Mittwoch, 15. April 2009
Eine schrecklich nette Familie (2)
Und wieder zurück in der vertrauten Fremde, heimgekehrt aus einer ziemlich fremd gewordenen Heimat. Im Delta herrschte tagelang schönstes Wetter, das versöhnt mit vielem, aber nicht unbedingt mit dem ziemlich angespannten Binnenklima im Hause meiner Mutter. Gespielt wurde mal wieder das klassische Arschkarten-Maumau, und das Vorlegen von Siebenern hat meine Mutter auch mit über 80 noch ziemlich gut drauf.

Das Spiel geht so: Machen wir uns rar, wird es als Missachtung gewertet. Und kommen wir tatsächlich mal vorbei für mehr als einen Nachmittag, fallen wir zur Last. Natürlich hatten wir die Ansage "kommt doch mal wieder für ein paar Tage vorbei, damit ich auch was von meinem jüngsten Enkelkind habe" nicht als Buchungsbestätigung für das klassische Hotel-Mama-Paket verstanden. Aber obgleich wir uns mühten, möglichst wenig Umstände zu machen (wir bringen ja schon das eigene Bettzeug mit), wurde uns dann doch attestiert, wir wären sehr schwierige Gäste.

Es geht im Grunde ja völlig in Ordnung, wenn meine Mutter, die mit über 80 nicht mehr die jüngste ist und mit dem großen Haus viele Verpflichtungen an der Backe hat, kein opulentes und saisonal dekoriertes Osterfrühstück um halb zehn hinstellt, wenn sie selber schon um acht Uhr Kaffee getrunken hat. Wir hatten ohnehin erwogen, uns in der Stadt ein schönes Frühstücksbuffet zu suchen. Wenn das dann aber so hingedreht wird, wir seien ja nur zu faul, uns selber Frühstück zu machen, dann hört der Spaß wirklich auf. Schließlich kriegen wir diese Übung an mindestens 340 Tagen im Jahr mühelos selber hin.

Wenn ich mich bemühe, das Gute zu sehen in der Geschichte, dann ist das zweifellos die gereifte Erkenntnis, solche Veranstaltungen künftig weiträumig zu meiden. Auf die Eier gehen kann ich mir an Ostern auch alleine, wenn mir danach ist.

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Mütter sind rechtzeitig zu erziehen, sonst ist alles zu spät :-)

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Der Fehler lag eher darin,
sich zu früh auf Erziehungsfortschritten auszuruhen und Rückfall-Risiken nicht genügend einkalkuliert zu haben. ;-)

Also damit dieser Beitrag jetzt nicht völlig falsch verstanden wird: Meine Mutter ist schon eine tolle Frau, aber manchmal schafft sie es immer noch, bei mir die Sau vom Pflock zu lassen.

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Jaja, schon klar. Alle Mütter sind toll, und doch will man nach spätenstens 2 Tagen wieder nach Hause :-D

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Prägnanter
kann man es nicht auf den Punkt bringen.

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Ach was, Mütter sind eben so. Das kann man nicht ändern. Du wirst, wenn Du mal so alt bist, genauso sein. Es ist der Generationenvertrag der Niedertracht.

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Nun, mein Vater,
der bekanntlich nicht ganz so alt wurde, war in seinen letzten Jahren längst nicht mehr so ein Tyrann wie zu seinen besten Zeiten, von daher scheint es mir nicht völlig unausweichlich und gottgegeben, dass ich so werde wie meine Mutter. Aber es ist natürlich richtig beobachtet, dass sich bestimmte Grundmuster wiederholen.

Und Söhne, das weißt Du ja auch, müssen schlechte Söhne sein, wenn sie keine Muttersöhnchen bleiben wollen, ganz gleich, ob sie aus besserem oder nicht ganz so gutem Hause stammen. Das Dasein der Typen, die meine Mutter mir früher immer als Vorbild hinstellte, war jedenfalls nie erstrebenswert. Aber um ehrlich zu sein entdecke ich mit zunehmendem Alter auch manchen Wesenszug an mir, den ich an meinem Vater nicht sehr schätzte. So ist das halt, man entgeht seinem Schicksal nicht.

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Als das letzte Kind ausgezogen war, wurde meine Mutter von Freunden bemitleidet, das Haus sei jetzt doch wohl sehr leer. Darauf hin sie: "Alle Kinder aus dem Haus zu haben ist grossartig, man kann sich immer zwei Mal über Besuche freuen: wenn die Kinder kommen und wenn sie wieder fahren." Das scheint also beiden Seiten so zu gehen.

