Donnerstag, 6. März 2014
Unmaßgebliche Betrachtungen zur Lage in der Ukraine
In den vergangenen Tagen habe ich mich öfters gefragt, wie mein Vater die Ereignisse in der Ukraine bewerten würde, wäre er noch am Leben. Die Unabhängigkeit seines Heimatlands nach dem Zerfall der Sowjetunion hat ihn soweit ich das mitbekommen habe nicht übermäßig elektrisiert. Er hatte nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs auch nie Anstalten gemacht, da mal hinzufahren. Es war, als hätte er das Thema komplett abgehakt seit jenem Tag, als die Deutschen in seinem Dorf junge Männer als Fremdarbeiter rekrutierten.

Meine Mutter erzählte irgendwann einmal, eigentlich habe er vorgehabt, sich zur Waffen-SS zu melden, da gab es eine ganze Division von ukrainischen Freiwilligen. Aber dafür fehlten ihm wohl ein paar Zentimeter Körpergröße, und so musste er stattdessen fern der Heimat in der Landwirtschaft ackern. Soweit wir wissen, sind er und sein Cousin aber freiwillig gegangen. Und wie man dann zufällig bei der Bloggerei erfährt, wurden Fremdarbeiter aus der gleichen Ecke mit dem gleichen Familiennamen auch andernorts gesichtet.

Wie auch immer. Völlig ausschließen könnte ich es jedenfalls nicht, dass mein Vater als glühender Antikommunist mit der Swoboda-Partei oder anderen Gruppierungen dieses Spektrums sympathisiert hätte. Ich selber tue mich ehrlich gesagt auch schwer, bei all der dröhnenden Propaganda von allen möglichen Seiten zu einer stringenten Beurteilung der Vorgänge zu kommen. Wie der geschätzte Kommentator don ferrando an anderer Stelle anmerkt: (...) Aber in weiten Teilen wird der Stab über die ganze Opposition gebrochen: alles Nazis. Das ist eben genauso falsch wie die Jubelchöre: friedliebende Demokraten führen eine freie Ukraine in die Gemeinschaft der EU! Wie gesagt. Nicht schwarz oder weiß.

Und damit gebe ich zurück ins Funkhaus.

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Gewisse Ansprüche Russlands auf die Krim kann man durchaus anerkennen (die Krimtataren sind da sicherlich anderer Meinung), andererseits könnte man aber auch sagen, dass das jetzt 60 Jahre her ist, seit die Krim der Ukraine (von einem Diktator!) geschenkt wurde, und sonst würden wir irgendwann wieder alle im ostafrikanischen Grabenbruch stehen, wenn wir alle unsere jeweiligen ehemaligen Heimaten zurückfordern. Ob man jetzt die Rückkehr der Krim zu Russland für rechtmäßig hält oder nicht, zumindest, wie Putin sein Militär vorgehen lässt, ist völkerrechtlich nicht ganz astrein (ich sag nur: Truppen ohne Hoheitsabzeichen).

Ansonsten muss man sich nur mal an die orangene Revolution von vor paar Jahren erinnern, wo sich auch alle gefreut haben, dass die Ukraine über Nacht eine Musterdemokratie geworden ist.

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Klar ist das alles andere als astrein, aber der Westen (um es mal so pauschal zu sagen) hat mit seinem Engagement im Vorfeld des Umsturzes ja auch nicht zu knapp an der Eskalationsschraube gedreht. Die Frage ist jetzt, wie weit will man es mit der Prinzipienreiterei unter Berufung auf das Völkerrecht treiben? Die Russen haben wegen Grenada, Panama und Irak auch keinen Weltkrieg angezettelt.

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Klar, die ganzen Interventionen, ob mit Worten, oder Militär, macht keiner aus reiner Menschenliebe. Der einzige Unterschied zu ner Intervention in, sagen wir, einem hinreichend unbekannten afrikanischen Land, ist nur, dass die Ukraine nah genug an der EU ist, dass man als involvierter EU-Politiker ein bisschen mehr aufpassen muss, um nicht von den hiesigen Medien eins auf den Deckel zu kriegen. (Für Deutschland kommt natürlich noch der Klitschko-Faktor dazu - "hey, den kennen wir als Boxer, der ist nett".) Und ich glaube nicht, dass irgendein Politiker nen Krieg anzetteln will. Für die EU isses zu nah an der EU und für Putin isses genauso zu nah an Moskau dran (während z.B. der Kaukasus mental wesentlich weiter weg ist von Moskau).

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In den hiesigen Medien wird ja überwiegend der Eindruck erweckt, als wäre das selbstlose Bemühen unserer Politiker (und des von ihnen gesponserten Dr. Eisenfaust) der Heilsbringer schlechthin für alle Mühseligen und Beladenen da drüben.

Nun muss man dem geschassten Oligarchenknecht Janukowitsch wirklich nicht hinterherheulen, aber Fakt ist, dass unserer westlichen Wertegemeinschaft das Projekt EU-Asoziierung der Ukraine ein wenig außer Kontrolle geraten ist. Nennenswert mehr als Glasperlen hatte das vorgeschlagene Abkommen bei Licht besehen aber gar nicht im Angebot. Und nachdem der Kremlchef seinen Einsatz um einige Zillionen Rubel sowie diverse Divisionen und Batallione erhöht hat, wird es auf die eine oder andere Art für den Westen sehr viel teurer werden als gedacht, den neuen eisernen Vorhang der EU-Außengrenze weiter ostwärts zu verschieben.

