Dienstag, 26. April 2016
Von Helden und Kneifern


Am kommenden Sonntag findet bekanntlich die Eroica Primavera statt, und bei aller Sorge um meine Fitness freue ich mir schon jetzt einen Ast. Das Event ist ja ein Ableger des großen toskanischen MAMIL-Mittelaltermarkts im Herbst, inzwischen finden ähnliche Radveranstaltungen unter dem Label Eroica auf mehreren Kontinenten statt. Kurz gesagt, aus einer Nischenveranstaltung in der italienischen Provinz hat sich ein ganz schöner länderumspannender Zirkus entwickelt. Und am Beispield der Eroica California kann man übrigens auch schön sehen, wie idiotisch man sich dem Thema nähern kann. Nicht dass die Regeln über alle Kritik erhaben wären. Jeder, der sich ein bisschen mit der Geschichte von Rennrad-Komponenten auskennt, weiß, dass das Stichjahr 1987 eigentlich nicht als Argument taugt, um Aerobremshebel, indexierte Schaltungen und Klickpedale wirklich draußen zu halten, das alles gab es zu diesem Zeitpunkt nämlich schon längst. Aber gut, irgendwo muss man ja eine Linie ziehen, und trotz mancher Inkonsistenzen ist das Regelwerk für diese Veranstaltungen einigermaßen klar. In meinen Ohren klingt das ganze #mimimi nach mehr Inklusion und Offenheit als Ausrede dafür, dass da jemand offensichtlich zu faul, zu knauserig oder zu verpeilt war, sich ein passendes Rad zu besorgen und seinen Frust jetzt auf die Veranstalter abwälzt.

Aber ich will nicht ungerecht sein: Tatsächlich liegt für mich die technische Hürde weitaus tiefer, da ich wieder Zugriff auf das perfekt konfektionierte Leihrad aus dem Stall von Don Alphonso habe. Doch selbst ohne dieses komfortable Privileg hätte ich mich in der Lage gesehen, entweder eines meiner jetzigen Räder nochmal regelkonform umzurüsten oder für sehr überschaubares Geld etwas passendes beizukriegen.



Man muss zudem zur Kenntnis nehmen, dass die Veranstalter bereits so manches Zugeständnis gemacht haben, um das Event halbwegs massentauglich zu gestalten: Das Rad muss nicht zwingend alt sein, es muss nur dem technischen Standard von vor etwa 30 Jahren entsprechen - also mit Unterrohrschaltung, offen verlegten Bremszügen und Hakenpedalen bestückt sein. Andere (will sagen: leichtere) Übersetzungen als klassische Heldenkurbel und 14-21-Ritzel-Maiskolbenkassetten sind ausdrücklich erlaubt. Und da gibt es ja auch schon Zeitgenossen, die sagen, das widerspreche streng genommen dem Geist der Veranstaltung.

Aber mit dieser Konzession an Amateure und weniger ambitionierte Freizeitfahrer sollte eigentlich auch klar sein, dass es eben nicht darum geht, nur coole Leute auf coolen Rädern dabeizuhaben, wie der diesjährige Verweigerer Padraig argwöhnt. Ich habe mich voriges Jahr, als ich noch vergleichsweise fit war, nicht so richtig für meine Dreifachkurbel geschämt; es wäre zur Not auch ohne gegangen, aber halt mehr in Quälerei ausgeartet. Und jetzt mit den Einschränkungen durch mein Nierenproblem wäre es nachgerade töricht und riskant, mich mit einer zu schweren Übersetzung die toskanischen Hügel hinaufzuquälen. Selbst wenn man keine so gut gefüllten Materialkisten hat wie Don Alphonso, sollte es keine unüberwindliche Hürde darstellen, eine bergtauglichere Übersetzung zusammenzustellen. Dreifach- und Kompaktkurbeln sind nicht explizit geächtet, ich denke, wenn das Look & Feel noch halbwegs stimmig ist, würde man auch mit einer Tourenrad- oder MTB-Schaltung am Renner nicht disqualifiziert. Wie gesagt, ich habe voriges Jahr sogar eine (vermutlich kompakte) Karbonkurbel gesichtet:



Beim Herbstevent sollen da und dort Doppelhebelbremsen gesichtet worden sein, die streng genommen auch nicht dem technischen Stand von 1987 entsprechen. Und dabei gilt beim toskanischen Herbstevent im internationalen Vergleich noch die strengste Oberservanz. Also für mich ist das alles in allem inklusionsorientiert genug, wenn ich eine Veranstaltung unbedingt mit Klickpedalen, Schaltbremshebeln und anderen modernen Annehmlichkeiten fahren will, kann mich zu jeder beliebigen RTF anmelden. Wogegen ja auch nichts zu sagen ist. Aber eine Eroica darf gerne etwas Heldenmut - und auch das passende Heldenkostüm - erfordern.