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Für meine Eltern
war das auch kein Riesenproblem, zumal sich das Flüggewerden von meinem kleinen Bruder und mir mit der Zwischenetappe "Studi-Bude in der Nachbarstadt und gelegentliche Wochenendaufenthalte im Hotel Mama" vollzog, also nicht sofort von Hundert auf Null.

Ich stelle aber schon seit Jahren fest, dass jedesmal, wenn ich nach einem Besuch im Elternhaus aufbreche, eine gewisse Anspannung von mir abfällt. Selbst wenn gar nichts vorfällt und kein großer offenkundiger Stress vorhanden ist, möchte ich mir unmittelbar danach erst mal eine Zigarette anzünden (und das, wo ich seit über vier Jahren nicht mehr rauche)...

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HAHA! (Sorry, tut mir leid :-)

Herrrrrlisch! Ich sehe, meine Mutter ist nicht so einzigartig wie ich (und sie) immer dachte. Es gibt durchaus noch mehr aus dieser Baureihe. Mein Bruder meidet aus genau den hier genannten Gründen jeglichen Kontakt mit der näheren und weiteren Verwandschaft. Umgezogen, neue Telefonnummer (in der Familie nur mir bekannt), neue E-Mail-Adresse — das ganze Programm eben.

Ich fahre einen anderen Kurs: Was kümmerts eine deutsche Eiche wenn sich eine Sau dran schabt. Ich besuche Mutter/Oma/etc. wann ich will und wie lange ich will (ok, Übernachtungen sind unnötig). Und wenn die Sprüche zu blöd werden, dann gibt es freundliche Konter. Ein Beispiel?

Ich telefoniere etwa 5-6 mal im Jahr mit meiner Oma. JE-DES-MAL wenn ich anrufe sagt sie mir „Du könntest ja häufiger mal anrufen“ Das ging mir irgendann massiv auf den Keks. Meine Antwort darauf eines Tages: „Mein Telefon ist nicht das Einzige mit Wählscheibe“ Seit dem ist Ruhe. Sie ruft jetzt dann und wann auch mal an, aber viel seltener als ich. Aber das Thema ist durch. In diesem Stil haben meine Frau und ich (fast) alle Meckerthemen abgearbeitet. Man könnte es eine Emanzipation nennen.

Dann und wann telefonieren mein Bruder und ich, und dabei vergleichen wir die Erfolge unserer unterschiedlichen Wege mit dem Wahnsinn der Eltern/Großeltern umzugehen. So langsam reift bei uns beiden die Erkenntnis, dass die Totalverweigerung nicht wirklich gut ist. Man muss da durch. Irgendwie. Hat man es geschafft, dann haben alle Seiten was davon. Und das ist wirklich schön anzusehen. Die Arbeit lohnt sich also.

PS: Ich glaube, die meisten Menschen haben die Emanzipation von den Eltern nicht wirklich geschafft. Ich glaube auch, dass daraus viel Leid erwächst, und aus diesem Leid die Abneigung Vieler gegen das Modell Familie begründet ist. Dabei sollten man sich durchaus bewusst machen, dass nicht nur die Eltern einen Knall haben …

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Ich sehe das ganz ähnlich.
Sich dem gelegentlichen Irrsinn komplett zu verweigern bringt auf Dauer auch keinen weiter. Ich habe das vor zehn Jahren mal anderthalb Jahre lang durchgezogen, das war notwendig, um für mich ein paar Sachen sortiert zu kriegen, und meine Mutter hat das respektiert, auch wenns ihr schwergefallen ist. Meine Adresse (damals 7 km Luftlinie vom Elternhaus entfernt) und Telefonnummer war bekannt, und ich rechne es ihr hoch an, dass sie (endlich mal) warten konnte, bis ich den Telefonhörer freiwillig in die Hand nehme, ohne Erwartungsdruck und schlechtes Gewissen, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe.

Die Notwendigkeit, diesen Stunt zu wiederholen, sehe ich auch gar nicht. Es liegt ja in der Natur des Arschkartenspiels, dass das Spielglück wechselt, es gibt genügend andere Mitspieler (ich habe ja schon allein drei Brüder mit jeweiligem Anhang), und ich kann nicht mal sagen, dass ich in den letzten 15, 20 Jahren wirklich die meisten A-Karten hätte ziehen müssen.

