Montag, 28. Mai 2007
Der Fremde
Tolle Tage hier in der Kleinstadt: Schützenfest, mit Wimpeln geschmückte Straßen, selbst in "Pauls Pinte" schräg gegenüber ist das Kneipenfenster mit Kreppblumen gerahmt. Vor der Tür seit vorgestern Riesenumtrieb, Menschen in Sonntagskleidung, Uniformierte in allen erdenklichen Farbkombinationen. Ab und zu marschiert eine Musikkapelle vorbei mit schmissigem Tschingderassabumm.

Dem lokalen Anzeigenblättchen entnahm ich, dass das hiesige Schützenregiment mehr als 30 Kompanien umfasst. Und unwillkürlich frage ich mich, was eine so große Zahl Menschen in Schützenvereine treibt. Ist das nur Brauchtumspflege, oder erwarten die Leute hier den baldigen Einmarsch der Holländer, Russen oder Chinesen?

Man weiß es nicht, man steckt nicht drin. Zu den Nebenwirkungen solcher Festivitäten auf meine Person gehört es, dass sie das ohnehin schon vorhandene Grundgefühl einer gewissen Fremdheit noch massiv verstärken. Das war am vorigen Wohnort schon so, wo wir nur zwei Jahre wohnten. Und hier wiederholt sich die Geschichte in gewisser Weise.

Dabei wäre es ja so einfach, etwas zu ändern. Ich bräuchte nur abends mal rübergehen, mich an einen der Stehtische in "Pauls Pinte" zu stellen, eine Runde Alt zu ordern und zu sagen: "Ja, Hallo erstmal - ich weiß gar nicht, ob Sie's wußten: Ich bin der Herr Mark, und ich wohne da drüben am Eck." Dann würde wahrscheinlich einer sagen: "Ah, ja, Sie sind doch der mit dem süßen Hund und dem kleinen Töchterlein, Ihre hübsche Frau sieht man ja so selten, warum haben Sie sich denn nicht schon früher hier rein getraut, hee, Paul, bring dem Mann nochn Alt und nen Kurzen..." Undsoweiter, undsofort.

Tja, dann widerum denke ich, dass ein gewisses Maß an Fremdheit ja vielleicht doch nicht das schlechteste ist. Andererseits: So ganz ohne Sozialkontakte im Nahraum isses auf Dauer ja auch ein bisschen kühl. Hätten wir gleich nach dem Einzug vielleicht die Nachbarn mal einladen sollen, damit da ein bisschen mehr Herzlichkeit entsteht als nur der kurze Smalltalk, wenn man sich im Treppenhaus oder beim Abholen des Nachwuchses im Kindergarten über den Weg läuft? Schwer zu sagen, denn auf der anderen Seite kann mir Nähe und nachbarschaftliche Vertraulichkeit auch sehr schnell zu viel werden. Ist halt wie alles im Leben eine Frage der Dosis.

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Mittwoch, 23. Mai 2007
*klingelingeling*
Eigentlich hatte ich ja eher mit dem Kfz-Versicherungsfritzen gerechnet. Oder mit dem Rückruf von einem Radiomenschen, mit dem ich ein Telefoninterview vereinbart hatte. Und dann war es einer der Anrufe, die einem erst mal das Herz in die Hose sacken lassen: "Hallo, Herr Mark, hier ist Frau N. vom Kindergarten. Ihre Tochter ist eben hingefallen und blutet sehr stark. Wir waren nicht sicher, ob wir den Arzt rufen sollten, wenn Sie vielleicht vorbeikommen könnten, um sich selber ein Bild zu machen..."

Örks. Sowas treibt den Ruhepuls und die Atemfrequenz erst mal gnadenlos nach oben. Meine Frau, die grippal angeschlagen das Bett hütete, hielt es auch nicht länger in der Horizontalen. Und so kesselten wir in den Kindergarten. Um festzustellen, dass alles doch nicht sooo schlimm ist: Unterlippe ein bisschen aufgesprungen und geschwollen, Tränen bereits getrocknet. Puh, nochmal gut gegangen. Aber was für Schrecksekunden, mannmannmann.

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Montag, 21. Mai 2007
Kerbtier-Content
Wenn man wie wir in der Nähe eines Flughafens wohnt, gewöhnt man sich mit der Zeit an den Fluglärm. Eine ganz andere Sache ist es freilich, wenn morgens in der Früh außerplanmäßiger Flugverkehr innerhalb des Schlafzimmers stattfindet. Genausowenig wie ich etwaiges Jammern meiner Tochter aus dem Kinderzimmer nebenan ignorieren kann, kann ich dauerhaft ausblenden, wenn ein dicker Brummer von Stubenfliege immer wieder Stuka-artige Scheinattacken auf unser eheliches Nachtlager fliegt und mir in weniger als einem Meter Entfernung um die Ohren herumbrumselt.

Kurz bevor sich also heute morgen um kurz nach sechs meine Sinne einschalteten, um detailliertere Daten über die Bedrohung unseres Luftraums zu sammeln, kam mir spontan dieses Bild in den Sinn. Die Kenntnis dieses bemerkenswerten Bildes von Max Ernst mit dem vielsagenden Titel "Junger Mann, gereizt durch den Flug einer nichteuklidischen Fliege" verdanke ich übrigens einem früheren Kunstlehrer, einem seltsamen Kauz, der uns im Unterricht mit irgendwelchen abstrusen (oder wie man heute sagen würde: off-topischen) Geschichten rund um Grete Schickedanz und Hugo Mann verwirrte.

Und warum erzähle ich das jetzt alles? Ach ja, wegen der morgendlichen Assoziationskette, die der dicke Brummer in Gang gesetzt hatte: das Bild von Max Ernst, das in der Mannheimer Kunsthalle hängt. Das uns der Kunstlehrer mit seinen Geschichten von Hugo Mann, dem Gründer von Möbel Mann, im Unterricht nahebrachte. Dass Möbel Mann natürlich auch in Mannheim eine Filiale unterhält, bei der ich den Schreibtischstuhl erworben habe, auf dem ich sitze, während ich diesen Beitrag verfasse.

Und das alles erinnert mich daran, dass ich mich wie ein Mann dieser Bedrohung aus dem Luftraum stellen muss, wenn schon mein lautes Schnarchen keinen wirksamen Schutz gegen solche gehörlosen Mistviecher darstellt. Wenn Sie also demnächst im Postleitzahlbereich 4 ein lautsches *klatsch* vernehmen, dann wissen Sie Bescheid, dass dieser elende transparentgeflügelte Sechsbeiner sein verpfuschtes Laben ausgehaucht hat. Und wenn Sie nichts hören, dann gehen Sie mal davon aus, dass es mir gelungen sein wird, das Vieh unblutig hinauszuscheuchen. Denn eigentlich empfinde ich es fast schon als Niederlage, wenn ich den Sieg mit Mitteln der Gewalt erringen muss. Auf in den Kampf!

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