Montag, 4. November 2013
Besuch der alten Dame in Schwarz
Wie sich das mal wieder zusammenfügt: Gestern habe ich meine Mutter noch in der psychiatrischen Klinik besucht, heute stolpere ich zufällig über dieses Interview mit Heinz Strunk, in dem er darlegt, wie sehr ihn die Depression seiner Mutter geprägt und letztlich zu einem Humoristen gemacht habe. Es heißt, Humor ist eine Antwort auf Melancholie, um eben diese zu überwinden, sagt Strunk, und wer würde ihm da widersprechen wollen. Im Umkehrschluss müsste ich für mich dann aber auch bilanzieren: Um mich zu einem wirklich großen Humoristen zu machen, war meine Mutter früher dann wohl einfach nicht depressiv genug. Na, danke, Mama. ;-)

Nun ja, schwamm drüber. Nachdem in der gleichen Einrichtung übrigens auch schon meine frühere Lebensgefährtin, mein ehemaliger Seniorpartner und diverse andere Freunde und Bekannte wegen Depressionen stationär behandelt wurden, war es für mich eh nur eine Frage der Zeit, bis ich dort mal wieder als Besucher durch die Pforte gehe. Und auch wenn es schon über zehn Jahre her ist, dass ich das letzte Mal da war, ist doch alles noch erschreckend vertraut. So vertraut, dass ich mich fast frage, ob ich nicht selber auch schon mal als Patient da war und es nur erfolgreich verdrängt habe.

Der Analytiker C.G. Jung gab einst den Rat, den Besuch der alten Dame in Schwarz willkommen zu heißen und zu hören, was sie einem zu sagen habe. Ich bin recht guter Dinge, dass meine Mutter ein Ohr für die nicht unbedingt einfachen Botschaften der dunklen Dame Depression hat und es nicht auf eine Stoffwechselstörung schiebt, der man zwingend medikamentös abhelfen müsste. Ich hatte ehrlich gesagt ein wenig Sorge, dass man mit den pharmazeutischen Helferlein in der Einrichtung recht schnell zur Hand ist, aber bislang scheint man keine Notwendigkeit gesehen haben, meiner Mutter Antidepressiva zu verabreichen. Für den Moment ist es gut, dass von dem heimischen Schlamassel, das sie zunehmend überfordert, mal ein bisschen Abstand gewinnt, und vielleicht hat es diese Krise gebraucht, um ihr zu signalisieren, dass jetzt wirklich Weichenstellungen für ihre weitere Zukunft erfolgen müssen.

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(...) den Besuch der alten Dame in Schwarz willkommen zu heißen und zu hören, was sie einem zu sagen habe. Da hat er nicht ganz Unrecht, der Herr Jung. Das ist allerdings nicht ganz einfach, wenn einem vermittelt wird, dass die Depression etwas sei, das man zu bekämpfen und zu überwinden habe. Die alte Dame in Schwarz sagt einem halt nicht mehr viel, wenn man ihr den Schädel einschlägt, und man bringt nicht in Erfahrung, worum es ging.

Insofern ist der Verzicht auf Antidepressiva bei Ihrer Mutter ein guter Anfang. Ich hoffe, dass es gut weiter geht und Erkenntnisse folgen.

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Vom Grundtenor her dürfte die Message schon einigermaßen klar sein, meine Mutter fühlt sich überfordert davon, die richtige Entscheidung über ihr weiteres Leben (sie ist 86) zu treffen. Sie merkt, es geht nicht mehr so wie bisher, aber sie tut sich schwer damit, entsprechende Konsequenzen zu ziehen, und ihr Bemühen, alles perfekt machen zu wollen, lähmt sie bisweilen so, dass Chaos programmiert ist. Verantwortung wirklich abzugeben fällt ihr verständlicherweise auch schwer, und da haben wir von den Altlasten, die ihre Eltern ihr mitgegeben haben, noch gar nicht gesprochen. Das also ist grob gesprochen die Gesamtgemengelage, und nachdem das nach menschlichem Ermessen mehr Baustellen sind als sie in ihrer verbleibenden Erdenzeit noch komplett abschließen können wird, muss man halt jetzt paar Dinge priorisieren und an andere einen Haken dranmachen. Sagt sich alles leicht, ich weiß...

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Antidepressiva gibt es ja in allen möglichen Varianten und Dosierungen. Bei einer "richtigen" Depression braucht der Patient Antidepressiva so notwendig, wie ein gebrochenes Bein den Gips. In der richtigen Dosierung und mit planvoller Dosierungsreduzierung ist das kein Teufelszeug.
Ich besuche ja ca. jeden 2. Tag meinen ähnlich alten Vater im Pflegeheim, der mittlerweile alzheimererkrankt Pflegestufe 3 hat und der vor 5 Jahren noch putzmunter war. Man muss da aufpassen, dass einen das nicht zu sehr mitnimmt (von der Pflege der Mutter, Schwiegermutter und dem Großziehen der Blagen mal ganz abgesehen...).

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Ist völlig richtig,
ich spreche den Medikamenten ja auch keineswegs ihren Segen ab. Bei meiner Ex-Gefährtin, die ihre Depression fünf Jahre lang unbehandelt pflegte, war das in der Klinik verabreichte Präparat ein echter Glücksgriff, der sensationell anschlug.

