Donnerstag, 17. März 2016
Nachbetrachtungen zur Landtagswahl im Ländle
So ganz habe ich das ja noch immer noch nicht verwunden mit dem AfD-Direktmandat in Mannheim-Nord. Ich wohne da seit über zehn Jahren nicht mehr, bin da auch nicht mehr so in touch, wie man auf Neudeutsch sagt. Aber es ist nun mal meine Heimat, und ich versuche, mir einen Reim darauf zu machen, was sich da so verändert hat in der einstigen SPD-Hochburg.

Interessanterweise sind es nicht die traditionellen Multikultiviertel in Neckarstadt und Innenstadt-Jungbusch gewesen, wo die AfD überdurchschnittlich Stimmen holen konnte, sondern neben der Schönau mit ihren sozialen Brennpunkten auch der Waldhof, Sandhofen und Käfertal. Ich kann ohne empirische Analyse natürlich über die Motve nur spekulieren, aber was ich da ganz eindeutig als zentrale Emotion wahrnehme, ist Abstiegsangst. Der Mannheimer Norden ist mit seinen Arbeitervierteln und der vom Strukturwandel gebeutelten Industrie drumherum gegenüber dem wohlhabenderen Süden der Stadt immer mehr ins Hintertreffen geraten. Selbst die einst so gepflegte Gartenstadt ist am Überaltern. Als meine Mutter kürzlich ihr Haus dort zum Kauf anbot, gab es kaum ernstzunehmenden Angebote von Biodeutschen, und so hat meine Mutter ohne große Bedenken an eine türkische Familie verkauft - sehr zum Missfallen der Nachbarn, die natürlich nichts gegen Türken haben, wo denken Sie hin, aber, öhöm, man hat halt doch Sorge, dass der Name "Üzgür" auf dem Klingelschild und im Grundbuch den Verkaufswert der eigenen Immobilie drücken könnte, wenn man selber dereinst daran denkt, das zu groß gewordene Haus zu veräußern.

Ich kann von hier aus nicht abschätzen, welchen Impact die Unterbringung von Flüchtlingen in ehemaligen Standorten der US-Army auf die jeweiligen Nachbarschaften hatte, womöglich haben Leute, die da näher dran sind, sogar weniger Berühungsängste und Sorgen als diejenigen, die mit dem Thema nur aus größerer Entfernung zu tun haben. Auf alle Fälle scheint da bei einer erheblichen Anzahl von Bürgern das Gefühl aufgekommen zu sein, wir haben lange stillgehalten und uns das angeguckt, aber wir packen das nicht mehr. Nun würde es mich sehr wundern, wenn diese Leute durch die Bank zu Nazis mutiert wären, immerhin muss man sehen, dass in Mannheim Multikulti all die Jahre vergleichsweise reibungslos geklappt hat. Nicht dass es gar keine Probleme und Parallelgesellschaften gegeben hätte, aber im Großen und Ganzen galt doch immer Leben und Leben lassen.

Eine sehr lesenswerte Wahlananalyse aus Mannheim liefert übrigens Minh Schredle, der Volontär vom Rheinneckarblog. Die AfD erzielte "vor allem dort starke Wahlergebnisse, wo wenig Wohlstand auf Abstiegsängste trifft: Sandhofen, Schönau, Waldhof, Rheinau und Vogelstang". Anlass zur Kritik hätten aber alle Parteien geboten. "Vielleicht sehen sie das Erdbeben vom vergangenen Sonntag als Anlass, sich berechtigte Kritik zu Herzen zu nehmen. Wenn es aber weitergeht wie heute, graut es mir vor der Demokratie von morgen." Das kann ich nur so unterschreiben.

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Keine Sorge
...ohne Flüchtlingskrise sind die schnell wieder weg vom Fenster. Zumal die AfD weder sympathisches Führungspersonal noch ein umfassendes Programm hat. Ich hoffe und glaube, dass es denen wie den Piraten gehen wird. Erschreckend aber auch, dass die FDP wieder gewählt wird...

