Samstag, 4. September 2010
Heldenkurbeln, Körbchen und offene Wäscheleinen *
Auch auf die Gefahr hin, die weniger an Laien-Radsport interessierten Leser allmählich zu langweilen: Ich habe endlich meinen langgehegten Plan in die Tat umgesetzt, Sir Walter Hörner aufzusetzen. Die Wicklung des Lenkerbands und die offene Verlegung der "Wäscheleinen" ließe sich zwar noch verbessern. Aber wenn es darum geht, sein Rad gut im Griff zu haben und jederzeit bremsbereit zu sein, ist so ein Hornlenker dem klassischen Rennlenker um Längen überlegen. Das ist auch der Grund, warum sich diese Sorte Lenker bei Fahrrad-Kurieren (und irgendwelchen Singlespeed- und Fixie-Freaks, die ihnen nacheifern) großer Beliebtheit erfreut. Der Nachteil gegenüber dem Rennlenker: die geringere Auswahl an unterschiedlichen Griffpositionen, auf längeren Strecken können Unterarme und Hände schneller ermüden oder gar einschlafen. Aber auf städtischem Parcours fällt das nicht groß ins Gewicht, da überwiegen ganz klar die Handlingvorteile.

Das wissen wie gesagt immer mehr Fahrer zu schätzen, entsprechend brauchte ich viel Geduld und mehrere Anläufe, um so ein rares Stück aus der Ebucht zu angeln. Die 30 Euro und ein paar Cent waren auch nicht wirklich ein Schnäppchen, aber immerhin prangten noch Aero-Lenker (so Ellbogen-Auflagen für Fahrer in Triathlon-Haltung) und Bremsgriffe von Campagnolo dran. Mit denen wusste ich bisher nicht so recht was anzufangen, schwankte noch zwischen selber verbauen anstelle der jetzigen Weinmann-Griffe oder zurückwerfen in die Ebucht. Aber nun ist aus unerwarteter Richtung Interesse daran aufgeflammt. Und wenn die Post schnell genug ausliefert, dann könnte es gut sein, dass dieses Paar Bremsgriffe eine interessante Reise in sein Herstellungsland antritt, wo im Oktober ein ganz besonderes Radsport-Event ansteht. Wenn ich schon selber nicht dort sein kann, dann wäre es mir doch eine große Ehre, wenn wenigstens meine kleine Materialspende mit am Start wäre.

* Heldenkurbel = zweifaches Kettenblatt mit 52/42 Zähnen
Körbchen: Pedale mit Haken und Schlaufen
offene Wäscheleine: offen verlegte Bremszüge

... link (12 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 1. September 2010
Unfreiwillige vor!
Es wird der werten Leserschaft nicht entgangen sein, dass es hier in der Dunkelkammer die letzten Tage relativ ruhig zuging. Und ich weiß nicht so recht, wie ich das erklären soll. Es ist nämlich nicht eine üblichen temporären Blockaden oder Unlustphasen. Es ist, nun ja, etwas Grundsätzlicheres. Vielleicht habe ich es in den falschen Hals bekommen, was ich dieser Tage vom Ende des freiwilligen Internets gelesen habe. Denn wenn das stimmt, dass das Internet ab jetzt nicht mehr freiwillig ist, dann hieße das ja in letzter Konsequenz, dass wir uns hier nur noch unter Zwang digital selbstdarstellen, ohne echte Alternative einer rein analogen Existenz. Und da kommt bei mir unweigerlich so etwas auf wie Trotz und Verweigerungshaltung. Die kaum verhüllte Drohung der Digitalista steht im Raum: Ihr Kinderlein, kommet all ins Internet und zeiget Euch - oder aber andere werden Euch ins Licht der digitalen Öffentlichkeit zerren, und dann seht Ihr vielleicht nicht ganz so toll aus wie wenn Ihr Eure Selbstrepräsentation proaktiv in die eigenen Hände nehmt.

Noch zielen "Aktivisten" der Digitale Armee Fraktion angeblich nur auf verpixelte Häuserfassaden von Google-Streetview-Gegnern. Aber wer garantiert denn dauerhaft, dass nicht die Namen und Gesichter der Hausbesitzer in einer weiteren Eskalationsstufe in eine Online-Prangerdatei gestellt werden? Oder jeder, der keine Lust hat auf die schöne, neue Onlinewelt? Nach dem Motto: Und willst Du nicht mein Facebook-Freund sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein. Die Erfahrung der jüngeren Geschichte lehrt jedenfalls, dass sich die Aktivisten, die wenig später die RAF gründeten, nicht lange damit zufrieden gaben, Kaufhäuser abzufackeln. Es kamen, wie man hinlänglich weiß, durchaus Personen zu Schaden. Und die unschönen Folgen der massiven staatlichen Reaktion (ich sage nur: Radikalenerlass, Rasterfahndung etc.) für unser Gemeinwesen waren immens.