Aber meine Mutter ist ein etwas anders gelagerter Fall, die steckte nicht in diesem typischen Stupor fest. Ich denke, auf der geronto-psychiatrischen Station weiß man das auch entsprechend einzuordnen, inwieweit da auch altersbedingte Faktoren mit hineinspielen.

Entfernungsbedingt ist es so, dass meine beiden älteren Brüder da näher dran und von daher auch mehr in der Verantwortung sind, was die Verwaltung des Hauses, die Suche nach einer künftigen Unterkunft und so Sachen angeht. Da steckt natürlich auch mehr Potenzial für Missverständnisse und Konflikte drin, und da sind meine diplomatischen und ausgleichenden Fähigkeiten gefragt, um immer wieder klarzustellen, dass wir alle nur das beste füreinander wollen (auch wenn es nicht immer so rüberkommt).

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Was die Altlasten angeht, so könnte dabei auch die Kindheit und Jugend in Nazizeit, Krieg und unmittelbare Nachkriegszeit eine Rolle spielen. Viele aus der Generation der Kriegskinder hat das seelisch viel stärker belastet, als sie es ahnen oder wahrhaben wollen. Es gibt inzwischen einige Literatur dazu, ich habe darin etliche Verhaltensweisen von meinen Eltern wiedererkannt.

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Das alles ist mit Sicherheit nicht folgenlos geblieben. Bei meiner Schwiegermutter, die als kleines Kind auf der Flucht mitgeschleppt wurde und fast nicht überlebt hätte, sicher noch mal anders als bei meiner Mutter, die in dem Dorf in Badisch-Sibirien weniger von unmittelbaren Kriegshandlungen mitbekommen hat als die Stadtbewohner, auf die es ständig Bomben regnete.

Ansonsten hatte die Familie auch noch mit Altlasten aus dem ersten Weltkrieg zu kämpfen, mein Großvater hatte von der Westfront ein kaputtes Bein mitgebracht, und nur weil er Invalide war und seine Kinder auf dem Hof rackern mussten, konnte meine Oma meine Mutter und ihre Geschwister aus BDM und HJ raushalten.

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Einen guten Rat habe ich als unbedarfter Laie leider nicht. Wünsche Ihnen aber alles Gute!

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Vielen lieben Dank!
So eine Mega-Katastrophe ist das ja nicht - zumal wenn die Einsicht da ist, dass professionelle Hilfe benötigt wird, dann ist schon mal einiges gewonnen. Ich denke, so ein bisschen ist meiner Mutter zuhause auch die Decke auf den Kopf gefallen.

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ich hab heinz strunk letztes wochenende auf der fettes-brot-release-party getroffen. es wirkte, als habe sein autosuggestionsprogramm früchte getragen.
aber das ist wohl nicht die regel. daher viel glück an dieser stelle.

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Gebe ich gern weiter. Tatsächlich scheint es nicht unüblich zu sein, dass Betroffene damit mehr als einmal im Leben zu tun haben, aber unausweichlich sind Rückfälle nicht.

Ansonsten wäre es freilich auch nicht völlig undenkbar, dass Herr Strunk sich für dieses Event mächtig zusammengerissen hat und anschließend im Hotel wieder das heulende Elend kriegte. ;-)

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kann ja alles sein, aber warum sollte er ins hotel?
der wohnt in dieser stadt!;-)

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Was Sie alles wissen! Aber manchem fällt ja vor allem allein zuhause die Decke auf den Kopf, da kann man über eine Spontanübernachtung im Hotel schon mal nachdenken. ;-)

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Ach, Herr Vert, Sie waren das. Die Flora rocken.

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nur den grünen jäger. man kann ja nicht überall sein.
(3 is ein partymarathon.)

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Wenn ich jetzt sage „ich kenne das“, dann ist das keine emphatische Vaseline, sondern tastsächliche Erfahrung.

Meine Mutter liegt gerade im Krankenhaus: Nierenversagen, Darmkrebs, und ein halbes Dutzend weiterer schlechter Nachrichten. Und das ist nur der körperliche Teil. Was immer sie psychich hat (bzw. wie immer man das nennt), ich habe das anscheinend auch. Und das Willkommen zu heißen fällt mir ausserordentlich schwer.

Man sagt, depressive Menschen sind nachweislich kreativer als die anderen. Nunja, ich versuche den Trost willkommen zu heißen (ist doch ein Anfang oder?), und meine Synthesizer den Beweis antreten zu lassen.

Dir alles Gute. Deiner Familie ebenfalls. Und Deiner Mutter mal sowiso …

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auch ich habe mir bezüglich der Depression mal meine eigenen Gedanken gemacht.... das hier jetzt haarklein abzutippen sprengt den Rahmen eines Kommentars, aber vielleicht hast du Lust auf meinem Block zu schauen "Depression- Freund oder Feind", zumindest hat es einiges von der Begrüßung der alten Dame in schwarz, obwohl ich bis hierhin noch nie von der gehört habe, also von der Beschreibung des Hr. Jungs über die Depression, mir hats sehr geholfen, die Depression nicht als Feind zu sehen, auch, wenn sie dennoch ungelegen kommt und "nervt";

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