Montag, 24. September 2007
Im Westen viel Neuss
Der Frühherbst zeigte sich gestern nochmal von seiner schönsten Seite. Und so konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mit dem Rennrad noch einen kleinen Ausritt in die nähere Umgebung zu unternehmen. Stures Kilometerbolzen nur um des Kalorienverbrauchs willen ist ja nicht so meins. In aller Regel versuche ich schon, mir eine schöne Strecke rauszusuchen, wo es auch mal was zu schauen gibt. Seit unserem Holland-Urlaub habe ich mich offen gestanden ein bisschen in Windmühlen verguckt. Und nachdem die linke Niederrheinseite in dieser Hinsicht auch einiges zu bieten hat, plane ich meine Radtouren gerne so, dass mich der Weg an einem oder mehreren dieser seltsamen Flügelwesen vorbeiführt. Vorige Woche zum Beispiel hatte ich zusammen mit meinen Schwiegervater unter anderem diese schöne Mühle in Krefeld angesteuert:

Gestern stand dann dieses schöne Exemplar in Kaarst-Büttgen auf meinem Routenplan. Trotz leichten Gegenwinds schnurrte die Kette ganz munter auf großem Kettenblatt und kleinem Ritzel. Und ohne mich allzusehr ausgepowert zu haben, langte ich bei der Mühle an. Um dort erfreut festzustellen, dass ich vor der nächsten Führung noch ausreichend Zeit habe, in dem angeschlossenen Ausflugs-Café noch Kaffee und Kuchen zu mir zu nehmen. Die Führung durch die verschiedenen Etagen dieses präindustriellen technischen Wunderwerks war spannend und lehrreich. Gerne hinterließ ich daher noch etwas Münzgeld in dem Spendenkästlein des Fördervereins, bevor ich mich wieder aufs Rad schwang.

Kurz überlegte ich, ob ich für den Weg nach Hause die gleiche Strecke wähle wie auf dem Hinweg. Aber die Neugier auf das Unbekannte siegte - und so entschied ich mich, über Neuss zurückzuradeln. Das ließ sich soweit auch ganz gut an. Zumindest bis zu einer T-Kreuzung, an der weder Radweg-Beschilderung noch irgendein Hinweis für Autofahrer zu erkennen war, wo es rechts und links hingehen soll. Ich probierte es zunächst links - im Wissen, dass ich irgendwann wieder rechts muss, um in die gewünschte Nordrichtung zu kommen. Da machte mir aber eine Sackgasse ein Strich durch die Rechnung, nur die Straßenbahnschienen führten weiter in die Richtung, in die ich wollte. Also kehrt gemacht und an einem Zebrasreifen Passanten gefragt, wie ich hier rauskomme Richtung D-Heerdt, D-Oberkassel oder Meerbusch. Ich bin zwar insofern ein typischer Mann, dass ich nicht gern nach dem Weg frage. Aber ich kann mich durchaus überwinden, wenn es sein muss. In dem Fall aber nur, um festzustellen, dass von einem halben Dutzend angesprochener Personen im Neusser Stadtzentrum ganze sechs nicht die geringste Ahnung haben, dass diese Gebietskörperschaft nördlich an Düsseldorf-Heerdt grenzt - geschweige denn, dass sie ein Idee gehabt hätten, wie ich da hinkomme.

Einer gibt mir zumindest grob eine Richtung vor, und als ich da entlangradle, sehe ich irgendwann ein gelbes Hinweisschild, dass ich auf der Bundesstraße Vierhundertirgendwas Richtung Bergheim unterwegs bin. Und das kanns irgendwie nicht sein, denn das liegt soweit ich weiß irgendwo bei Köln. Also wieder kehrt marsch Richtung Neuss-Zentrum. Weil ich aber weiß, dass ich da langfristig wieder in der Straßenbahn-Sackgasse lande, nehme ich eine Abzweigung Richtung Neuss-Hafen. Da war ich zumindest schon mal mit dem Auto und habe grob in Erinnerung, dass ich auf dem Rückweg vom Rheinpark-Center mal den Willy-Brandt-Ring gefahren bin. Den zu finden sollte ja nicht allzu schwer sein.