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Die Krimtataren sind da definitiv anderer Meinung, war im Tagesspiegel zu lesen. Die wurden von einem Diktator - Stalin - verschleppt und durften jahrzehntelang nicht auf die Krim zurückkehren, auch nach ihrer Rehabiltierung 1967 noch lange nicht. Und jetzt raten Sie alle 'mal, wem die Häuser und das Land mal gehörte, in denen und auf dem viele der gezielt angesiedelten Russen wohnen. Es war übrigens Nikita Chruschtoschow - ein Ukrainer - der 1954 die Krim der ukrainischen Sowjetrepublik angliederte. Damals jährte sich der Vertrag von Perejaslaw zum 300. Mal und es wurde zudem irgendein großer und wohl auch teurer Schiffahrtskanal geplant.

Wie in allen post-sowjetischen und den meisten post-sozialistischen Gesellschaften gibt es auch in der Ukraine einen starken Nationalismus - und der ist nie ein guter Ratgeber. Das ist in Russland aber nicht anders. Die Partei Jedinaja Rossija und die Jugendorganisation Naschi sind ebenfalls nationalistisch und antiliberal.

Der Sieg der "orangenen Revolution" ist von den Nachfolgeregierungen verspielt worden. Und Russisch jetzt nicht mehr als Amtssprache zu akzeptieren, ist einfach bescheuert. Gescheiter wäre es gewesen, für alle Kinder das Erlernen der ukrainischen Sprache verpflichtend zu machen und die Vorteile der Zweisprachigkeit zu nutzen - auch politisch, in einer Brückenfunktion.

Es ging auf dem Maidan nicht um die EU (die der Ukraine eh nix anzubieten und ohnehin genug mit sich selbst zu tun hat, dafür aber im Hinblick auf die Ukraine ebenfalls eine Menge Fehler machte), sondern auch um soziale Belange. Die EU-Fahne war nur ein Symbol für die Hoffnung auf etwas Besseres. Ich möchte daran erinnern, dass es seit einiger Zeit auch in der östlichen Ukraine Anti-Janukowitsch-Demos gegeben hat. Die Leute haben es einfach satt, dauernd von Kleptokraten regiert zu werden. Denen stinkt die grassierende Korruption, sie wollen nicht mehr monatelang auf ihre Löhne warten und möchten ein Gesundheitssystem, bei dem man nicht erst Geld rüberschieben muss, um halbwegs vernünftig behandelt zu werden.

Dass gerade die osteuropäischen EU-Staaten härtere Sanktionen fordern, ist kein Zufall. Wie hoch ist nochmals der Anteil der Russen an der Bevölkerung in Lettland? 26 Prozent. Und Lettisch ist die alleinige Amtssprache - klar, dass die Integration der Russen ein innenpolitisches Problem ist. Da hat Lettland aber Glück, dass es in der Nato ist, vielleicht kämen sonst auch irgendwelche Truppen ohne Hoheitsabzeichen. Man darf gespannt sein, ob da auch noch etwas in Moldawien wegen Transnistrien passiert. Und erinnert sich noch jemand an den Konflikt in/um Ossetien?

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Dringende Leseempfehlung
für ein Fundstück vom Ziwo aus der NZZ.

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Schönes Fundstück, das zeigt, wie wenig nationale Besonderheiten doch eine Rolle spielen. Ein bisschen Wohlstand, ein bisschen Freiheit, die Abwesenheit von Krieg, mehr wollen die Leute doch gar nicht. Weshalb sollten sie für irgendwelche Nationalismen (die sowieso immer weit weg regierenden Herren in die Hände spielen) dieses bisschen Glück opfern?
Interessant in diesem Zusammenhang, dass offenbar Ihr Vater dort geblieben ist, wo es ihm besser ging, Zwangsarbeit hin oder her. Richtig so.
Selbst bei mir, dem "Biodeutschen", lösen zwar landschaftliche oder Dialekteigenheiten aus dem anhaltinisch-thüringischen Raum, wo meine Vorfahren herstammen, durchaus sentimentale Reflexe aus - leben möcht ich dort aber nicht - lieber hier in Norddeutschland, wo's mir gut geht ...

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Hier noch ein Kommentar des polnischen Autors Adam Krzeminski zur Ukraine.

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Nein, nicht alles Nazis. Aber Nazis in der Regierung und die anderen haben keine Scheu, sich mit ihnen Hand in Hand in Siegerpose zu präsentieren.

Vorstellung: Die CDU koaliert mit der NPD, welche fortan mehrere Minister stellt. Da wäre hier was los, in TV, Zeitungen, Blogs.

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D'accord
Aber: Wenn ausgerechnet Putin die Faschokeule auspackt, sollte er so ein kleines bisschen Vorsicht walten lassen. Das was er da grade mit der Krim macht, das erinnert doch stark an die Tschechoslowakei 1938. Oder mindestens den "Anschluss" Österreichs.

@mark: Wo wir beide vor nicht allzu langer Zeit auch mal im Baltikum waren: auch dort gibt es große russische Minderheiten. Vor allem in Estland und Lettland. Wenn die morgen auf die Idee kommen, Väterchen Putin um Hilfe zu bitten....

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Ja, schon wegen des Kriegerdenkmals in Tallinn gab es vor ein paar Jahren ziemlich Knatsch mit Moskau, wie Sie wissen. Und gestern las ich bei der FAZ die Überschrift, Außenminister Steinmeier versuche die baltischen Staaten zu beruhigen. Dabei kann ich deren Sorgen sehr gut verstehen. Aber so weit, die Russlanddeutschen zum Vorwand einer Intervention hier bei uns zu machen, wird er wohl nicht gehen, schätze ich.

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Nur mal nebenbei
Wenn sich der Putin ja wirklich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker beruft.....dann lassen wir doch einfach mal die Tschetschenen abstimmen oder die Dagestaner. Oder auch die Tataren. :-)

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