Das Ganze hat auch viel mit Zeit und Ort zu tun. Wenn meine Mutter etwa an Weihnachten ein paar Tage hier bei uns weilt, ist es was anderes, als wenn ich in dem Elternhaus bin, wo ich einst die Füße unter deren Tisch streckte, wie es so schön heißt. An diesem Haus, für dessen Bau sich meine Eltern krummgelegt haben bis dorthinaus, hängen für mich auch sehr viele unschöne Erinnerungen, nicht zuletzt an den Wohnungsbrand, an dessen direkten oder indirekten Folgen mein Vater starb...

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Das mit den A-Karten habe ich noch nicht ganz verstanden. Kommunikation bedingt einen Sender und einen Empfänger (sicher, es gibt noch mehr Arten der Kommunikation, zum Bsp. ein Sender, kein Empfänger was oft als „bloggen“ bezeichnet wird, allerdings nicht hier. Wo war ich? Ach ja …). Als Empfänger kann ich aussuchen, was ich empfange, also welchen Schuh ich mir anziehe. Am besten geht das aber nur, wenn man sich selber nichts vorzuwerfen hat. Wenn ich mich rar mache und dann höre, ich könnte öfter mal zu Besuch kommen, dann fällt es mir schwerer den Empfang der Botschaft abzulehnen, als wenn ich recht oft komme.

Möglichrweise ist das der Schlüssel. Man muss sich in die Situation bringen, wo man sich nichts vorzuwerfen hat. Dann geht jede A-Karte mit „Empfang verweigert“ zurück an den Absender. Und zwar ohne Groll.

Mal 'ne Frage an die Anwesenden: Ist der Abnabelungsprozess bei euch auch so um die 30 angefangen? Ich sehe das sehr oft, weiß aber nicht ob das üblich ist…

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Mir ist das jetzt zu dialektisch. "Vorzuwerfen" habe ich mir auch nichts, wenn ich halt keine Lust habe auf Eltern oder einfach ein Schluri bin.
Zugeständnisse bei der Besuchsfrequenz, nur um eine bessere Argumentationsgrunglage zu haben, wäre jetzt nicht mein Ding. Ich denke eher, frühzeitige Ehrlichkeit ist da hilfreich. Wenn es heisst "Warum bist du Ostern nicht mal gekommen", sollte man nicht mit durchschaubaren Ausreden kommen, sondern direkt sagen "Keine Lust", wenn dem halt so ist.

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Das Spiel mit den A-Karten
hat mehr Varianten und Facetten als ich hier in der gebotenen Kürze darlegen kann. Das Maumau ist jedenfalls die verschärfte Variante, wenn Sie zwei Karten ziehen müssen, nachdem Vorhand eine Sieben gelegt hat. Aber wie auch immer: Es ist für den Spielverlauf zunächst gar nicht so relevant, ob ich mir den Schuh anziehe und die Karte, die mir hingelegt wird, auf die Hand nehme oder nicht. Sie liegt da, und wer mit am Tisch sitzt, ist im Spiel und hat irgendwie zu reagieren. Klar kann man sagen, Empfang verweigert, aber das hält ja keinen routinierten Spieler davon ab, weitere Karten nachzulegen. Ich will diese Metapher hier auch nicht zu Tode reiten. Es ist auch nicht so, dass ich im Umgang mit meiner Mutter permanent das Gefühl hätte, wie mans macht, isses verkehrt. Ich habe mir am Samstagabend vor Ostern auch mal den seltenen Luxus erlaubt, auf einen beliebten Triggersatz meiner Frau Mama hin sehr laut zu werden, und was soll ich sagen, es hat sich gut angefühlt. ;-)

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@kristof:
Eben. Dieses Bemühen, sich mit teilweisem Wohlverhalten eine bessere Diskussionsgrundlage zu erarbeiten, ist irgendwie, wie soll ich sagen, auch nicht in jeder Spielsituation zielführend. Es bleibt ja immer eine gewisse Restdifferenz zu dem, wie es die Gegenseite gerne gehabt hätte - und wenn mehr auf dieser Restdifferenz rumgeritten wird als das schon geleistete Entgegenkommen anerkannt wird, dann haben wir es wieder mit einen gängigen Spielzug zu tun, der uns erneut unter vermeintlichen Rechtfertigungsdruck zu setzen versucht. Den Mechanismen muss man dann schon weiträumiger ausweichen.