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ach ja, immer dieses gewimmer.
wer die party macht, der darf auch bestimmen. es wird ja keiner gezwungen. :)

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Eben. Für das kalifornische Event im Speziellen kann ich nicht sprechen, aber wie man hört, steigen die Teilnehmerzahlen auch so nicht zu knapp, ohne dass am Regularium groß gedreht wird in Richtung mehr Inklusion.

Ich meine, ich verstehe den Frust, kein passendes Fahrrad beigekriegt zu haben, aber das kann man doch nicht dem Veranstalter anlasten. Der Mann schreibt, es wäre eins zu haben gewesen, aber die Übersetzung wäre nicht fahrbar gewesen. Dabei ist es wirklich keine Raketenwissenschaft, anderes Kurbelset und Ritzelpaket zu montieren. Da hat man die Regeln doch schon so großzügig gestaltet, dass sich keiner die Kniegelenke mit einer Heldenkurbel kaputtdrücken muss, und ich les trotzdem nur #mimimi und alle dooof.

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Zum Glück sind auch moderne Regenjacken erlaubt, die man über das Wolleibchen ziehen darf!
Der Wetterbericht ist im Moment noch nicht so gut, wie letztes Jahr, allerdings deutlich besser als im Oktober.
Da war es ja eine reine Schlammschlacht!
Wiedermal bin ich schlecht trainiert, aber die Vorfreude und damit die Motivation sind hoch!
Forza eroi!

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Da sprechen Sie etwas an, das mich auch gerade beschäftigt: Packe ich die historisch-korrekte Regenjacke ein oder die moderne Frischhaltefolie mit Reißverschluss? Die alte gibt ein bisschen wärmer, dafür wird es mit der Imprägnierung nicht mehr weit her sein.

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imprägnieren... das macht (fast) jede wäscherei für sie. oder einfach das dingen in der waschmaschine mit flüssigimprägnierung ausrüsten... äh, waschen. ;)

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Gute Idee, Wäscherei und Reinigung habe ich hier in fußläufiger Nähe, und notfalls nehme ich das Spray, mit dem meine Frau die Stiefel von Töchterlein wetterfester macht.

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bei schuhen mag das funzen. aber bei etwas größeren flächen rate ich zur flüssigen lösung. die kostet zwischen 2 und 9 euro. und wenn sie dann noch eine weitere zauberlösung verwenden, dann sind sie sogar flammhemmend ausgerüstet!
elastisch - langlebig - feuerfest
quasi =)

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Nach der Wasch-Lösung zu suchen und die dann auch noch anzuwenden, dafür fehlt mir ehrlich gesagt jetzt die Zeit. Mache mich ja freitag früh vom Acker und habe bis dahin noch eine pralle To-do-Liste.

Bin auch nicht ganz sicher, ob ich mitimprägniertes Innenfutter wirklich erstrebenswert finde.

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es wird einfach schönes wetter geben!

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Drei Becher Chianti an der Verpflegungsstation und alles ist gut :-)

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Das ist zu hoffen. Voriges Jahr war es ziemlich perfekt, abgesehen davon, dass es wegen der unchristlich frühen Startzeit anfangs noch verdammt kühl war. Aber zu den kürzeren Strecken wird ja später gestartet, somit dürfte die Temperaturdifferenz zwischen Start und Ziel diesmal nicht ganz so krass ausfallen.

Wann geht denn Ihre Niederlande-Rundfahrt los?

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Mit Strohhut und Laub bekränztem Bollerwagen starten wir am Vatertag.
(Ich hab mir übrigens fest vorgenommen, nicht zu schalten- haha)

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Da Sie die Süchtelner Höhen und die Hinsbecker Schweiz auslassen, sollte das eigentlich machbar sein, wenn nicht gerade Gegenwind in Orkanstärke aufkommt. Ich habe auf der letzten Venlo-Runde nur viermal aufs kleine Blatt runtergeschaltet, nämlich jeweils zwischen Süchteln und Dornbusch, in Venlo bei der Steigung Kaldenkerkerweg Richtung Stadion und dann kurz in Kaldenkirchen, wo es von der Bundesstraße auf die Bahntrasse geht. Den ganzen Rest der Tour habe ich stoisch mit 53/25 weggedrückt.

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Den verlinkten Beitrag habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Bei Platzproblemen muss er sich halt auch mal zwischen einem Regal Zinfandel-Flaschen und einem alten Rennradrahmen entscheiden.
Fährt er Letzeren dann eh nicht, sollte er sich doch eher mit Ersterem in die forgotten eras of Dura-Ace beamen.

