlich gesagt bin ich auch nicht völlig immun gegen die euphorisierende Wirkung der Celeste-Farbe, die es übrigens so ähnlich auch bei anderen italienischen Herstellern wie beispielsweise Legnano gegeben hat. Als ich mit 12, 13 Jahren sehnsüchtig auf die "richtigen" Rennräder guckte, waren neben den üblichen Raleighs, Peugeots, Gitanes und Motobecanes auch die mintgrünen Bianchis stark präsent, das waren so ziemlich die einzigen Italiener, die bei uns im Südwesten in nennenswerter Zahl gefahren wurden. Obschon italienische Autos bei uns nicht gerade in gutem Ruf standen, schien mir ein schlankes Bianchi-Rad nicht weniger begehrenswert als die Renner französischer Provenienz.

Aber in der Facebook-Stahlradradgruppe nimmt die ikonische Verehrung der Bianchi-Räder bisweilen groteske Züge an. In den einschlägigen Kleinanzeigen werden für Räder dieser Marke oft Preise aufgerufen, die jenseits von gut und böse sind und wo weder der verbaute Rohrsatz noch die Komponenten oder die Verarbeitung als Rechtfertigung herhalten können. Und da geraten Leute in völlige Verzückung, die über ein gleichwertiges oder besseres Peugeot-Rad die Nase rümpfen. Kurz gesagt, ich verstehe zwar, warum man bei einem Daccordi, Simoncini und meinetwegen auch bei einem Colnago in Ekstase gerät, aber Bianchi hat genauso viel durchschnittliche Massenware auf den Markt geworfen wie Raleigh oder Peugeot, und da muss man einfach genau hingucken, womit man es zu tun hat.

Zugegeben, die Neuerwerbung im Hause 793 ist jetzt auch nicht aus der Reparte Corso-Abteilung oder von Eduardo B. himself handgelötet, aber das Oria-Geröhr ist ein guter Kompromiss aus Leichtigkeit und Stabilität, und etwas solideres als die 1055er-Ausstattung von Shimano wird sich kaum finden. Ich habe noch einen Ersatz-Laufradsatz von Mavic mit dickeren Profilreifen da, falls es mal in rauhere Gefilde geht, der Hinterbau hat Ösen, an die man einen Gepäckträger dranfriemeln kann, wenn es auf eine längere Tour gehen soll.

Und was das wichtigste ist: Töchterlein hat richtig Spaß auf dem Gelöt.