Ja, denkste. Ich radle mit immer schwerer werdenden Beinen an endlosen Container-Umschlagplätzen, Fabriken und Gewerbegebäuden vorbei. Da zweigt eine Procter-and-Gamble Straße ab, dort sehe ich das Neusser Tempo-Taschentuch-Werk. Orte und Plätze, die ich nie im Leben sehen wollte. Aber nichts, was mir einen Weg aus diesem endlosen Hafengebiet zeigt. Weiter vorne war zwar eine Abzweigung, aber da war nur ein kleines blaues Schild, das auf "A 57 Richtung Krefeld" verwies. Und die Aussicht, als Radfahrer auf der Autobahn Gegenstand einer Meldung im WDR-Verkehrsfunk zu werden, fand ich nicht so richtig verlockend.

An einem Werktor in der Floßhafenstraße sehe ich plötzlich eine Nonne (!), die sich gerade anschickt, in vollem Ornat auf ihr Hollandrad zu steigen. Ich halte an und sage: "Schwester, Sie schickt der Himmel - Sie wissen doch sicher, wie ich aus diesem Hafenviertel wieder raus komme?" "Nun, mein Sohn, ich bin nicht von hier, ich weiß zwar einigermaßen, dass ich in dieser Richtung nach Neuss-Zentrum komme, aber weiter reicht meine Ortskenntnis auch nicht, junger Mann."

Ich bedanke mich artig und schwinge mich wieder in den Sattel, obwohl ich eigentlich nur noch eins möchte: mich an den Straßenrad setzen und weinen. Die Wasserflasche im Halter ist längst alle, meine Akkus sind leer, und ich frage ich, ob es sein kann, dass dieses verf*ckte Neusser Hafengebiet das letzte ist, was ich auf diesem weiten Erdenrund sehe, bevor ich meinem Schöpfer gegenüber trete. Mitten in diesen Gedankengang klingelt plötzlich das Handy. Ich steige ab, fummle das Telefon mit zitternden Fingern aus dem Rucksack und habe meine Frau am Rohr: "Hallo Schatz, ich bin mit der Kleinen noch auf dem Spielplatz - und ich wollte fragen, ob Du auch noch vorbeikommen magst und vielleicht noch was zu trinken mitbringen könntest?"

Die naheliegendste Antwort ("Weib, was interessieren mich Eure Luxusprobleme, ich hab mich total vergurkt und kämpfe gegen den Erschöpfungstod") schlucke ich artig hinunter und sage, dass es etwas später werden könnte, da ich mich gerade im Neusser Hafengebiet verfranst habe. Von daher mache es wenig Sinn, auf dem Spielplatz auf mich zu warten. Die Stimme meiner Frau hat aber neue Lebensgeister geweckt, und so trete ich ordentlich in die Pedale, um meine Lieben möglichst schnell wiederzusehen.

Aber was ich keinen halben Kilometer weiter sehen muss, lässt meine Kinnlade und meine Laune schlagartig wieder heruntersacken: Ende der Floßhafenstraße, ein Werktor und ein Wendekreis - hier geht es jedenfalls nicht weiter. Argh. Das gibts doch nicht. Also zurück. Und was sehen meine trüben Augen, als ich von dieser Seite an die Abzweigung zur Autobahn nach Krefeld zurückkomme? Da lacht mich ein Schild an, auf dem Schwarz auf Gelb "Düsseldorf-Heerdt" steht.

Ich grübelte noch, warum die Straßenmeisterei diese Information Verkehrsteilnehmern aus der anderen Richtung vorenthalten hatte. Aber außer "abgrundtiefe Bosheit" oder "bodenlose Blödheit" fiel mir kein plausibler Grund ein. Sei es drum, ich stieß jedenfalls nach einigen hundert Metern auf den Willy Brandt-Ring. Und dass auf dieser Umgehungsstraße Fahrräder eigentlich verboten sind, hat mich nicht wirklich gejuckt. Ich gab Sir Walter die Sporen (Übersetzung 52:12), und die letzten Kilometer der Tour flogen nur so vorbei. Alles nochmal gut gegangen.

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Da haben Sie ja nochmal Glück gehabt
Das erinnert mich daran, dass ich mit 16 einmal eine Radtour durch halb Deutschland gemacht habe. Am Deutschen Eck sind wir dann clevererweise nicht am Rhein langgefahren, wie wir es vorhatten, sondern an der Mosel. Rund eine Stunde später haben wir es dann sogar gemerkt und sind wieder gut gelaunt zurück geradelt. Den jungen Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt unser Navigationsgerät war, haben wir danach noch nicht mal mehr in die Nähe der Karten gelassen.

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Schwester, Sie schickt der Himmel
Sehr schön...