Egal wie, ich wünsche Ihnen allen ein Mordsvergnügen und passables Wetter!

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Vielen lieben Dank. Und nehmen wir aus dem verlinkten Artikel den Vorsatz mit, rechtzeitig nach einem Rad für Sie zu gucken, damit Sie kommendes Jahr dabei sind.

Ich fand auch den Gastbeitrag beim Retrogrouch lesenswert. Man sollte sich von dessen diplomatischen Formulierungen wie he has valid points (...) nicht täuschen lassen, in straightes Deutsch übersetzt heißt das nämlich so viel wie der Typ erzählt größtenteils Bullshit. ;-)

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Aber wenn wir schon mal dabei sind, will ich auch nicht verschweigen, dass ich mit der Entscheidung, das neu aufgelegte Bianchi-Retro-Rad mit dem offiziellen L'Eroica-Label zu adeln, nicht so ganz glücklich bin. Ich verstehe natürlich, dass da ein großer Sponsorship-Deal dranhängt, der das Überleben dieser schönen Veranstaltung sichert. Diese Kröte kann man schlucken, auch wenn ich unter uns gesagt Bianchi für den überschätztesten aller italienischen Hersteller halte. Wo ich aber nicht mehr mitgehe ist die verbaute 10-fach-Kassette, die kriege ich beim besten Willen nicht mit dem Reglement und dem technischen Standard von 1987 zusammen.

Und der Preis von über 3000 Euro ist jenseits von gut und böse.

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Das passende Rad habe ich doch schon, das Koga ist von 1980 und mittlerweile in den Originalzustand zurückgebaut, war ja alles noch da.
Bis auf eine extra lange Sattelstütze und einen 225/120mm-Vorbau, ein echter Schwanenhals. So kann auch eine lange Latte wie ich einen eigentlich zu kleinen Rahmen fahren.
Also wenn ich mir mit der 44/26-Übersetzung nicht bis dahin im Odenwald die letzte Schmiere aus den Kniegelanken gepresst habe, warum nicht?
So als spiritual grandparent , das hat doch was;-)

Zum Bianchi: Noch nie auf einem gesessen. Grün. Teuer. Nachbau. Haken dran.

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Wenn Sie mit dem Koga im Odenwald die Anstiege raufkommen, sollte das auch mit den toskanischen Hügeln gehen. Und mit der Übersetzung lässt sich sicher noch bisschen was rauskitzeln. Bisschen zu klein ist für die Schotterwege übrigens gar nicht schlecht, damit hat man nämlich eine bessere Balance. Das Centurion ist auch ein, zwei Nummern kleiner als das, was ich hier sonst so fahre. Auf dem sehr hochbeinigen Mercier wäre ich auf den strade bianchi wahrscheinlich etwas wackliger unterwegs als mit dem stämmigen Japaner.

Von Bianchi gibt es auch hochwertige Räder, aber was mich abschreckt sind die abartigen Mondpreise, die selbst für lausige Massenware in Celeste aufgerufen werden. Es gibt so viele tolle Räder italienischer Provenienz, da muss man nicht irgendwelche Möhren vom größten Massenhersteller kaufen. In dem Segment täte es bei mir dann eher ein Peugeot, Raleigh oder eine Gazelle.

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Und? Freue mich auf den Bericht!

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Ein wenig Geduld, muss hier erst wieder ein paar Alltagsprozesse wieder in Gang setzen. Aber soviel vorab: Es war hart (56 km), aber die Anstrengung doch wert, Wetter nahezu ideal. Die Debütanten, die wir dabei hatten, performten auch beeindruckend auf ihren jeweiligen Strecken. Keine Pannen, Stürze und dergleichen zu verzeichnen, Hin- und Rückfahrt recht kurzweilig, tolle Unterkunft, es hat sich also wirklich rundum gelohnt - auch wenn es natürlich die speziellen Momente gab, in denen ich mich frug, warum tust Du Dir das an ohne Not? Aber ohne das wäre es eben auch nur der halbe Spaß.

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Die Antwort auf die Frage ist die Schussfahrt hinab zum Ziel!

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Hier im Bild:


An dieser Stelle nach dem letzten 16-Prozenter rücken die Mühen und Strapazen in den Hintergrund, man kann es nicht anders sagen, dieses Erleben der letzten Meter vor der Zielankunft hat etwas proto-orgasmisches.

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zustimmendes nicken: 52x13

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Brenzlich nur, wenn ein entgegenkommender SUV plötzlich vor einem links abbiegt!

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Ich habe nicht genau erkennen können, wie haarig es war, aus meiner Sicht sah es so aus, als hätten Sie diese brenzlige Situation vortrefflich gemeistert.

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