Deswegen ist es höchste Zeit, Klartext zu reden und die vermeintlichen Vorturner der Daseins-Digitalität in ihre Schranken zu weisen. In diesem Konflikt stehen sich nämlich nicht analoge (im Sinne von: rückwärtsgewandten) Lebenswelten und das Internet als solches gegenüber, wie uns die Lobos, Sixtusse und Seemänner dieser Welt einreden wollen. Der unverkennbar totalitäre Unterton, die sportpalastklatscherhafte Begeisterung über das totale Internet stößt auch Zeitgenossen übel auf, die sich durchaus komfortabel und souverän auf dem TCP/IP-Parket bewegen - wie zum Beispiel Benedikt Köhler: Vielleicht das erste Mal in meinen 23 Onlinejahren spüre ich tatsächlich etwas wie Fremdheit, fühle mich tatsächlich wie ein digitaler Einwanderer. Oder nehmen wir meine Frau. Die twittert, posteroust, foursquaret und picasat mit Begeisterung - und fragte sich nach der Lektüre des neuesten Seemansgarns trotzdem, ob der Verfasser noch alle Latten am Zaun hat. Aber gut, was will man erwarten von einem Zeitgenossen, der schon exoskelettierte Erektionen davon bekommt, dass gerade ein Mit-Twitteur in der U-Bahn vorbeifährt, während er selber noch an der Haltestelle steht.

Man muss geistig schon wirklich sehr weit im Hintern von Google stecken, um ernsthaft die Empfehlung zu geben, wenn Ihr ein Problem mit Streetview habt, dann bringt einfach Euren Vorgarten in Ordnung, stellt Blumenkästen auf die Fensterbank und alles wird gut. Oder auch nicht, wie dieses schöne Filmchen zeigt, das ich bei Holgi gefunden habe. Mir kommt in diesem Zusammenhang auch eine frühere Bloggerkollegin in den Sinn, die vor ein paar Monaten einen ziemlich radikalen Strich unter ihre digitale Existenz gezogen hat. Die digitale Dauerentblößung in Blogs, Single-Börsen und Social Networks ginge ihr zunehmend auf den Keks, das sei nicht mehr ihre Welt. Ich fand ihren Rückzug ins Analoge damals etwas überzogen, vielleicht sogar leicht hysterisch. Aber inzwischen verstehe ich diesen Schritt etwas besser. Es ist zumindest eine von mehreren Optionen, mit den Folgen des Kontrollverlustes zu leben.

... link (40 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 24. August 2010
Never mind the LOHAS...
...here's the MAMILs: middle-aged men in lycra.

Haha, das ist doch mal eine Lifestyle-Typologie-Schublade, in die auch yours truly ansatzweise hineinpasst. Also nicht, dass ich von so einem überkandidelten Vollcarbon-Hobel träume oder davon, mich demnächst den Mont Ventoux hochzuquälen. Ich würde es auch nicht unbedingt als Symptom einer mid life crisis sehen, dass ich Spaß am Rennradfahren entdeckt habe. Aber ansonsten erkenne ich mich da in manchem wieder, was der BBC-Autor Dominic Casciani beschreibt. Wie die erste Steigung uns zu einer keuchenden und schwitzenden Masse Mensch macht. Und doch verspürt der MAMIL häufig den Drang zu höheren Gefilden. Ja, selbst ein Flachlandtiroler wie ich ist gegen solche Anwandlungen nicht völlig immun. Hier in den Nochnichtniederlanden hält sich die Auswahl an markanten Erhebungen mit ordentlich asphaltierten Höhenmetern freilich in überschaubaren Grenzen. Und so nahm ich heute mittag wieder Vorlieb mit der Vollrather Höhe, auf die ich mich sogar gleich zweimal hinaufwuchtete (und auch auf die Neurather Höhe hinauf noch ein paar Höhenmeter gutmachte).



Geplant war das eigentlich etwas anders, aber meine projektierte Rundfahrt um das große Loch in der Landschaft haute realiter nicht so hin wie auf der Karte ausgeguckt. Die Kreisstraße zwischen Frimmersdorf und Bedburg ist für Fahrräder nicht erlaubt, und jenseits des Aussichtspunkts bei Jüchen ging es auch nicht so nah am Grubenrand entlang weiter wie Google Maps es versprochen hatte. Auf extremen Downhill Richtung Braunkohlenflöz und Baggerschaufeln hatte ich nicht so recht die Lust. Dann doch lieber noch ein paar begrünte Abraumhalden hinauf. Denn wie schreibt BBC-Mann Casciani doch so richtig: "Ohne die spirituelle Reise ins Gebirge bleibt das Leben eines MAMILs unvollendet."

... link (14 Kommentare)   ... comment