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@kristof:

„Der zu fragen (erôtân) und antworten (apokrinesthai) versteht, nennst du den anders als Dialektiker?“

– Krat. 390 c 10–11 (Übers. Rufener)

Das bin ich nicht — weiß nicht mal was “dialektisch“ heißen soll. Aber wie ja später schon gesagt wurde, die Methapher kippt bald vor Erschöpfung um. Nur eines noch. Wohlverhalten nur um der schönen Reaktion willen ist von mir nicht gemeint. Mir ging es darum, dass es gesellschaftliche und zwischenmenschliche Grundstrukturen gibt die es zu beachten gilt. Wenn ich abends nach Hause komme und meine Familie nicht begrüße, dann habe ich meine Bringschuld nicht geleistet. Dann habe ich mir, in den von mir verwendeten Sinne, etwas „zu Schulde“ kommen lassen. Das war schon alles. Mehr nicht. Schönes Wochenende.

PS: Wer am Samstag in Essen ist kann ja mal ins Unperfekthaus.de kommen, da spiele ich mit ein paar Kumpel den ganzen Tag von 10-23 Uhr auf Synthesizern und Sampler rum. Gäste (auch mit Instrument, gerne auch akustisch) sind willkommen.

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Ach,
hätte man von dieser Veranstaltung etwas früher gewusst. So werde ich leider frühestens zum Finale aufschlagen können.

Zum Thema noch: Ich habe das schon so verstanden, dass es auf alle Fäller besser ist, sich der Spiel im Bewusstsein stellen zu können, das seinige getan zu haben. Aber es liegt ja wie gesagt in der Natur des Spiels, dass das alleine wenig hilft, die Situation zu entschärfen oder wirksam zu verhindern, dass die A-Karten angeboten werden.

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Welches finstre Instrument würde dabei sein?

23 Uhr ist übrigens Ende der Öffnungszeit. Da muss schon alles abgebaut sein. Nur zur Info, für die Nachzügler …

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Instrument?
Ääh, den analog-manuellen handclap zum Applaus-Spenden. ;-)

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Handclaps sind immer willkommen! Aber wahrscheinlich unangemessen :-(

Tatsächlich wird es an dem Tag weniger ein Konzert, sondern eher eine ausgiebige „Session“ geben. Besonders die Soundgestaltung und die permanenten Unterbrechungen sind für Außenstehende meist arg langweilig. Dafür werden geduldige Zuhörer meist auch mit langen sehr angenehmen Soundscapes belohnt. Ich mache das zum ersten mal. Ich bin gespannt …

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Vielen Dank für diese Gedanken zum Thema.

Mich erschrickt zwar etwas, dass mir alles Geschilderte irgendwie derart bekannt vorkommt, dass ich mir nicht wirklich sicher bin, ob ich das auch erlebt oder einfach schon mal gehört habe.

War selber gut sieben Jahre Totalverweigerer - hört sich an wie der Beginn eines Therapiegespräches in einer deutschen Fernsehkomödie - in Sachen Familie und bin mir immer noch nicht sicher, ob mir diese sieben Jahre oder die letzten beiden besser gefallen.

Meine Eltern kamen einfach in ein Alter, wo ich nicht am Grab stehen und denken wollte, ach, hättest Du Dich doch bloß mit ihnen ausgesprochen.

Falls noch Mitglieder einer Mutter-Sohn-Gruppe gesucht werden, ich bin auf jeden Fall dabei. ;-)

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Den Vorsitz
würde ich dem Kollegen kleines f antragen. Dort habe ich manchmal Geschichten gelesen, bei denen ich dachte, boah, da gehts ja noch gestörter zu als bei uns. ;-))

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Eltern werden alt...
...und die Kinder sind noch klein. Den einen zahlen wir die Ausbildung, den anderen die Rente. O.K., daß ist so und irgendwann profitieren wir auch davon. Vielleicht zumindest. Aber auch emotional ist es manchmal nicht einfach: sich um die Eltern kümmern und die Kinder zeitgleich groß kriegen. Und die Arbeit, und die Frau...na ja, andere schaffen´s ja auch. Eins steht fest: wenn die Eltern richtig alt werden und sogar ein wenig Pflege bedürfen und die Kinder z.B. 5 Jahre alt sind: da ist nicht jeder Tag ein Feiertag...da brauche ich gar nicht zu verreisen (habe alle Betreffenden vor Ort).

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Ja, die klassische Sandwich-Position,
da haben es meine beiden älteren Brüder mit ihren fast erwachsenen Kindern schon ein bisschen leichter. Dafür wohnen sie näher bei meiner Mutter und ihrer Schwester dran - so hat halt jeder sein Päckchen zu tragen...

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