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@kreuzberger:
Glücklich, wer eine Karte dabei hat, anhand derer er irgendwann merkt, dass er falsch fährt. ;-) Ich hatte nur die Ausflugskarte von weiter nördlich im Rucksack. Um komfortabel durch Neuss durchzufinden, hätte ich auch den Falkplan Düsseldorf/Neuss dabei haben müssen. Aber dass das so kompliziert werden würde, war ja nicht zu ahnen. In die Stadt rein war alles bestens beschildert, auch für Radfahrer, aber mittdrin verließen sie ihn auf einmal. Da wär ich auch dem Auto ganz schön blöd rumgekurvt.

@Erik: Ich war auch ziemlich baff. Eine Nonne in diesem sonntäglich ausgestorbenen Hafengebiet zu sehen hatte ich nun wahrhaftig nicht erwartet. Eher hätte ich damit gerechnet, demnächst den Autostrich zu sehen. ;-)

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Wie gut ich das nachvollziehen kann, da gings uns gestern gleich.
Ich hatte die prima Idee von zu Hause aus zu einer Essensverabredung zu laufen, mich (zum wiederholten Mal) im Käfertaler Wald zu verirren und nach 5 Stunden völlig erschossen dort einzutreffen (unterwegs auch Telefon "Wir bestellen schon mal" und ähnliches Gejeire).

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Oje,
da bin ich auch schon planlos im Kreis rumgestapft. Raus kommt man im Prinzip immer, wenn man dem Autobahngeräusch nachgeht und dann entweder nach Schönau/Sandhofen oder zum Viernheimer Kreuz stapft. Aber man meint ja meistens, es müsste einen kürzeren Weg geben. Wo sollte es denn hingehen zum Essen: Karlstern-Kneipe, Schützenhaus oder Tante Anna?

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Hörnsemal,
Karlstern finden könnten Sie mir dann doch noch zutrauen! (Schützenhaus, über das Essen verlieren wir kein Wort).

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Ja, klar weiß ich,
dass Sie wissen, wo der Karlstern ist. Aber weiß ich, ob der von Käfertal aus nicht viel komplizierter zu finden ist als von der Gartenstadt aus? Aber auf alle Fälle Respekt vor dem Vorhaben. Quer durch den Wald hätte ich das Schützenhaus womöglich auch verfehlt. Und von Ihnen zuhause ist das ja ein ordentliches Stück Wegs.

Das Essen dort habe ich übrigens auch eher als "reichlich & preiswert" denn als "gut" in Erinnerung, aber mein letzter Besuch dort dürfte auch schon mindestens 15 Jahre zurückliegen. Ich erinnere mich, dass die damalige Wirtin, eine fette wohlbeleibte Mannemer Schlappgosch, ein ziemlich derbes Regiment über Küche und Gastraum führte. Das war sehr unterhaltsam (Andreas "der King" S. hätte seine helle Freude gehabt), tröstete aber nicht über die eklatanten kulinarischen Mängel des Lokals hinweg.

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Ich war da ja noch nie, aber die Schlappgosch scheints noch zu geben, nebst Tochter körperlich/akustisch 1:1. Kommentar von Ihr: "So bleed fer fünf Minudde, wenn kä Geld hosch fer e Audo, do hinne hälda Bus." Um sie milde zu stimmen, hab ich ein Tässchen lauwarmes Frittierfett bestellt.

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Das war klug,
denn mit simplen Gemütern dieses Zuschnitts eine sinnvoll-konstruktive Kontroverse führen zu wollen, führt erfahrungsgemäß ins Nichts. Ein Bekannter von mir hatte sich in jungen Jahren den Zorn des alten Drachen zugezogen, als er es nach dem Mahl wagte, einen Fuß auf die Kante eines gegenüber stehenden Stuhls zu setzen. Auf die Frage der Schlappgosch, "Heah, Langer, machsch des dähääm aa?" antwortete der frohgemut und wahrheitsgemäß "Seien Sie dessen versichert, Gnädigste!" Den weiteren Verlauf der Konversation könnte ich hier nur in Sternchen wiedergeben - und ich übertrebe nicht, wenn ich sage, dass sich mein Kumpel im weiteren Verlauf dieses Dialogs zehn Klafter tief unter die Erdoberfläche wünschte...

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Da hatte es Don Quichote ja noch richtig gut, da die Windmühlen weithin zu sehen sind und man sich an ihnen orientieren kann.

Die Neusser Gegend da ist aber wirklich ein Bermuda-Dreieck. Da habe ich mich auch mal nach einem Open-Air-Festival total verfranst. Völlig betrunken erschlagen wollten mein Freund und ich eine "Abkürzung" nehmen und landeten in der gleichen Gegend. Und es war dunkel. Richtig scheiße dunkel. Nicht einmal eine Nonne war zu sehen. Ich weiß heute nicht mal mehr, wie wir da wieder raus gekommen sind.
Man sollte ein Hinweisschild aufstellen, dass die Gegend für Radfahrer nicht ratsam ist.

