Montag, 11. August 2008
Fernseh- versus Freizeitsport
Mit Tibet, den mit Füßen getretenen Menschenrechten im Reich der Mitte und der ganzen Palette an politisch korrekten Erwägungen hätte ich ja die schönste Begründung dafür, das olympische Sportspektakel in China weiträumig zu ignorieren. Ehrlicherweise muss ich indes gestehen: Ein großes Opfer wäre das nicht. Es hat mich ganz unabhängig von den politischen Verhältnissen am Austragungsort schlechterdings noch nie interessiert, ob da jetzt einer seinen Faustkeil Speer ein paar Zentimeter weiter werfen kann als ein anderer.

Wobei: Wer immer strebend sich bemüht, vermöge seiner sportlichen Leistungen aufs Treppchen zu kommen und Edelmetall am Bande einzusacken, dem sei es unbenommen, sich dafür abzustrampeln und zu rackern. Aber warum ich dem Versuch große Bewunderung zollen sollte oder gar kostbare Lebenszeit darauf verschwenden sollte, mir das Treiben anzuschauen, weiß ich wirklich nicht.

Es gab am Wochenende auch besseres zu tun: Besuch bei den Schwiegereltern stand an. Und die Aktivitäten dort stehen ja meistens unter dem Motto im Wald und auf der Heide. Lief es am Freitag mit einer Kutschfahrt und anschließendem Spaziergang rund um Undeloh noch gemäßigt ab, ging es am Samstag dann richtig zur Sache: Schwiegervater lud mich zum Mountainbike-Ausritt in die Nordheide. Und für mich als mäßig trainierten Asphaltroller mit null MTB-Erfahrung war das schon eine Herausforderung.

Ich verließ mich auf die Ansage, wir würden unterwegs entscheiden, ob wir eher die 30- oder 50-Kilometer-Route wählen und ging das Tempo mit, das mein Schwiegervater vorlegte. Man muss dazusagen, er ist fit wie ein Turnschuh und absolviert regemäßig Senioren-Triathlon-Wettkämpfe, auch wenn ihn eine Schulterverletzung im Frühjahr daran hinderte, in diesem Sommer zur Höchstform aufzulaufen.

Wie auch immer, wir ackerten uns flott durch aufgeweichte Waldwege und Wanderstrecken durch zart blühende Heide, ich kam mit dem fremden Fahrrad immer besser zurecht, holte mir ein paar obligatorische Schlammspritzer und versuchte stets, am Hinterrad von Schwiegerpapi dran zu bleiben. Ich hatte mangels Kilometerzähler in der Prärie nicht so recht das Gefühl dafür, wieviel Wegstrecke wir schon zurückgelegt hatten. Mir kam es so vor, als hätten wir die 30-Kilometer-Marke schon längst überschritten, als die anstrengenden Passagen durch Sand und Matsch urplötzlich ihren Tribut forderten: Ich hatte das Gefühl, gar keine Kraft mehr in den Beinen zu haben, und wo normalerweise mein Magen sitzt, spürte ich nur ein schwarzes Loch. Den mitgebrachten Proviant (1 Banane) hatte ich bei einer der kleinen Pausen schon verfuttert. Und jetzt standen wir mitten in der Pampa, etliche Kilometer entfernt von der nächsten Ortschaft und der Aussicht, dem Blutzuckerspiegel etwas gutes tun zu können.

Aber half ja nichts, da musste ich durch. Mindestens fünf Kilometer bis zur nächsten Ansiedlung mit Eisdiele oder Supermarkt, etwa zehn Kilometer bis nach Hause. Unnötig zu erwähnen, dass sich diese Kilometer zogen wie Gummi. Doch irgendwann kam das gelb-blaue Edeka-Schild ins Sichtfeld. Durch den Supermarkt stakste ich dann steif wie ein Storch auf der Suche nach einem Frosch im Moor. Ich pickte mir eine Packung Granola-Kekse aus dem Regal und gieperte schon wie das Krümelmonster persönlich. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass es mir vorher je gelungen wäre, eine ganze Packung von diesen Keksen am Stück zu verschlingen. Aber da gelang mir das mühelos. Nicht, dass es dem weichen Gefühl in den Knien wirksam abgeholfen hätte, aber ohne das klaffende Loch im Magen konnte ich die verbleibenden Kilometer dann doch mit einer gewissen Restzuversicht in Angriff nehmen.

Kurz vor zuhause fragte ich dann meinen Schwiegervater, "jetzt sach doch mal, wieviele Kilometer haben wir denn da heute runter gespult?" - "Naja, so um die 45 werdens schon gewesen sein." Uff, dann muss ich mich meiner temporären Schwäche also nicht schämen. Denn das ist weit mehr, als ich dieses Jahr mit dem Rennrad am Stück absolviert habe. Und dass diese Schinderei auf ungewohntem Terrain keinen Muskelkater zurückließ, macht mich schon ein bisschen stolz. Und damit zurück in die Sendezentrale...

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