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Auch wenn ich die FDP jetzt nicht so sehr vermisst habe, finde ich es nicht "erschreckend", dass diese Partei gewählt wird. Sie bedient halt andere Interessen als meine, aber das delegitimiert sie in meinen Augen nicht zwingend. Wenn sie den Anspruch "liberal" auch noch anders verstehen würde als nur nach Steuererleichterungen für Besserverdienende zu rufen, hätte sie mal meine politische Heimat werden können.

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Wenn man es einmal ausformulieren würde (besser, als ich es kann), worauf ganz normale Leute hoffen, wenn sie vermehrt FDP wählen, dann hat man die Antwort. Sie wollen die Extreme nicht. Nicht die Linksbizarren auf der Regierungsbank und den "Oppositions"bänken im Bundestag, und nicht die Rechtsbizarren, die daraus Nektar saugen.

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Hm, das ist nicht grundsätzlich falsch, aber ich denke nicht, dass "möglichst nah am Nullpunkt der Rechts-Links-Skala als Positionierungsmerkmal für eine FDP allzuviel viel Sinn macht, wenn zum einen auch die einstigen Volksparteien CDU und SPD und selbst ehemalige Rebellen wie die Grünen sich um die politische Mitte herum gruppieren und zum anderen in Zeiten von Querfront so manches traditionelle Unterscheidungsmerkmal von rechts und links zunehmend verwischt. Man müsste da schon genauer herausarbeiten, wofür man steht und welche Freiheit(en) man meint. Die FDP hat in meinen Augen total versagt, wenn es darum ging, sich wirklich umfassend und auch grundsätzlich gegen die Erosion von Bürgerrechten und das Anwachsen des staatlichen Überwachungsapparates zu stellen. Man kann sich natürlich auch stattdessen als Besserverdienerpartei positionieren, aber wie man sieht, ist das nicht so eine gigantische Marktlücke.

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Sicher, die FDP hat beim Bewahren von Bürgerrechten versagt wie alle anderen, vielleicht mit ausnahme eines Teils der PDS. Wo man der FDP in dem Punkt mehr zugetraut hätte. Übrigens ist Westerwelle heute gestorben. Im Augenblick hat die FDP den Vorteil, dass sie am momentanen Versagen der Bundespolitik keinen Anteil hat. Das qualifiziert ungemein.

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Ja, da ist was dran. Man muss auch froh sein, dass die Freien Demokraten nicht der Versuchung erlegen sind, in ihrer verzweifelten Talfahrt auf die Rezepte der FPÖ zu setzen. Den einen oder anderen vereinzelten Vorstoß in die Richtung hatte es ja gegeben, aber eine grundlegende Kehrtwende in diese Richtung ist ausgeblieben.

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Ich mag die AfD auch überhaupt nicht, aber alle AfD Wähler und Kandidaten gleich als Nazis zu beschreiben, passt nicht ganz. Es ist doch viel komplizierter.
Und wenn 55% AfD wählen sollten, ist das auch Demokratie.
Hoffen wir mal, daß sich keine Trotzreaktion einstellt bei den Wählern und sie bei der nächsten Wahl nicht mehr AfD wählen.

Schön, daß die FDP wieder wächst!

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Bei 55 Prozent AfD hätten wir die längste Zeit Demokratie gehabt, fürchte ich. Aber deswegen muss man nicht hier und heute permanent den Panik-Button drücken, soweit d'accord.

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Ich habe da großes Vertrauen in unser Grundgesetz und das BVerfG, daß auch bei einer AfD Alleinregierung unsere Demokratie nicht unterginge.
Und gerade die Erfolge der AfD bei den Wahlen zeigen doch, daß auch die Merkelregierung durch demokratische Wahlen einen schön Schlag abbekommen hat!
Auch In Bayern haben linke Hanseln das Ende der Demokratie heraufbeschworen, als Edi eine Zweidrittelmehrheit bekam.
Und bei den nächsten Wahlen war die absolute Mehrheit futsch!