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Im Dunkeln
da draußen rumzueiern ist natürlich nochmal verschärft. Aber das Problem fing ja schon im Stadtzentrum an, wo mich die Radfahrer-Schilder Richtung Heerdt und *********-******** auf einmal im Stich ließen. Zwischenzeitlich hatte ich dann die Parkplätze der Stadthalle gesehen und auch einen Hinweis auf die Rheinbrücke Düsseldorf-Neuss, aber da drüben hatte ich ja nichts verloren. Meine Frau (ansonsten mit einem sehr guten Orientierungssinn gesegnet) hat sich in der Ecke übrigens auch mal gnadenlos vergurkt auf dem Weg zu einem Freizeit-Event von ihrer Firma. Tröstet mich nicht zu knapp, dass ich nicht der einzige bin, der da ins Schwimmen kommt.

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Alles das erinnert mich an ein Fahrrad-Abenteuer mit meinem besten Freund Michael Traub, von der Mittelstraße in Opladen zur alten Wupperbrücke (auch in Opladen, damals noch eine Eisenkonstruktion). Da waren wir sechs Jahre alt.

Die zwei Kilometer Hinweg haben uns den ganzen Tag und alle Verpflegung gekostet. Und zurück haben wir auch nicht gefunden. Aber Abenteuer war es. Wie gewünscht :-)

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Zwo Kilometer
können sich ganz schön ziehen, gerade im Steppke-Alter. Mit sechs hatte ich mein 20-Zoll-Klapprad bekommen. Und mit dem hatte ich meinen ruhigen Heimatstadt-Vorort und das angrenzende Waldstück schon weitgehend erkundet vor meinem ersten Schultag. In richtigen Stadtverkehr hätte ich mich aber noch nicht getraut.

Aber erzählen Sie doch mal: Was passierte, nachdem Sie nicht nach Hause kamen - hat die Polizei Sie dann aufgegriffen?

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Na, irgendwann kam uns beiden die Bebauung dann doch langsam vertrauter vor, und knapp vor dem Anknipsen der Straßenbeleuchtung bogen wir dann in den 15 Meter langen Wurmvorsatz ein, der unsere Heimat war. Wir waren schwer erleichtert. Aber es war ja Sommer.

Übrigens war das alles zu einer Zeit, als man an den gelben Lampen zur Baustellenbeleuchtung noch den Docht höher stellen konnte. Eine fast nicht in den Griff zu bekommene Versuchung …

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eine nette geschichte.
(aber dass häfen voller sackgassen wimmeln müssten sie als niederrheiner doch wissen...)

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Ja, schon.
Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich nur in eine von den etwa sieben möglichen Sackgassen reingerauscht bin. Und wäre die Tilsiter Straße aus Richtung NE-Zentrum kommend nicht so missverständlich beschildert gewesen, hätte ich den Willy-Brandt-Ring auch auf Anhieb gefunden. OK, mit mehr Nachdenken hätte ich auch drauf kommen können, dass die Autobahn nach Krefeld noch ein gutes Stück entfernt sein muss und ich dieser Richtung getrost eine Weile folgen kann. Aber da war ich halt schon hart am Unterzucker... ;-)

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ich verstehe.
es ist auch nicht leicht...

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Yep,
und bedenken Sie: Ende des Monats isses grade mal ein Jahr, dass wir hier am Niederrhein sind. Die Landkarte hat noch so viele weiße Flecken, das ist alles noch weitgehend terra inkognita hier. Und wenn ich stattdessen bei mks die Bilder aus dem Delta von Doc Rollinger, Herrn Schmerles und dem Kollegen Gehweg sehe, da weiß ich oft auf den Meter genau, wo das geknipst ist...

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*lach* So was von verfransen! Ich kenn das nur vom Radfahren in der Wiener Lobau - Augebiet - Naturschutzgebiet. Ich hätte nie geahnt, wieviele Wege da im Nichts enden. Mitten in den grundlosen Wildschweinsuhlen. Hätt ich nicht hie und da einen McD- Becher gefunden, wäre ich völlig mutlos geworden. So hatte ich ja die Hoffnung, dass auch ich mal wieder rausfinde, denn auf die vermoderten Reste derer, die vor mir hier waren, bin ich ja auch nicht gestossen. Aber landschaftlich war es wenigstens ein Genuss.

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