Montag, 30. Mai 2016
Gauländerwürstchen geplatzt!
Ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, warum alle Welt so sehr hyperventiliert wegen des Boateng-Zitats des AfD-Politikers Alexander Gauland. Dieser hatte dem Vernehmen nach gesagt: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben." Stellt diese Äußerung tatsächlich eine rassistische Beleidigung des verdienten Fußball-Nationalspielers dar, die einen öffentlichen Aufschrei geradezu herausfordert? Oder beschreibt Gauland, der mit keiner Silbe erwähnt hat, wie er persönlich mit der Nachbarschaft von Jerome Boateng klarkäme, damit einfach nur die real existierenden Vorurteile der biodeutschen Mehrheitsgesellschaft?

Bei aller Unsympathie für den AfDler halte ich die Lesart für plausibler, dass es Gauland eher darum ging, aufzuzeigen, wie normal Alltagsrassismus hierzulande ist. Vielleicht hätte ich es zu einem anderen Zeitpunkt ja auch abgestritten, dass es heutzutage noch als Problem empfunden werden könnte, wenn ein Schwarzer in der Nachbarschaft einzieht. Aber nachdem ich von den eher pikierten bis angepissten Reaktionen der Nachbarschaft meiner Mutter erfahren habe, als bekannt wurde, dass sie ihr Haus an eine türkische Familie verkauft hat, wundert mich da nicht mehr so viel. Natürlich habe man nichts gegen Türken, hieß es da, aber man mache sich halt Sorgen, dass der Wert der eigenen Immobilie sinken könnte, wenn zuviele von denen, na, Sie wissen schon...

Diese Vorurteilsstruktur ist nun mal da, und wer völlig frei davon ist, werfe den ersten Stein. Ich bin es jedenfalls nicht: Als vor einiger Zeit im Haus gegenüber drei junge Männer aus dem Orient in den zweiten Stock zogen, machte ich noch Witze darüber, dass wir hier jetzt also auch eine Terrorzelle in die Nachbarschaft kriegen. Ich sprach eines Tages die Frau des türkischen Gemüsehändlers darauf an (die damals im gleichen Haus in der Wohnung über dem Laden wohnte), und die gute Frau Yildiz ging daraufhin förmlich durch die Decke: Dieses orientalische Trio sei ihnen gegenüber offen feindselig, das seien bestimmt kurdische Terroristen, mit solchen Leuten könne sie nicht unter einem Dach leben - und ein paar Wochen später stand bei Familie Yildiz der Umzugswagen vor der Tür.

Und was soll ich sagen: interessant, dass unsere Zuwanderer der ersten Generation womöglich kein bisschen vorurteilsfreier und weltoffener sind als wir Bio-Kartoffeln. Aber das zu reflektieren ist sicherlich weitaus mühsamer als auf der billigen Vorlage des AfD-Politikers rumzuhacken. Dem kann man sicherlich vorwerfen, mit dem bekannten Namen Boateng ein schlechtes Beispiel zur Veranschaulichung von Alltagsrassismus gewählt zu haben. Aber es beleidigt den Fußballer in meinen Augen nicht, wenn man unterstellt, dass er aufgrund seiner Hautfarbe womöglich nicht überall hochwillkommen wäre als Nachbar.

Man könnte sich also vielleicht wieder mal einkriegen.

NACHTRAG: Via Twitter erfahre ich soeben, dass sich der des Rechtspopulismus eher unverdächtige Stefan Niggemeier zu diesem Thema auch so seine Gedanken macht.

NACHTRAG II: Der DJV Berlin-Brandenburg dröselt die Genese des umstrttenen Zitats genauer auf - kein Ruhmesblatt für die FAS-Redakteure...

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