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Mag sein, dass eine absolute AfD-Mehrheit das demokratische Grundgerüst formal halbwegs unangetastet ließe. Mir wäre aber bedeutend liebre, wenn man es nicht drauf ankommen ließe.

Putin, der lupenreine Demokrat, ist auch gewählt...

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Erdogan ja auch!

Aber damit keine Missverständnisse aufkommen:
Vor einer reinen AfD Regierung würde mir mindestens so grausen, wie vor einer grünen Regierung.

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Schwer zu sagen. Mir erschiene eine grüne Regierung eher als das kleinere Übel, aber wer weiß, vielleicht hätte ich als weißer männlicher Hetero mit deutschem Pass darunter mehr zu leiden als ich mir vorstellen kann. Schweinefleischverbot träfe mich schon hart, ehrlich gesagt. ;-)

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...und in lila Latzhosen möchte ich mich auch nicht zwängen lassen, nur um der Reproduktion von fragwürdigen Männlichkeitsnormen Einhalt zu gebieten. ;-)

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die afd is sehr nützlich aber absolut nich zitterwölfisch
die feinde der merkelin und putins sind meine freunde

bis zu dem zeitpunkt wo sie zitterwölfe eliminieren wollen

risiko is imma und schwund auch
zitterwölfe überleben jede geschichte
auch die afd

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In Sachen Putin-Feindschaft wäre ich mir bei der AfD nicht so sicher, ich schätze, da ist der Anteil der Sympathisanten deutlich höher als auf der linken Seite des politischen Spektrums.

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Aus der Bahn betrachtet war der Abschnitt Mannheim - Frankfurt sicher der Unangenehmste. Klar, daß die Angst vor dem Sog ankommt. Anwidern könnte mich die Ignoranz-Taktik der herkömmlichen Zentrumsparteien (sind wie damals 4).
Und dabei gibt es nicht einmal eine tatsächliche Krise, nur eine verkündete.

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Sicher führt die Riedbahnstrecke nicht gerade durch den schönsten Teil der Stadt, aber das haben Bahnlinien ja vielerorts so an sich, dass sie nicht die Schokoladenseiten zeigen. Selbst das romantische Heidelberg präsentiert sich dem Bahnfahrer von Westen her zunächst recht trist.

Ist halt auch immer eine Frage des Vergleichsmaßstabs. Verglichen mit einer Boomtown und Landeshauptstadt wie Düsseldorf kackt Mannheim natürlich elend ab, aber verglichen mit sagenwirmal Duisburg steht die Quadratestadt noch ziemlich gut da. Und man man kann das Wahlergebnis durchaus so lesen, dass die Leute Angst vor Duisburger Verhältnissen haben.

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Die AfD ist mit Putin dicke Tinte. Im Dezember 2015 sprachen Funktionäre der AfD mit Oleg Krasnitzky, dem zweiten Mann der russischen Botschaft. Angeblich ging es in dem Gespräch mit Christian Lüth (Pressesprecher) und Georg Pazderski (Bundesvorstand) vor allem um "Außenpolitik". Alexander Gauland war 2014 schon zu einer Unterredung dort. Er reiste auch mit einigen anderen AfD-Funktionären nach Petersburg, eingeladen hatte die Stiftung des Oligarchen Konstantin Malofejew. Dort diskutierte Gauland unter anderem mit einem führenden Vertreter von Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" und Andrej Klimkow, Vizechef des Auswärtiges Ausschusses der Duma. Zur geplanten AfD-Konferenz im Sommer wollen die auch den russischen Botschafter Wladimir Michailowitsch Grinin einladen. Es soll dann wieder um Außenpolitik gehen.

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Dachte ich mir, beziehungsweise hatte ich das noch im Hinterkopf, dass einige AfDler dem lupenreinen Demokraten ihre Aufwartung machten.

"Außenpolitik" - das ist natürlich ein weites Feld...

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