Dienstag, 12. August 2014
Von Leichtmatrosen, die gegen den Wind pinkeln


Mit Seemansgarn unseres netztheoretischen Nachwuchs-Nietzsches aus Berlin wollte ich mich ja eigentlich erst wieder beschäftigen, wenn sein crowdfinanziertes Opus Magnum vorliegt. Aber nachdem ich ja manchmal bei diesem Kurznachrichtendienst mit den 140 Zeichen reingucke (und dortselbst törichterweise eine klandestine Karteileichen-Präsenz eröffnet habe), wollte ich dieser Tage per Reply dann doch mal wissen, welche netzfeindlichen Umtriebe der Schriftstellerin Juli Zeh denn eine offensivere Bekämpfung durch die Netzszene erforderten.

Eine Antwort habe ich nicht bekommen, vielleicht geht Seemann davon aus, dass die hinter dem Link zu findenden Einlassungen der Literatin so selbsterklärend evil sind, dass sich eine detailliertere Ausarbeitung der Anklage schon erledigt hätte. Ich kann das chrismon-Gespräch rauf und runter lesen und von hinten nochmal nach vorne, aber ich finde keine Stelle, an der Frau Zeh die Abschaltung des Internets oder dergleichen gefordert hätte. Da steht allenfalls der Wunsch nach einem Ethikrat und einer europäischen Datenschutzrichtlinie, die Handhabe gegen internationale Konzerne böte. Desweiteren plädiert Frau Zeh dafür, dass jeder, der existenzielle Entscheidungen aufgrund von Profilen und Scoring-Ergebnissen trifft, zur Offen­legung seiner algorithmischen Verfahren verpflichtet wird. Außerdem müsse beim Internet der Dinge die Zulassung von neuen Technologien reglementiert werden.

Man mag diese Forderungen für naiv oder gar weltfremd halten. Aber dass davon irgendweine Gefahr ausgeht für das Internet von heute oder das von morgen, scheint mir so weit hergeholt wie nur irgendwas. Und wenn die Äußerung solcher Gedanken mittlerweile schon ausreicht, um von irgendwelchen selbstbesoffenen TCP/IP-Theoretikern auf Proskriptionslisten gesetzt zu werden, dann muss ich mich ernsthaft fragen, ob erstens der Mann noch alle LED-Lämpchen am Router anhat und ob zweitens diese sogenannte Netzszene nicht ein größeres Geschwür am Arsch der modernen Menschheit darstellt als eine Autorin wie Juli Zeh, deren Transparenz-Dystopie "Corpus Delicti" ich nach wie vor für einen der wichtigsten Romane der Dekade halte.

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